Woher kommt bloß diese Herablassung, die schon das erste Bild der Comicgeschichte „Die Halle der edlen Schnitzwerke“ verströmt? Ist diesem würdevoll verhüllten Vogel etwa ein blasiertes Lächeln ins Gesicht gezeichnet? Wirken dessen Finger zu zerbrechlich, um ernsthaft den Staub mit dem Federwedel von den Gemälden an der Wand zu entfernen? Oder ist es der Text unter dem Bild, in dem dieser Vogel in einer Klimax sich selbst all das zuschreibt, was gerade als begehrenswert gilt – von einem wohlgeformten Körper bis hin zu Reichtum und Macht.
Hierarchien in der Kunstwelt
Anna Haifisch: „Ich wollte da auch gerne so einen Blick auf die Kunstwelt lenken, dass es da teilweise so schlimme Hierarchien gibt, was ja teilweise schlimmer ist als in der Armee, und das Verhältnis der Künstler zu Sammlern, zu Mäzenen, zu Galeristen und zu Kuratoren, das so ein bisschen überspitzt zusammengefasst in dieser Geschichte.“
Bislang hat Anna Haifisch den Kunstbetrieb aus der Sicht des gebeutelten Künstlers persifliert – für „Die Halle der edlen Schnitzwerke“ dreht sie den Spieß um. Hier blickt eine Mäzenin von ihrer Kunsthalle auf dem Gipfel des Berges auf die Künstler herab, die sich um sie scharen. „Künstlerkolonie“ nennt sie die Ansammlung der ärmlichen Hütten am Fuße des Bergs possierlich – und degradiert die Kunst, die dort entsteht, als plump, verschroben und schwachsinnig. Drei brauchbare Werke wählt die Mäzenin jedes Jahr für ihre Sammlung aus, den Rest verbrennt sie.„Das ist natürlich absolut boshaft, aber ich habe mich auch oft gefragt: ‚Was passiert eigentlich mit den Dingen, die angekauft werden von großen Museen oder Institutionen?‘ Und das wandert dann oft auch in ganz dunkle Ecken, in Archive, wird fein eingepackt, und so geht es ja auch den Kunstwerken in der Geschichte, dass nur noch die Mäzenin darüber wacht und ab und an ein wenig Staub fächelt und die Öffentlichkeit und die Künstler überhaupt nichts mehr davon haben.“
Tierisch entspannt mit Origami
Anna Haifisch erzählt ihre Geschichten mit dürren, aufrecht gehenden Tierfiguren, die ihr Markenzeichen sind. Auch das schrille Gelb, Grün und Orange, das sie verwendet, ist typisch – und macht immer wieder klar, wie kraftvoll schillernd die Fassaden sind, hinter die Anna Haifisch mit ihren Farben blickt. Nur die Geschichte „Fuji-San“ ist mit einfachen blass-violetten Strichen gezeichnet.
„Das ist ja so eine Art Rückblick von einem alten Hasen auf das bisherige Leben, der sich am Fuße des Mount Fuji niedergelassen hat und dort über sein Leben sinniert und feststellt, dass das alles nichts war bisher und sich dann nur noch den Künsten widmet, also Origami und Zeichnen, und sich dann auch noch der Pflege eines traumatisierten Hähnchens widmet und damit total zur Ruhe kommt.“
Das ist so überzeichnet, dass es schon wieder komisch wirkt. Und zugleich ist die Aussage klar: Nur wer sich dem Wettbewerb um Aufmerksamkeit entzieht, kann zu sich selbst kommen. Versteckt sich dahinter etwa eine Sehnsucht der Künstlerin?
„Das ist ja in der heutigen Zeit ein bisschen schwer, sich da zurückzuziehen, wie das früher vielleicht der Fall war, dass man sich in sein Atelier zurückzieht und dann zwei Jahre später mit einem Meisterwerk wieder rauskommt, das kann man sich ja heute gar nicht mehr leisten. Dann fragt man sich: ‚Ist sie tot oder was ist los mit ihr?‘ Und ich bin mir nicht sicher, ob ich mir das selber wünschen würde, ganz allein in einer alten Holzhütte am Fuße von Mount Fuji zu sitzen, aber in der Geschichte tut es dem Hasen ganz gut.“Und der Titel für die Sammlung dieser perfider Persiflagen lautet: „Schappi“.
„Ich fand das Wort so gut, und das ist auch kein Zufall, dass das an so schleimiges Dosenfutter erinnert, ich fand das passt gut zu so einer Sammlung von Tiergeschichten.“
Konferenz der Tiere
„Schappi“ passt besonders gut zu der gezeichneten Kurzgeschichte „Das Mausglas“. Da treffen sich so unterschiedliche Tiere wie Hyäne, Krokodil, Schlange, Wiesel und Maus zu einer weltumspannenden Konferenz, an deren Ende Wohlstand und Frieden für alle beschlossen werden sollen. Natürlich muss das schiefgehen, das liegt ja schon in der Natur der fleischfressenden Tiere. Doch darüber hinaus wird auch aufs fieseste gegen andere Arten intrigiert.
„Wir haben alle so die Bilder von den G7-, 8-, 20-Treffen vor Augen aus den Medien, die wütende Bevölkerung auf der Straße – und dann Cut, und dann sieht man die Staatschefs dinieren in geschmackvollem Ambiente. Und da war ja auch dieser Vorfall, wo Macron die Hand von Trump ein bisschen zu lange geschüttelt hat; und all diese kleinen Spitzfindigkeiten und diese Racheakte unter all diesen Leuten, das fand ich tierisch interessant. Und auch, dass so ein Gipfel natürlich so etwas ganz Menschliches hat, dass die Allianzen bilden, die vielleicht überhaupt keinen Sinn ergeben, aber auf persönlichen Vorlieben beruhen. Das ist total fiktiv, ich war ja nicht dabei, aber es hat Spaß gemacht, sich das alles vorzustellen.“
Köstlich wird „Das Mausglas“ auch wegen der Anspielungen auf die reale Politik: Es ist das Stinktier, das eine Hand ein bisschen zu lange schüttelt, und die Hyäne trägt einen russischen Namen. Und weil Anna Haifisch für diese Zusammenkunft immer wieder die schlimmstmöglichen Wendungen erfindet. Der Leipziger Comickünstlerin gelingt es, mit knappen Zeichnungen die schönen Worte und Gesten der Mächtigen – und der nicht ganz so Mächtigen – zu entlarven. Nur wenige beherrschen die kurze Form so meisterhaft wie Anna Haifisch.
Dieser Text erschien zuerst am 25.09.2019 in: Deutschlandfunk
Andrea Heinze arbeitet als Kulturjournalistin u. a. für kulturradio rbb, BR, SWR, Deutschlandfunk und MDR.