Auf den Schultern von Giganten – „Krazy Kat“

Man könnte meinen, „Krazy Kat“ sei eine frühe Variante der Zeichentrickserie „Tom und Jerry“. Auch hier kabbeln sich Katz und Maus immer wieder aufs Neue und es ist die Katze, die den Kürzeren zieht. Allerdings sind die Gefühlswelten der Protagonisten wesentlich komplizierter. Denn Krazy Kat liebt die Maus Ignatz, selbst wenn die ihr immer wieder Ziegelsteine an den Kopf wirft – Krazy Kat schafft es sogar, diese Anwürfe als Liebesbeweise umzudeuten. Allein das macht Ignatz wahnsinnig – und dann gibt es da auch noch Offissa Pupp, der geradezu zärtlich versucht, Krazy Kat zu beschützen.

Klar definierte Charaktere

„Krazy Kat“ ist so toll, weil er all das beinhaltet, was einen guten Comic-Strip ausmacht. Der ist charakterbasiert, das heißt, wir haben drei verschiedene Charaktere, die sehr klar definiert sind.“ Der Berliner Comiczeichner Flix, alias Felix Görmann, muss wissen, was einen guten Comic ausmacht, immerhin ist sein „Spirou in Berlin“ beim diesjährigen Comicfestival in München als bester deutscher Comic ausgezeichnet worden.

„Krazy wird immer von der Maus, also von Ignatz mit einem Backstein beworfen, und Krazy ist so ein Träumertyp, Ignatz der Realist und Puppi derjenige, der alles wieder versucht in Recht und Ordnung zu bringen. Und diese Grundkonstellation spielt Herriman in „Krazy Kat“ in hunderten Varianten durch, die nie langweilig werden. Das gab es vorher nicht. Das ist das erste Mal, dass das jemand in der Form so gemacht hat: Mit ganz kleinem Besteck so viel rauszuholen.“

Alexander Braun (Hrsg.): „George Herrimans ‚Krazy Kat‘. Die kompletten Sonntagsseiten in Farbe 1935–1944“.
Taschen Verlag, Köln 2019. 632 Seiten. 150 Euro

Verrücktes Setting

Dabei sind schon die Settings ziemlich verrückt: Da spielt Krazy Kat zum Beispiel Banjo und singt dazu einen Country Song. Und Maus Ignatz hat nichts Besseres zu tun, als den Liedtext knallhart auf dessen Wahrheitsgehalt zu prüfen: Warst Du überhaupt schon mal in Kentucky? Nein? Wie kannst Du das dann Dein Zuhause nennen? Und woher weißt Du überhaupt, dass dort immer die Sonne scheint?

Für sein musikalisches Geschwurbel bekommt Krazy Kat einen Ziegelstein auf den Kopf – Offissa Pupp steckt Ignatz dafür ins Gefängnis und wünscht sich von Krazy Kat ausgerechnet den Country-Song als Ständchen.

Doppelbödige Betrachtungen

Vermutlich waren es solche doppelbödigen Betrachtungen über Wahrheit und Realität, die der Comicserie schon früh berühmte Fans einbrachte: US-Präsident Woodrow Wilson gehörte ebenso dazu wie Charly Chaplin oder Pablo Picasso und Gertrude Stein. Dazu kommt die Sprache, die Herriman im Slang verfasste, die sich mitunter reimt und die hier in der Sammlung des Taschen-Verlags im englischen Original zu lesen ist.

Den Comiczeichner Flix begeistern vor allem die Bildideen von Herriman: „Er zerlegt die Seiten in Einzelbilder, er erfindet neue Hintergründe, er schafft so eine eigene surreale, an Salvador Dali erinnernde Welt. Die Hintergründe verändern sich auch von Bild zu Bild, der Hintergrund lebt mit und drückt mit aus, was in der Geschichte passiert, auch das gab es vorher noch nie und das ist bis heute absolut beeindruckend.“

Vor rund 80 Jahren revolutionär

Vor allem in seiner späten Phase spielt Herriman meisterhaft mit seinen Bildwelten: Dass der Seitenaufbau für jede Geschichte neu erfunden wird und dass einzelne Panels in ein großes Bild montiert werden, ist inzwischen normal – vor rund 80 Jahren war das revolutionär.

Dass Herriman in einer einzigen Handlung immer wieder die Hintergründe verändert, ist nach wie vor furios. Krazy Kat spielt sein Banjo zum Beispiel mal in der dürren Steppe und dann im satten Grün einer florierenden Landwirtschaft, je nachdem, ob er gerade in seinen Country-Song versunken ist, oder sich mit der Maus Ignatz auseinandersetzt.

„Wir stehen auf den Schultern von Giganten“

„Es sind alles Versuche, mit dem Medium Comic die Graphik zu öffnen, die Graphik so anzulegen, dass es die Geschichte unterstützt, dem Ganzen eine zusätzliche Ebene gibt. Ich hab das in meiner Zeitungsreihe „Schöne Töchter“ besonders versucht, wo ich die Bilder in unterschiedliche Richtungen montiert habe, sodass man mehrere Lesarten hat und das gleichzeitig auch immer Thema der Geschichte ist. Und ohne George Herriman vorne dran, gäbe es das nicht, hätte ich das niemals machen können. Wir stehen auf den Schultern von Giganten – und vielleicht stellt sich irgendwann auch noch mal jemand auf unsere Schultern.“

Dieser Text erschien zuerst am 01.07.2019 in: Deutschlandfunk

Hier und hier gibt es weitere Kritiken zur „Krazy Kat“-Ausgabe.

Andrea Heinze arbeitet als Kulturjournalistin u. a. für kulturradio rbb, BR, SWR, Deutschlandfunk und MDR.

Seite aus „Krazy Kat“ (Taschen Verlag)