„Bessy“ – Teil 1 Oder: Wie eine Collie-Hündin zu einer Verlags-Ikone wurde

© Bastei-Lübbe Verlag, Studio Vandersteen

Seit 1977 schrieb der Schriftsteller und Comicautor Peter Mennigen zunächst deutsche Geschichten für Comicreihen wie „Gespenster Geschichten“, „Spuk Geschichten“, „Conny“, „Biggi“, „Vanessa“, „Felix“, „Lasso“, „Phantom“, „Axel F.“ und zahlreiche weitere Serien des Bastei Verlags. Ab den 90er Jahren arbeitete er für andere Verlage wie Egmont (Disney-Magazine), Panini (Jessy, Sternentänzer, Willi will‘s wissen) und Ravensburger (u.a. Fix und Foxi). In dieser Zeit verfasste er auch internationale Comics: „Lucky Luke“, „Schlümpfe“, „Bessy“ und „Isnogud“. Aktuell arbeitet er zusammen mit Ingo Römling an der Mystery-Serie „Malcolm Max“. Für comic.de blickt er zurück auf seine Arbeit im deutschen Comicverlagsgeschäft.

Hier findet sich Teil 2.

Der Erfolg der Bastei-Comic-Produktion beruhte auf zwei Serien: „Felix“ und „Bessy“. Sie bildeten die Grundlage, auf der der Verlag in den 1960er und 1970er Jahren ein wahres „Comic-Imperium“ errichtete. Dabei begann die Karriere von „Bessy“ in Deutschland mit einem klassischen Fehlstart.

Es war im Juli 1958, als das noch in den Kinderschuhen steckende – und bis dahin ausschließlich Romanhefte produzierende – Unternehmen des Verlegers Gustav Lübbe sein erstes Comicheft veröffentlichte. Titel: „Felix, der Kater“. Dessen Verkaufszahlen übertrafen offensichtlich die Erwartungen, weswegen man bereits drei Monate später ein zweites, sich an eine etwas ältere Leserschaft wendendes Comic-Magazin hinterher schob: „Pony“. Neben frankobelgischen Serien wie „Tim und Struppi“ war auch das erste „Bessy“-Abenteuer Bestandteil von „Pony“. Die Westernserie um den jungen Ranchersohn Andy Cayoon und dessen Colliehündin stammte von dem belgischen Comiczeichner und Autor Willy Vandersteen. Seit 1952 erschienen ihre Abenteuer in Frankreich und Belgien. Im Gegensatz zu „Felix“ war „Pony“ – und somit ebenfalls „Bessy“ – nur ein relativ kurzes Dasein beschert. Bereits im Juli 1960 wurde das Magazin wieder eingestellt.

Bessy #1 erschien im Februar 1965 mit einer Startauflage von 220.000 Exemplaren. Nach sechs Monaten wurde der Erscheinungsmodus von monatlich auf vierzehntäglich – und ab Heft #58 auf wöchentlich umgestellt.
Coverartwork: ?
Quelle: https://www.bessy-comic.de/
Scan: Harald Burmester
Copyright: Bastei-Lübbe Verlag, Studio Vandersteen

Als Kind hatte ich ab und an „Felix“ gelesen. Die Geschichten um den schwarzen Kater fand ich ganz unterhaltsam, doch so richtig begeistern konnten sie mich nicht. Das änderte sich mit der Ausgabe 135. In diesem Heft wagte der Verlag einen zweiten Anlauf mit „Bessy“ und veröffentlichte die Abenteuer der Collie-Hündin fortan in Fortsetzungen. Was sich als Glücksgriff entpuppen sollte. Nicht zuletzt aufgrund des ernormen Erfolges von „Bessy“ publizierte man in „Felix“ ab September 1962 eine zweite Comicserie von Vandersteen: „Ulla und Peter“ (im Original: „Suske und Wiske“).

Für mich als Leser war „Bessy“ – vor der Veröffentlichung vergleichsweise harter und realistischer Comic-Western wie „Blueberry“ oder „Comanche“ – das Maß der Dinge in diesem Genre. Zu der Zeit hätte ich es mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorzustellen vermocht, dass ich eines Tages Geschichten sowohl für „Felix“ als auch „Bessy“ schreiben sollte. „Bessy“ avancierte bei der „Felix“-Leserschaft zum Publikumsliebling. Wegen der positiven Resonanz und der damit verbundenen Auflagensteigerung von „Felix“ spendierte der Verlag der Colliehündin schließlich ein eigenes Magazin.

Im Februar 1965 kam das erste „Bessy“-Heft auf den Markt. So wie die meisten „Bastei“-Serien enthielt jede Ausgabe eine abgeschlossene Geschichte. Anfangs erschien die Serie monatlich, doch schon nach einem halben Jahr erfolgte die Umstellung auf eine vierzehntägliche Produktion. Für uns Leser war das zwar eine erfreuliche Entwicklung, zog andererseits aber Probleme bei der Herstellung nach sich. Wegen der schnellen Veröffentlichungssequenz in Deutschland konnte Vandersteen das Arbeitspensum allein nicht mehr bewältigen. Deswegen engagierte er zusätzliche Zeichner für sein Studio. Darunter auch Frank Sels, der später mit seiner eigenen Serie „Silberpfeil“ großen Erfolg hatte.

Mein „Umstieg“ vom „Bessy“-Leser zum „Bessy“-Autor erfolgte irgendwann in der ersten Jahreshälfte 1978. Zu dem Zeitpunkt schrieb ich für Bastei jede Woche vier bis fünf Skripte für die Serie „Gespenster Geschichten“ und jeden Monat eine „Phantom“-Story für die etwas kürzere Zweitgeschichte in den großformatigen „Phantom“-Heften. Inzwischen hatte ich mich als Autor bei der Jugendredaktion so weit etabliert, dass einer Erweiterung meines Aufgabenbereichs von Seiten der Redaktion offenbar nichts mehr im Wege stand. Zum einen lieferte ich regelmäßig Geschichten ab, die nach Auffassung der Redakteure veröffentlichungswürdig waren. Zum anderen hielt ich verlässlich die Deadlines ein.

Editorial aus Bessy #1.
Quelle: https://www.bpandiani.ch/bessy-erstausgabe-pdf-1-40/
Scan: Bruno Pandiani
Copyright: Bastei-Lübbe Verlag, Studio Vandersteen

Im Frühjahr 1978 fand ich „ohne Vorwarnung“ einen dicken DIN-A4-Brief von Bastei in der Post. Der Umschlag enthielt 26 Comicseiten als Schwarzweiß-Kopien auf dickem Fotopapier. Darauf abgebildet waren die Illustrationen eines neuen „Bessy“-Comics, indes ohne Text. In einem beiliegenden Schreiben teilte mir Werner Geismar mit, ich solle die Sprechblasen für die Story schreiben.

Bis dahin erachtete ich das Verfassen neuer Geschichten für Lee Falks „Phantom“-Serie als das Nonplusultra, das ich in Deutschland als Comicautor erreichen konnte. „Bessy“ von Willy Vandersteen war für mich eine mindestens ebenso große Nummer. Der belgische Zeichner war eine Legende. Und mit ihm durfte ich jetzt zusammenarbeiten, wenngleich „nur“ als Texter einer bereits fertigen Story. Das stachelte meinen Ehrgeiz trotzdem enorm an.

Eins gestaltete die Sache allerdings etwas tricky: Den Illustrationen lag kein Skript bei. Natürlich existierte irgendwo ein Skript, wie sonst hätte der Zeichner die Geschichte umsetzen können? Vermutlich stammte das Szenario von Vandersteen, oder einem Mitarbeiter seines belgischen Studios. Bastei sparte sich die aufwendige Übersetzungsarbeit aus dem Flämischen bzw. Französischen und die damit verbundenen Kosten. Man meinte, ich würde daraus schon irgendwas Lesbares kreieren. Was anderes blieb mir auch nicht übrig. Wobei ich das überaus ambitionierte Ziel verfolgte, sprachlich bei „Bessy“ meinem damaligen Vorbild „Blueberry“ von Jean-Michel Charlier möglichst nahezukommen.

Das fertige Dialogdrehbuch schickte ich termingerecht an Bastei. Doch statt eines erhofften Lobs wegen der ausgefeilten Dialoge erhielt ich eine Abfuhr. Ich hätte den Inhalt der Story erfasst, alles richtig in den Dialogen wiedergegeben und der Text sei gut, aber zu komplex. Der Textumfang einer Sprechblase sollte bei Bessy (wie bei den anderen Bastei-Serien) ein bis zwei Sätze nicht überschreiten. Außerdem dürfe es pro Panel maximal bloß einen Dialog als „Rede und Gegenrede“ geben. Schließlich wolle man den Leser nicht überfordern. Eine weitere Einschränkung war: Keine Anglizismen bei der Lautschrift. Also kein amerikanisches BANG bei Schüssen, sondern ein deutsches PENG oder PÄNG. Meine Texte nahm man trotzdem und kürzte sie redaktionsintern entsprechend den eigenen Vorgaben.

Erste Seite der deutschen Bessy #1.
Artwork: Karel Verschuere
Quelle: https://www.bpandiani.ch/bessy-erstausgabe-pdf-1-40/
Scan: Bruno Pandiani
Copyright: Bastei-Lübbe Verlag, Studio Vandersteen

Nach dem „Desaster“ rechnete ich eigentlich nicht damit, noch einmal etwas für „Bessy“ schreiben zu dürfen. Zu meiner Überraschung erhielt ich noch in derselben Woche meines Rückschlags die Schwarzweißabzüge eines weiteren „Bessy“-Comics, inklusive Auftrag, die Sprechblasentexte dafür zu verfassen. Wieder lag den Illustrationen kein Skript bei, aus dem ich den Inhalt der Geschichte hätte entnehmen können. An dem Prozedere sollte sich auch künftig, während meiner gesamten Tätigkeit als „Bessy“-Texter, nichts ändern.

Herauszufinden, um was es in der jeweiligen Geschichte überhaupt ging und in welcher Konstellation die einzelnen Figuren zueinander standen, nahm beinahe den größten Teil des Arbeitsprozesses in Anspruch. Bei dem Text hielt ich mich fortan an die Vorgaben: Kurz, knapp, deutsche Lautschrift. Für mein zweites Dialogskript erhielt ich kein Feedback vom Verlag, was immer ein gutes Zeichen war. Stattdessen bekam ich postwendend eine weitere „Bessy“-Geschichte zum Texten. So ging das etwa sieben, acht Monate lang Woche für Woche. Dann erfolgte eine für mich vollkommen unerwartete drastische Umstellung von Seiten des Verlags.

Im Frühjahr 1979 rief mich Werner Geismar an und erkundigte sich, ob ich ab sofort die „Bessy“-Geschichten schreiben wolle. Die Redaktion war mit den aus Belgien gelieferten Geschichten unzufrieden, da sie ihrer Ansicht nach immer schematischer wie im Akkord runtergetippt waren. Für mich war der Auftrag so etwas wie der Heilige Gral. Nicht nur, dass ich die Abenteuer eines Lieblingscomics meiner Jugend schreiben durfte, ich arbeitete jetzt quasi direkt mit Vandersteen zusammen. Dass er – bzw. die Zeichner seines Studios – meine „Bessy“-Geschichten zeichnen würden, empfand ich als Ehre, aber ebenfalls als große Verantwortung.

Auszug aus der ersten deutschen Bessy Ausgabe.
Artwork: Karel Verschuere
Quelle: https://www.bpandiani.ch/bessy-erstausgabe-pdf-1-40/
Scan: Bruno Pandiani
Copyright: Bastei-Lübbe Verlag, Studio Vandersteen

Vorgaben von Bastei für die „Bessy“-Geschichten gab es keine. Ich brauchte auch keine. Dachte ich zumindest. Schließlich hatte ich mich als Leser intensiv mit den Geschichten beschäftigt. Mit einem – rückblickend gesehen – verblüffenden Selbstvertrauen machte ich mich voller Enthusiasmus ans Werk. In meine erste Geschichte packte ich alle Elemente, die ich an der Serie so geliebt hatte und die den Comic in meinen Augen zu etwas Besonderem machten: ein ausgefallenes Setting verknüpft mit einer Tiergeschichte als Nebenhandlung. Dazu ab und an eine Faktenbox mit Wissenswertem über Tiere und Gegenstände, die in der Story eine Rolle spielten, oder über die Indianerkultur.

Überzeugt, Bastei ein gutes Exposé geliefert zu haben, erwartete ich das Feedback, was auch nicht lange auf sich warten ließ. Allerdings lautete es anders als gewünscht. Der als „Bessy“-Redakteur fungierende Kurt Köppe ließ anfragen, ob ich beim Schreiben des Exposés vielleicht Meskalin geraucht hätte. Bessy in Nebenhandlungen mit leicht vermenschlichten Tieren agierend, dazu die eingeschobenen Fakten-Boxen, damit kam er überhaupt nicht zurecht. Was wahrscheinlich daran lag, dass er die Vandersteen-Geschichten aus den 1960er Jahren nie gelesen hatte.

Leicht desillusioniert startete ich einen zweiten Versuch. Diesmal konzipierte ich eine geradlinige Story ohne Nebenhandlung mit Tieren oder Faktenvermittlung. Inhaltlich also beschränkt auf: Problem aufwerfen, Problem lösen. Mit dem Storyverlauf waren schließlich alle zufrieden. Bis zur Einstellung der Serie, die zu dem Zeitpunkt noch in weiter Ferne lag, gab es nie wieder inhaltliche Meinungsverschiedenheiten zwischen der Redaktion und mir.

Fortsetzung folgt…

Einige Künstler des Studios Vandersteen waren: Frank Sels, Edgar Gastmans, Karel Verschuere, Eduard De Rop, Eugeen Goossens, Karel Biddeloo, Paul Geerts, Patrick van Lierde, Ronald Van Riet, Eugeen Goossens und Walter Laureyssens.
Coverartwork: Klaus Dill
Quelle: https://www.bessy-comic.de/
Scan: Harald Burmester
Copyright: Bastei-Lübbe Verlag, Studio Vandersteen


Eines meiner Bessy-Frühwerke.
Coverartwork: Studio Ortega
Quelle: https://www.bessy-comic.de/
Scan: Harald Burmester
Copyright: Bastei-Lübbe Verlag, Studio Vandersteen


Ein weiteres meiner Bessy-Frühwerke.
Coverartwork: Studio Ortega
Quelle: https://www.bessy-comic.de/
Scan: Harald Burmester
Copyright: Bastei-Lübbe Verlag, Studio Vandersteen


Und noch eine Ausgabe meiner ersten Bessys.
Quelle: https://www.bessy-comic.de/
Scan: Harald Burmester
Copyright: Bastei-Lübbe Verlag, Studio Vandersteen


1973 erschienen bei Europa sogar mehrere „Bessy“-Höspiele.

Der Illustrator Ertuğrul Edirne gestaltete für Bastei (und andere Verlage) viele großartige Titelbilder. Freundlicherweise stellte er mir einige seiner Werke zur Verfügung, die er für „Bessy“ angefertigt hat. Die meisten seiner Illustrationen präsentiere ich im zweiten Teil meiner kleinen „Bessy“-Rückschau.

Die obere Reihe zeigt vier „Bessy“-Cover der Originalreihe von Willy Vandersteen.
Darunter sind die ersten „Bessy“-Titelbilder der „Bastei“-Serien „Pony“ und „Felix“.
Copyright: Bastei-Lübbe Verlag, Studio Vandersteen


Für Fans fertigte Ertuğrul Edirne mehrere „Bessy“-Illustrationen nach den Motiven der „Pony“- und „Felix“-Cover an.
http://www.ertugrul-edirne.de/
Copyright: Ertuğrul Edirne, Bastei-Lübbe Verlag, Studio Vandersteen


Copyright: Ertuğrul Edirne, Bastei-Lübbe Verlag, Studio Vandersteen