Hubert Boulard (1971-2020)

Bild aus "Petit" (Reprodukt)

„Mein eigenes Leben erschien mir zu banal, als dass es das Thema eines Buchs wirkungsvoll würde transportieren können“, schreibt Hubert im Vorwort seines letzten Buchs, „Peau d’Homme“. Ein Buch, das Huberts Wut angesichts der Massenproteste 2013 gegen die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe in Frankreich Gestalt verleiht. „Ich habe es vorgezogen, eigene Erfahrungen und persönliche Emotionen in einem Werk der Fiktion zu verarbeiten, um sie so zu schärfen und schlagkräftiger zu machen.“ „Peau d’Homme“, eine im Italien der Renaissance angesiedelte Erzählung über eine junge Frau, die den ihr von den Eltern zugewiesenen Ehemann in spe in der Haut eines Mannes inkognito kennenlernen möchte, kann stellvertretend für Huberts Schaffen betrachtet werden: In Form einer Komödie lotet er hier unser Verhältnis zu Geschlecht und Sexualität aus und stellt überkommene Moralvorstellungen infrage.

© Reprodukt

Die eigene Identitätssuche und das schwierige Ringen um ein selbstbestimmtes Leben verpackt Hubert in eine fantastische Schauergeschichte („Petit“, mit Bertrand Gatignol); seine Gedanken zum Hedonismus und schönen Schein unserer Gesellschaft kleidet er ins Gewand des Märchens („Schönheit“, mit Kerascoët); um männliche Macht und ihre Perversion geht es ihm in einer an Oscar Wild’sche Werke gemahnende Erzählung aus dem viktorianischen London („Monsieur Desire?“, mit Virginie Augustin). Im zeitgenössischen französischen Comic zählt Hubert zu den doppelbödigsten Autoren. Seine Bücher haben etwas zu sagen, sind stets persönlich, vergessen darüber aber nie zu unterhalten. Im Zeitalter allgegenwärtiger autobiografischer, biografischer oder historischer Graphic Novels setzt Hubert für seine Inhalte ganz bewusst auf Genregeschichten und sich selbst zwischen die Stühle einer oftmals von Schubladen bestimmten Comicwelt.

1971 im bretonischen Saint Renan geboren, studierte Hubert Boulard Kunst, ehe er sich zunächst als Kolorist einen Namen machte. Seine sensible Farbgebung findet sich in Werken von Comicgrößen wie Paul Gillon, Kerascoët, David B., Jason oder Olivier Schwartz, zudem in den „Spirou“-Comics seines Freundes Yoann. 2002 begann Hubert dann, als Autor zu arbeiten. Mit dem Zeichner Hervé Tanquerelle entstand so die Serie „Le Legs de L’Alchimiste“, gefolgt von „Fräulein Rühr-Mich-Nicht-An“ (mit Kerascoët). Der Vierteiler um das junge Zimmermädchen Blanche, das im Pariser Rotlichtmilieu der Zwischenkriegsjahre nach dem Mörder ihrer Schwester fahndet, ist zugleich wendungsreiches Drama, spannender Krimi und spöttisches Sittengemälde der europäischen Hautevolee und bescherte Hubert den Durchbruch als Autor.

In der Folge entstanden mit Zeichner*innen wie Marie Caillou („Luft & Liebe“, Carlsen), Zanzim oder Paul Burckel eine ganze Reihe Geschichten, in deren Zentrum vermeintlich gebrochene Individuen stehen. Huberts Interesse galt dabei immer in erster Linie den Figuren, er wollte hinter die Fassaden schauen, die unterschiedlichen Umstände und Traumata erkunden, die den Menschen formen und ausmachen. 2015 wurde Hubert für sein Schaffen mit dem Prix Jacques Lob ausgezeichnet.

Hubert war zeit seiner Karriere aber auch ein engagierter Streiter für die Rechte seines Berufsstands und steter Mahner der prekären finanziellen Situation vieler Comiczeichner*innen in Frankreich und Belgien.

Die Veröffentlichung von „Peau d’Homme“ im April wird Hubert leider nicht mehr erleben. Am 13. Februar 2020 ist er im Alter von nur 49 Jahren gestorben.

Reprodukt trauert um einen geschätzten Autor und einen intelligenten, humorvollen, streitbaren und überaus liebenswerten Freund.

Ein längeres Interview mit Hubert zum Erscheinen seines Buches „Schönheit“ kann hier nachgelesen werden.

Dieser Nachruf erschien zuerst im Blog des Reprodukt-Verlags.

Michael Groenewald arbeitet als Comiclektor für Reprodukt und den Carlsen-Verlag.