Der australische Comic-Autor Simon Hanselmann lässt die Hexe Megg in Amsterdam einen Blick ins Dunkel werfen.
Die Hexe Megg ist eigentlich alles andere als zauberhaft. Sie lebt dauerbenebelt in einer chaotischen Kiffer-WG, zusammen mit ihrem Freund Mogg, der eine Katze ist, sowie Eule, einer anthropomorphen Eule, der einer geregelten Arbeit nachgeht, während Megg und Mogg alles, was Normalität bedeuten könnte, verhöhnen und negieren.
Der kürzlich erschienene Comic „Hexe Total in Amsterdam“ des australischen Zeichners Simon Hanselmann ist der dritte ins Deutsche übersetzte Band der „Hexe Total“-Reihe und ruft die bereits bekannten Charaktere auf die Bühne.
High-Sein als Lebensziel
Schon in den vorhergegangen Bänden haben Megg, Mogg und ihre Zeitgenossen intensive Einblicke in ihren von Depression und Überdruss geprägten Alltag gewährt. Durch Sex- und Drogenexzesse und Figuren wie Werwolf Jones wird das unterhaltsame Klischee der harmlosen Kiffergeschichten bald ins kaum auszuhaltende Extrem getrieben. Darin liegt zunächst etwas Anarchisches: Nicht ein Ziel, wie etwa beruflicher Erfolg oder ein besser Mensch zu werden, ist Ansporn und Lebenssinn, sondern jede erdenkliche Art des High-Werdens.
Wie seine Vorgänger ist „Hexe Total in Amsterdam“ eine Sammlung kurzer Geschichten, die lose durch ein übergeordnetes Thema verbunden sind. Hier setzt sich Megg zunehmend mit ihrer desolaten Beziehungssituation auseinander. Ihre Tablettenabhängigkeit wird zum tragenden Thema, ihre Einsamkeit innerhalb der WG nimmt mehr Raum ein. Megg stellt fest, dass sie keine richtige Freundin hat. Zwar ist sie noch mit Mogg zusammen, doch seine Stumpfheit stößt sie zunehmend ab und sie fühlt sich zu jemand anderem hingezogen.Leben und Lesen im depressiven Trott
Trotzdem versucht sie, ihre Beziehung zu retten. Eine Reise soll helfen – da ist es naheliegend, dass das Pärchen in die Kiffer-Hochburg Amsterdam fliegt. Dort könnten die beiden im Paradies schwelgen, wenn sie nicht ihre Antidepressiva vergessen hätten. Meggs Ratlosigkeit und ihre Angst vor einem Leben jenseits des Rauschs werden in „Hexe Total in Amsterdam“ besonders offenbar. Megg möchte ihre Probleme lösen, doch schafft sie es nicht allein.
Hanselmann verwendet für seine kurzen Episoden zumeist quadratische Panels, die mit ihren freundlichen Farben und der flachen Ausgestaltung von Gesichtern und Hintergründen an Funny Strips erinnern. „Hexe Total“ sendet auf der Bildebene zunächst Signale von Leichtigkeit und Kurzweil. Doch die bunte und unschuldig anmutende, trashige Welt der Protagonisten wird bald als depressiv, haltlos und traurig entlarvt.
Die Panels sind konsequent gitterförmig auf den Seiten angeordnet. Dahinter bewegen die Figuren sich sinnbildlich in ihrem selbst geschaffenen Gefängnis. Die Gleichförmigkeit der Panels vermittelt eine mangelnde Dynamik und kongruiert mit dem immer gleichen Trott der Protagonisten. Das Gittermuster der Zwischenräume wehrt den Blick des Lesers im gleichen Maß ab, wie die frohen Farben ihn anziehen. Er wird nicht anhand versetzter Panels durch die Handlung geführt, sondern droht im ewig gleichen Muster hinabzufallen und den Fokus zu verlieren. Nach einer Weile des Lesens kommt, was kommen muss: Der Leserblick ermüdet. Es passiert viel und doch entsteht wenig Neues, es wird nur stets kaputter und extremer.
Tränen, Speichel, Essensreste
Die Protagonisten in „Hexe Total“ haben einen starken Bezug zu Wasser und Flüssigkeiten. Ständig läuft etwas aus ihren Mündern und Augen – Tränen, Speichel, Essensreste – und bildet eine Ekel hervorrufende Entsprechung zum Schmutz der Umgebung und den Alkoholresten, die stetig aus leeren Flaschen heraustropfen. Die Figuren scheinen sich aufzulösen in ihrer Umgebung. Das trübe Wasser eines Amsterdamer Kanals lädt zum Baden ein, ebenso das Spülbecken mit dreckigem Geschirr, Regen fließt wie Gelee an einer Fensterscheibe herab.
Wenn man von seiner Bedeutung als Symbol für Emotionen und Weiblichkeit ausgeht, durchzieht das verschmutzte oder dunkle Wasser die Handlung wie ein depressives Rinnsal. Vor allem Megg wird in Hanselmanns Comics oft im Wasser dargestellt: Explizit auf dem Cover von „Hexe Total 2“ als „Ophelia“ (gemalt von John Everett Millais, 1852) und auf einem Zwischentitel von „Hexe Total in Amsterdam“ badend in brackigem Abwasser, umgeben von Müll.Es wird deutlich: „Hexe Total“ ist alles andere als eine Komödie. Das Ausblenden der Realität durch konstantes High-Sein ist hier keine jugendliche Phase, sondern ein Akt der Selbstzerstörung, bei dem der Leser Zeuge wird, noch ehe er sich dagegen entscheiden und den Band weglegen kann.
Die eigene Biografie als Inspiration
Die Geschichten von Megg, Mogg und Co. basieren lose auf der Vita von Simon Hanselmann, der 1981 in Lanceston, Tasmanien geboren wurde und bei seiner heroinabhängigen Mutter aufwuchs. Zuflucht vor dem Chaos fand er schon als Achtjähriger im Zeichnen von Comics.
Zu der Entstehung seiner Charaktere sagt er, er habe einfach gerne Katzen und Hexen gezeichnet und sie dann nach den Charakteren Meg und Mog aus den Kinderbüchern von Helen Nicoll benannt. Hanselmann verzichtet für seine Comics auf den Computer und zeichnet sie bis heute per Hand. Die außergewöhnliche Farbgebung erreicht er durch das Kolorieren mit Lebensmittelfarben.
Starke Körperlichkeit, einfacher Zeichenstil
Die trotz des einfachen Zeichenstils starke Körperlichkeit wird somit auch durch das Handwerk und die Technik des Farbenmischens erreicht. Cremiges Grün, ein dickes Rot sowie schwere graue und beigefarbene Flächen dominieren die Seiten. Leuchtend treten darin die rosafarbenen Kulleraugen der Figuren, die – zumindest in ihrer Form – stark an die Simpsons erinnern, hervor – im wahrsten Sinne. Sie scheinen fast herauszufallen und dabei zu rufen: Seht her, ich bin völlig fertig!
Megg ist Hanselmanns Hauptprotagonistin und gilt als der Liebling ihres Schöpfers, zu dem sie auch einige Ähnlichkeit hat. Hanselmann trägt seit seiner Kindheit gerne Frauenkleider und zeigt sich oft mit Perücken aus langem, rotem Haar. In seinem Tumblr-Blog „Girlmountain“ veröffentlicht er laufend neue Strips und Bilder von Megg, Mogg und Eule sowie News, Videos und Hinweise auf Gimmicks und neue Comic-Zines.
Hanselmann hat mittlerweile international eine große Fangemeinde – möglicherweise gerade wegen der Tragik, die Megg umgibt. Ihre Situation ist selbst geschaffen, doch ihre Schwäche ist nur allzu menschlich, überhaupt nicht hexenmäßig magisch. So wünscht sich der Leser, sie möge doch irgendwann aus dem „Morast“ herausfinden – und liest weiter.
Diese Kritik erschien zuerst am 17.01.2020 in: Der Tagesspiegel
Rilana Kubassa, geb. 1980, ist Literatur- und Medienwissenschaftlerin und lebt als Journalistin, Autorin und freie Lektorin in Berlin. Ihre Texte über Comics erscheinen auch im Tagesspiegel und bei Closure.