Vom Zirkuszelt in die Prärie – „Texas Jack“

Wyoming, als der Westen noch wild war: Passendale, ein skrupelloser Viehbaron mit dem Fernziel, Gouverneur zu werden, geht ohne Skrupel über Leichen. Er will kleine Farmer enteignen und vertreiben und damit sein Land vergrößern. Am besten mit Gewalt. Dazu heuert er einen wahrhaftigen Unhold an: Henry „Gunsmoke“ Saul ist sein Mann fürs Grobe, ein Ex-Soldat mit imposanter Statur und eiskalten Augen. Mit seiner Bande zieht er marodierend durchs Land und verbreitet mit äußerster Brutalität Angst und Schrecken. Landflucht setzt ein. Bald gerät Gunsmoke völlig außer Kontrolle, weshalb selbst Passendale um Hilfe von außen, sprich vom Staat, bittet. So kommt es, dass ein Regierungsvertreter einen echten Westernhelden engagiert, um Gunsmoke den Garaus zu machen: Texas Jack. Nur gibt es da ein Problem. Texas ist zwar der Star einer Wild West Show und ein echter Meisterschütze, hat aber von der Realität des Wilden Westens keinen Dunst. Wie auch seine Darsteller-Kollegen Amy O’Hara („Die Tigerin mit der Peitsche“), Wild Ryan Greed (der Buffalo Bill ähnelt) und der kuriose schwarze „Indianerhäuptling“ Kwakengoo, genannt „die schwarze Rothaut“.

Pierre Dubois (Autor), Dimitri Armand (Zeichner): „Texas Jack“.
Aus dem Französischen von Tanja Krämling. Splitter Verlag, Bielefeld 2019. 128 Seiten. 24 Euro

Die vier arbeiten streng nach Script und führen in ihrer Show typische Western-Events, wie Postkutschenüberfälle vor, bei denen natürlich stets das Gute obsiegt. Jeder bekam eine fantasievolle Vita verpasst, Texas Jack selbst ist zudem der Held einer Groschenheftserie, die die fiktiven Taten des vermeintlichen Edelmannes („King of the Savage Frontier“) schildert, als fingierte Legende des Wilden Westens. Überraschenderweise übernehmen Texas und seine Mitstreiter den gefährlichen Auftrag (der dann doch etwas verharmlost wird, schließlich soll man sich mit der Armee treffen, um Gunsmoke das Handwerk zu legen) und ziehen gen Wyoming. Dort begegnen sie nach kurzer Zeit einer anderen Truppe, diesmal waschechte Westerner, die das gleiche Ziel verfolgt: Marshal Sykes und seine Leute. Sykes nimmt die „falschen“ Helden eher widerwillig unter seine Fittiche, was nicht ohne (amouröse) Spannungen bleibt, für die in erster Linie Amy O’Hara sorgt, die eigentlich mit Texas liiert ist. Trotzig reitet dieser dann eigenmächtig gegen Gunsmoke – und damit auch in sein Verderben?

Im ersten Teil des Bandes, nachdem Gunsmoke als Erzschurke vorgestellt ist, verpasst Autor Pierre Dubois der Story einen wunderbaren, raffinierten Kniff: Er entmystifiziert den Western, indem er ihn mit seinen eigenen Stereotypen in Form der Show-Helden um Texas konfrontiert. Zuerst werden im hermetischen Wildwest-Zirkus die Klischees des Westerns vorgeführt, die sich bis heute gehalten haben. Als dann Texas und seine Mitstreiter auf die Realität losgelassen werden, sorgt das für diverse Schmunzler beim Leser, beispielsweise als sich der Lokführer beim Ausladen der Truppe über deren Outfits lustig macht oder als man sich mit den angedichteten Lebensläufen auseinandersetzt. Ernst wird es dann, als man erstmals auf Sykes und seine Leute trifft, was in einer rasanten, aus etlichen filmischen Close-Ups bestehenden Schießerei gipfelt, die von Zeichner Dimitri Armand beeindruckend inszeniert ist. Sykes, der hier eine größere Nebenrolle spielt, bekam vom gleichen Kreativteam übrigens bereits einen eigenen Band spendiert.

In der zweiten Hälfte des Bandes, als es gegen Gunsmoke und seine Bande geht und Texas seinen vermeintlichen Alleingang startet, schwächelt die Handlung etwas, die sich ansonsten angenehm viel Zeit für ihre Entwicklung nimmt. Was mit einem Twist zusammenhängt, für den Gunsmoke sorgt und der nicht ganz glaubwürdig präsentiert wird. Er führt die Story etwas ad absurdum, treibt aber die gängigen Western-Klischees bis an ihre Grenze (Ruhm und Ehre – Gunsmoke will sich als größter Show-Man inszenieren), wobei Texas dann doch seine Qualitäten im „echten Leben“ unter Beweis stellen darf. Der Höhepunkt wird schließlich als erneute epische Schießerei auf einer ebenso epischen kompletten Doppelseite als Wimmelbild von Armand präsentiert. Am Ende – so viel sei gesagt – kehren die Mythen des Westens wieder in ihren angestammten Western-Zirkus (den einst „Buffalo Bill“ Cody auch in Deutschland präsentierte) zurück, bereichert um einen weiteren schillernden Charakter. Frei nach dem berühmten Western-Motto: „Wenn die Legende zur Wahrheit wird, druck die Legende!“

Dieser Text erschien zuerst auf: Comicleser.de

Bernd Weigand ist schon über vier Jahrzehnte in Sachen Comics unterwegs: lesen, sammeln, übersetzen. Schreibt auch seit 20 Jahren über Comics, seit 2010 auf comicleser.de.

Seite aus „Texas Jack“ (Splitter Verlag)