Kein kalter Stahl mehr – „Ascender“

Phantastische Zeiten. Und schreckliche. Denn nur etwa zehn Jahre nach der ultimativen Katastrophe durch die Harvester herrscht eine mächtige Magierin, die sich „Mutter“ nennt, über die Welten des ehemaligen United Galactic Councils (UGC). Es ist eine Terrorherrschaft. Raumschiffe und moderne Technik sind verboten – was noch gefunden wird, wird vernichtet. Die wenigen überlebenden Bewohner und Kulturen des UGC fallen zivilisatorisch weit zurück oder werden versklavt. Mutter reist mithilfe von lebenden, drachenartigen Schiffen zwischen den Welten. Ihre Schergen, die sich Vampire nennen, kontrollieren und überwachen alles. Auf Sampson, der einstigen Stadtwelt, lebt zurückgezogen Andy mit seiner Tochter Mila. Das aufgeweckte Mädchen begibt sich immer wieder in Gefahr, und als ihr wie aus dem Nichts Bandit, Andys alter Roboterhund, vor die Füße fällt, bleibt dies durch Anti-Technik-Zauber den verdammten Besatzern nicht verborgen. Nur knapp gelingt Vater und Tochter die Flucht. Ihr Ziel ist Telsa, inzwischen eine versoffene Kapitänin. Mit ihrer Hilfe und einem illegalen Raumschiff soll die Flucht von Sampson gelingen…

Jeff Lemire (Autor), Dustin Nguyen (Zeichner): „Ascender Band 1“.
Aus dem amerikanischen Englisch von Bernd Kronsbein. Splitter Verlag, Bielefeld 2019. 136 Seiten. 19,80 Euro

Schon am Ende des letzten „Descender“-Bandes übernahm Mila die Rolle der Erzählerin und schuf damit die Brücke zur Nachfolgeserie, deren erster Sammelband nun bei Splitter vorliegt. Autor Jeff Lemire (u. a. „Gideon Falls“, „Black Hammer“) lässt jetzt ganz viel Magie in die Geschichte einfließen, wobei das Genre nicht komplett gewechselt wird. Keine reine Fantasy, noch immer Science Fiction. Aber in nur zehn Jahren hat sich viel verändert. Mutter, von der wir noch nicht wissen, wer sie ist und woher sie kam, führt ein despotisches Regime. Sie residiert in einer schwebenden Festung auf der ehemaligen Wasserwelt Mata. Doch trotz der vermeintlich allsehenden, pseudoreligiösen Diktatur gibt es im Verborgenen noch immer UGC-Rebellen, die gnadenlos gejagt werden. Und wie es scheint, haben die ein neues Ass im Ärmel. Denn auch auf deren Seite scheint ein mächtiger Magier zu wirken, der Mutter und ihrer Herrschaft gefährlich werden kann – und wohl auch wird.

„Ascender“ zeigt alte Bekannte in neuen Rollen. Wer die Vorgängerserie kennt, fühlt sich schnell vertraut und gleichzeitig überrascht. Andy in der Vaterrolle, Telsa als desillusionierte Trinkerin, und ganz sicher werden wir noch weiteren Charakteren aus „Descender“ begegnen. Naturgemäß wirft der erste Band, der wie so oft bei Lemire von Beginn an zu fesseln vermag, viele Fragen auf. Neben Mutters Herkunft bleibt noch offen, woher Bandit kommt und wie er Andy findet, wurden doch alle Roboter von den Harvestern „entführt“. Und wie hielt in der vergleichsweisen kurzen Zeitspanne von zehn Jahren die Magie Einzug in die UGC-Welten? Lemire schafft eine Mischung aus SF und Fantasy, durchzogen von diversen Prisen „Star Wars“: Mutter erinnert mit ihrer schwarzen Kutte an die Sith, die Macht wird zur reinen Magie, die offenbar nur wenigen vorbehalten ist; Bandit zeigt wie R2D2 eine unbekannte Sternenkarte, und die Rebellen, die einen Guerilla-Krieg führen, haben in Gestalt ihres eigenen Magiers eine neue mächtige Waffe. Dass sich die Wege von Andy/Mila damit kreuzen, scheint klar.

Mit an Bord ist natürlich auch wieder Zeichner Dustin Ngyen, der seinem Stil treu bleibt und in feiner, reduzierter Aquarell-Maltechnik die Fantasy-Elemente inszeniert. Kein kalter Stahl mehr, keine kargen Raumschiff-Korridore, stattdessen bunte Natur und Lebewesen und Gezücht aller Art. Riesige fliegende Schildkröten durchpflügen den Himmel über Sampson, das Markttreiben wird von insektenartigen Gnomen überwacht, die „Mutters Wort“ verbreiten. Die Action in Form der epischen Verfolgungsjagd, der Flucht von Andy und Mila, ist großflächig arrangiert, wobei die sorgsam aufgetragenen, gerne auch zerfließenden Farben den heimischen Look des Vorgängers erzeugen. Ein schöner, gelungener Auftakt. Und sind wir mal ehrlich: Das war auch nicht anders zu erwarten. Band 2 ist in Vorbereitung und erscheint im Juli dieses Jahres.

Dieser Text erschien zuerst auf: Comicleser.de

Bernd Weigand ist schon über vier Jahrzehnte in Sachen Comics unterwegs: lesen, sammeln, übersetzen. Schreibt auch seit 20 Jahren über Comics, seit 2010 auf comicleser.de.

Seite aus „Ascender“ (Splitter Verlag)