Prolog: Mittelalter-Klamauk mit existentialistischem Ausgang
Ein Mann kauert in einer Ruinenlandschaft. Unter den Fetzen, die er am Leibe trägt, und seinem wallenden, ungepflegten Vollbart ist in der Totalen gerade noch der Schauspieler Bruce Campbell zu erkennen. Im Chaos um ihn herum erkennt man zwischen verschiedenen anderen kaputten Gebäuden die Überreste des Big Ben. Und doch wird aus dem Kontext des Films, der mit diesem Bild endet, klar, dass es nicht um die Verheerung einer Stadt geht, sondern um die der gesamten westlichen Zivilisation. Die reale Tragik dieses Bildes, das – wie so viele der Bilder und Phantasien aus dem scheinbar unendlichen Fundus der Populärkultur – in der Gegenwart der Coronakrise eine andere Qualität bekommt, beißt sich sowohl mit seiner cartoonartigen Überzeichnung als auch mit dem Duktus des Films, dem es entstammt: Sam Raimis „Army of Darkness“ (1992). Das liegt zum einen daran, dass der letzte Teil der „Evil Dead“-Trilogie, anders als seine Vorgänger von 1981 und 1987, eher einer der schwächeren Filme seines Regisseurs ist, und dieses eindrückliche Abschlussbild also letztlich schon einen besseren Film verdient hätte, der ihm vorangeht. Aber zum anderen entspricht es dann doch ganz dem Schaffen Sam Raimis, dass dieser über weite Strecken etwas unausgegorene Mittelalter-Klamauk auf eine derart existentialistische letzte Pointe zusteuert.

Szene aus: „Army of Darkness“ (Copyright: Koch Media/MGM)
Vom Splatterfilm im Wald zum Hollywood-Mogul
Samuel „Sam“ Marshall Raimi, 1959 in eine ungarischstämmige jüdische Familie im kleinstädtischen Michigan geborenen, drehte „The Evil Dead“ auf 16mm in einer verlassenen Waldhütte in Tennessee und an verschiedenen Schauplätzen in Michigan. Der strapaziöse Dreh war für die dreizehnköpfige Crew gekennzeichnet durch bittere winterliche Kälte, Verletzungen und extreme Geldknappheit. Etwa zur Mitte der Fertigstellung kam es zu einer Unterbrechung der Dreharbeiten, in der Raimi, Campbell und ihr befreundeter Co-Produzent Robert Tapert auf verschiedenen Wegen den Rest des sich auf insgesamt 350.000 Dollar belaufenden Budgets beschaffen mussten. Der so entstandene Film gewann mit seinen ausufernden und garstigen Splatter-Effekten, seiner atmosphärischen Dichte und der höchst innovativen Kamera von Tim Philo schnell eine Fangemeinde und entwickelte sich zu einem Klassiker des Genres. Für Raimi bedeutete das den Beginn einer Hollywood-Karriere als Regisseur, Drehbuchautor und Produzent, die schließlich mit seiner „Spider-Man“-Trilogie (2002, 2004, 2007) ihren Höhepunkt fand. Der 22-jährige Film- und Comic-Nerd, der offenbar mit purer Willenskraft im Wald einen Splatterfilm gedreht hatte, war zu einem der angesehensten und renommiertesten Filmemacher im US-Mainstream-Kino seiner Zeit geworden.

Szene aus „Tanz der Teufel“ (Copyright: Sony)
Doch zum Glück ist alles mal wieder wesentlich komplizierter. Denn Raimis Entwicklung als Filmemacher nachzuvollziehen, bedeutet auch, ihm dabei zuzusehen, wie er nicht nur seine Handschrift als Auteur immer weiterentwickelt und verfeinert, sondern sich zu den Themen, die sein Werk durchziehen, auch zunehmend ein sozialer Kommentar gesellt. Ist Raimis Kino von Anfang an ein Meta-Kino, das das Kino selbst – und auch darüber hinaus (amerikanische) Populärkultur – reflektiert, dann scheint sich dabei zugleich in ihm das Bewusstsein zu festigen, dass „wer nur vom Kino etwas versteht, auch davon nichts versteht.“
Meta(technologisches)Kino und Reisen durch die Filmgeschichte
Die Bedeutung der Filmgeschichte sowie der technischen Apparatur des Kinos zieht sich durch Raimis gesamtes filmisches Schaffen. Werden im zweiten und dritten „Evil Dead“ Zeitreisen thematisiert, muten auch Raimis Filme selbst immer wieder an wie kleine Reisen durch die Geschichte des Kinos. Bereits in „The Evil Dead“ steckt ein kleiner Durchgang durch die Geschichte verschiedener Medien: vom Buch der Toten über das Tonbandgerät und ein Grammophon bis zu einem Super-8-Projektor. Dass Film – als Medium – alle diese Technologien und Kunstformen vereint, Erzählung, Musik und Bild ist, wird damit nicht einfach als Gegebenheit hingenommen, sondern explizit thematisiert. Und so wie die Kunstform Kino diese älteren Technologien integriert, scheint hier auch die Technik selbst von einem archaischen Bösen heimgesucht zu werden. Mit dem Tonbandgerät werden die dunklen Mächte heraufbeschworen, deren Blick zugleich eins wird mit dem der Kamera, die durch die Wälder rast – auf die Hütte zu. Die Kamera gibt nicht den Blick des Dämons wieder, sondern hebt die Differenz zwischen beiden auf: Sie ist der Dämon. Durch Raimis Vorliebe für ausgefallene Kameraperspektiven entsteht das Gefühl, dass man in der Hütte umzingelt ist vom Bösen, das sich in jedem Winkel versteckt (die heutige kontinuierliche Überwachung des urbanen Raums wird damit mindestens ein gutes Stück weit vorweggenommen).

Szene aus „Darkman“ (Copyright: Koch Media/Universal)
Das geht bis zu seinem letzten – und leider auch mit Abstand schwächsten – Film „Oz, the Great and Powerful“ (2013), seiner Bearbeitung des ewigen Technicolor-Klassikers „The Wizard of Oz“ (Victor Fleming, 1939). Die schönste und bewegendste Figur des Films ist komplett computeranimiert: eine Porzellanpuppe, eine der Begleiterinnen des Zauberers (James Franco), die im Verlauf des Films zu seiner Patchwork-Tochter wird. Es ist ihre Verletzlichkeit, ihre buchstäbliche Zerbrechlichkeit, die sie zu einer so rührenden wie bewegenden Erscheinung macht. Ihre prekäre Situation entsteht gerade im Zusammenspiel des Neuen – dem digitalen State of the Art des Kinos in einem Disney-Blockbuster von 2013 – und des Alten, Antiquierten: ein Spielzeug, mit dem heutige Kinder nicht mehr spielen, und ein Wesen, das keine physische Realität jenseits des Films hat, nicht aus Fleisch, sondern nur aus Pixeln besteht. Übrigens wird im Finale des Films ein selbst gebauter Kinematograph zu einer wichtigen Waffe im Kampf des Zauberers und der Bevölkerung des sagenhaften Landes Oz gegen die böse Hexe des Ostens (Rachel Weisz).

Szene aus „Oz – The Great and Powerful“ (Copyright: Disney)
Ein oft übersehenes Zwischenwerk
In den Neunzigern, zwischen „Army of Darkness“ und dem ersten „Spider-Man“ – also seinen beiden großen Trilogien -, drehte Raimi vier andere Filme. Durchweg meisterhafte Fingerübungen, in denen er seinen Stil und seine Themen immer weiter ausformulierte, indem er seine Handschrift als Auteur und seinen sehr spezifischen Zugriff auf amerikanische Populärkultur auf verschiedene Genres applizierte. Los ging es mit „The Quick and the Dead“ (1995), einem Comic-Western reinsten Wassers, der einerseits seine Arbeit mit verschiedenen Americana einleitete, die diese Phase seines Schaffens bestimmte. Andererseits war das Material seines postmodernen Spiels mit Zitaten eher der italienische als der amerikanische Western. Zu Beginn sehen wir die von Sharon Stone gespielte Protagonistin auf einem Friedhof, der deutlich dem aus Sergio Corbuccis „Django“ (1966) nachempfunden ist. Ihre Backgroundgeschichte hingegen erinnert merklich an die der Charles-Bronson-Figur in Sergio Leones „Spiel mir das Lied vom Tod“ (1968).

Szene aus „The Quick and the Dead“ (Copyright: Sony)
Wenn es immer wieder Szenen gibt, in denen wir durch die Löcher blicken, die (nicht nur, aber vor allem) Stone in Gegenstände und Menschen schießt, dann ist das auch ein buchstäblicher Akt des Durchschauens. Schon die Idee eines Duell-Wettbewerbs, veranstaltet von dem bösen Patriarchen (Gene Hackman), der den Ort mit hemmungsloser Grausamkeit regiert, unterstreicht das Performative. Und zugleich scheint bei diesem tödlichen Spiel der Tod selbst auch die Grenzen der Performance aufzuzeigen. Die Männlichkeit, die ihre Toxizität schon darin offenbart, dass sich die Männer damit brüsten, wie viele Menschen sie ermordet haben, und die zugleich gewissermaßen intersektional gedacht ist, weil die Variation ihrer Ausdrucksformen auch mit anderen Identitätsmerkmalen wie Race, Alter oder Klassenzugehörigkeit zusammenhängt, wird durch Angst und Agonie brüchig.
Wo der Colt hier im Sinne seines Erfinders als brutaler Gleichmacher fungiert, geht es auch im Nachfolger „A Simple Plan“ (1997) um den Zusammenhang zwischen dem Speziellen und dem Allgemeinen. Auf der einen Seite ist das einer dieser Thriller in einer verschneiten Kleinstadt im Mittleren Westen, wie sie im US-Genrekino der Zeit beinahe ein eigenes kleines Subgenre bildeten. Auf der anderen Seite verhandelt der Film als klassisches Morality Play allgemein Menschliches, stellt die ewige Frage, was ganz „normale“ Mittelschichtsmenschen tun würden, wenn sie die Möglichkeit hätten, auf einen Schlag so reich zu werden, dass sie sich über Geld nie wieder Gedanken machen müssten. Raimi erzählt die Geschichte einer Tragödie, einer Lawine der Ereignisse, die durch Zufall, ein „Schicksal“, dessen Agenten ein Fuchs und ein Schneeballwurf sind (und das also offenbar als Teil der Natur gedacht ist), losgetreten wird. Und die im weiteren Verlauf durch Psychologie, durch einen Haufen immer fatalerer Entscheidung am Laufen gehalten wird – bis diverse Menschen den Tod gefunden haben und auch das Dasein der Überlebenden auf ewig von den Ereignissen gezeichnet bleiben wird.

Szene aus „Aus Liebe zum Spiel“ (Copyright: Universal)
Und auch als Liebesfilm blickt er auf einen Paradigmenwechsel in der unmittelbar bevorstehende Jahrtausendwende: Die Heirat ist (auch in Langzeitbeziehungen) optional geworden, Patchwork-Konstellationen sind normal, Seitensprünge sind – beim Mann und bei der Frau gleichermaßen – verzeihlich. Wenn das Spiel der Liebe weiterhin Regeln folgt, sind diese doch mehr und mehr zur Verhandlungssache geworden – und der festen Überzeugung des Films, dass es auch für festgefahrene Beziehungsmuster und Probleme eine Lösung gibt, wenn die Grundlage da ist, miteinander zu reden, sich auszutauschen, wohnt durchaus auch ein utopisches Moment inne. Dennoch ist offenbar gerade noch das Jahrhundert, in dem Kevin Costner beim Monopoly-Spiel mit seiner Freundin und deren Teenage-Tochter in einem PG-13-Hollywood-Liebesfilm sich eine dicke Zigarre anstecken darf.

Szene aus „The Gift“ (Copyright: Ascot Elite)
Einmal mehr erschafft Raimi in einem bis in kleinste Nebenrollen großartig besetzten Film (insbesondere die große Serien- und Nebenrollen-Darstellerin Kim Dickens und Katie Holmes, die zeitgleich Joey Potter in der Serie „Dawson‘s Creek“ (Kevin Williamson, 1998-2003) verkörperte, verstehen zu begeistern) eine düster funkelnde Welt, in der das Böse der Gesellschaft auf archaische Kräfte tritt, die in der verwunschen düsteren Märchenwelt der Sümpfe wirken. Einem Ort, dessen feuchtes Klima nicht nur die Grenze zwischen Realität und Vision, sondern auch zwischen Leben und Tod aufzuweichen scheint. Die Allianzen zwischen den Außenseiter*innen, die ihnen in einer feindlichen Umwelt einzig Halt zu geben vermögen, scheinen hier bis ins Jenseits zu wirken.
Die „Spider-Man“-Trilogie oder: wie man an der Spitze ankommen und doch auf dem Boden bleiben kann
2002 war Sam Raimi schließlich am Ziel angelangt, der Horrorfilm-Buff und Filmemacher aus Leidenschaft war mit „Spider-Man“ in die Riege der Multimillionen-Blockbuster-Regisseure aufgestiegen. Und auch der Film erzählt davon, was es heißt auf dem Teppich zu bleiben, wenn sich das Leben schlagartig auf spektakuläre Weise verändert. Nachdem Peter Parker (Toby Maguire), der Nerd von nebenan aus einer Suburb in Queens, bei einem Klassenausflug von einer genetisch veränderten Spinne gebissen wird, bekommt er auf einmal Superkräfte: Er kann sich an den Fäden, die er aus seinen Handgelenken schießt, durch die Straßenschluchten New Yorks schwingen und mit seiner unglaublichen Beweglichkeit Bösewichter aller Art ihrer gerechten Strafe zuführen.

Szene aus „Spider-Man“ (Copyright: Sony/Marvel)
Dass Raimis „Spider-Man“-Trilogie die Messlatte fürs Blockbusterkino des 21. Jahrhunderts denkbar hoch hängt, liegt auch daran, wie souverän und mühelos er es schafft, die Filmsprache, die er in anderen Produktionszusammenhängen und Budgetklassen entwickelte, ins ganz große Blockbustergeschäft zu überführen. Gerade der erste „Spider-Man“ quillt geradezu über vor Raimismen: von jenen Montagesequenzen, die fieberhafte Arbeitsprozesse abbilden, indem sie mit einer speziellen Überblenden-Technik Gegenstände durchs Bild fliegen lassen, über unzählige Bildzitate aus den „Evil Dead“-Filmen und seinem exzessiven Einsatz von Spiegeln bzw. Doppelgängern bis zu den Cameos von Bruce Campbell: In allen drei Filmen schlüpft er in eine andere kleine Rolle, die die ganze Bandbreite seines (schmieren)komödiantische Talents zeigen. Überhaupt sind die Filme, einmal mehr, bis in die winzigsten Nebenrollen hervorragend besetzt. Gerade J. K. Simmons (der bereits in „For Love of the Game“ und „The Gift“ in Nebenrollen glänzte) begeistert als Zeitungsverleger J. Jonah Jameson, dessen Geiz und Gier nur noch von der Geschwindigkeit übertroffen wird, mit der sein Mundwerk knurrige Sprüche abfeuert: die pure Essenz einer Comic-Figur.
Weil sich das, was Raimis Kino von jeher ausmachte, hier mit den neuen digitalen Möglichkeiten des Kinos verbindet, gelingt es den Filmen, angenehm altmodisch zu wirken und doch zugleich mit in dieser Brillanz vorher nie gesehenen Set Pieces aufzuwarten. Geht es in Raimis Kino spätestens seit dem zweiten „Evil Dead“ darum, Wege zu finden, das filmische Kontinuum von Raum und Zeit zu verändern, den Raum in ungeahnter Weise zu dehnen und zu verzerren und den einzelnen Augenblick spektakulär in die Länge zu ziehen, dann schafft er im zweiten „Spider-Man“ dabei einige der eindrücklichsten Actionszenen des bisherigen Jahrhunderts. Insbesondere, wenn er die gesamte Besatzung einer New Yorker Hochbahn vor seinem Gegenspieler Doctor Octopus (Alfred Molina) retten muss, entsteht Spektakelkino der atemberaubendsten Sorte. Wobei das ganz große Pathos, das gutes Superheldenkino immer auszeichnet, die affektive Wucht dieser Achterbahnfahrt ins Unermessliche steigert. Man fühlt sich überrollt von dieser Szene. Und während jeder Moment bedeutungsschwer ausgewalzt wird, vergehen die fast 140 Minuten, die die Extended Version des Films dauert, doch wie im Flug.

Szene aus „Spder-Man 3“ (Copyright: Sony/Marvel)
Hätte es dafür auch längst keine weiteren Belege mehr gebraucht, zeigt sich auch daran, wie Raimi seine Trilogie beschließt, seine Autorenhandschrift: Die Filmtrilogie, deren Teile ein einheitliches Werk bilden, eine Kunstform, die eigenen Regeln folgt, ist im Blockbusterkino der Gegenwart eher ins Hintertreffen geraten. Das liegt vielleicht auch daran, dass sie eben grundsätzlich anders funktioniert als die immer neuen Sequels und Seitenerzählungen, mit denen heutige Cinematic Universes in alle möglichen Richtungen expandieren. Genau, wie wir es in der angewandten Genretheorie von Wes Cravens „Scream“-Filmen (1996, 1997, 2000, der 2011 nachgeschobene vierte Teil verstand sich als Remake des ersten) gelernt haben, geraten auch in „Spider-Man 3“ grundsätzliche Gewissheiten über die Vergangenheit ins Wanken, erhält der Verlauf der Origin Story der Figur im ersten Teil eine entscheidende neue Volte. Zugleich gibt es dabei einen DePalmaesken Twist: Seinen Augen zu trauen, sich auf das zu verlassen, was man gesehen zu haben meint, kann im Kino manchmal ein trügerischer Impuls sein.
Epilog: Ein kleiner großer Horrorfilm und das Verhältnis von Mensch und Maschine
Mit „Drag Me to Hell“ kehrte Raimi dann zwei Jahre später zu seinen Wurzeln zurück: Das erste Mal seit dem zweiten „Evil Dead“ (der dritte vertiefte ja eher die Fantasy-Komponente des Stoffes) inszenierte er wieder einen (post)klassischen Horrorfilm. Zudem wechselte er von einem Budget von über 250 Millionen zu einem von „nur“ 30 Millionen. Dabei bewies er einmal mehr, wie souverän er verschiedene Stoffe zu behandeln verstand, indem er einen Film vorlegte, der trotz aller comichafter Überzeichnung blanken Schrecken hervorrief, was nicht zuletzt an einem beeindruckenden Sound Design lag, das den Effekten und Jump Scares eine ungewohnte Tiefe verlieh. Wenn das Grauen auf einmal ins Leben der Hauptdarstellerin dringt, dann liegt das auch daran, dass über dem Los Angeles, in dem der Film spielt, von Anfang an eine leise Melancholie lag. Ein gewisses Unbehagen an der technisierten Gesellschaft der Gegenwart, unter der etwas Archaisches zu brodeln scheint – bis sich in der letzten Einstellung ein buchstäblicher Schlund auftut, der geradewegs in die Hölle führt.

Szene aus „Drag Me to Hell“ (Copyright: Universal)
In Ramis schwächeren Filmen scheint sich der Konflikt zwischen Mensch und Maschine wiederum auf einer andern Ebene zu vollziehen: beim Einsatz der technischen Mittel, insbesondere seiner Stop-Motion-Hommage an Ray Harryhausen, verliert Raimi in „Army of Darkness“ etwas den Überblick über die Dramaturgie: Zum ersten Mal scheint das Verhältnis von Erzählung und Technik nicht wirklich ins Gleichgewicht zu finden. Wie in „Oz – The Great and Powerful“ die Maschinerie in der Erzählung schließlich das Böse bezwingt, siegt sie auf einer Metaebene auch über Regisseur und Darsteller*innen: Die Besetzung ist durchweg gut (besonders James Franco ist charmant genug, um dem liebenswürdigsten Betrüger der Filmgeschichte eine angemessene neue Gestalt zu verleihen), die Handschrift Raimis klar zu erkennen (auch in einem nunmehr reinen Kinderfilm lässt er es sich nicht nehmen, seinem Splatter-Debüt ausgiebig Tribut zu zollen, Bruce Campbell-Cameo inklusive), trotzdem kommen sie nicht gegen das stromlinienförmige digitale Bilder-Einerlei eines Disney-Films seiner Zeit an. Dass es eine gänzlich computerannimierte Figur ist, die am meisten beeindruckt, ist da durchaus symptomatisch.
(Etwas andere verhält es sich mit dem dritten Raimi-Film, mit dem ich einige Probleme habe: seiner zweiten Regiearbeit „Crime Wave – Die Killer-Akademie“ (1985). Hier ist es eher das Verhältnis zwischen Raimis eigener Handschrift und die der befreundeten Coen-Brüder, die am Script mitschrieben. Die tiefschwarze Komödie ist temporeich erzählt, (mitunter extrem) lustig und wartet mit einigen atemberaubend tollen Musical-Nummern auf, aber die Figuren beißen sich merklich mit Raimis eigener Form von Humanismus: Sie werden letztlich zu Abziehbildern, Platzhalter*innen für denkbar zynische Pointen. Was in den eigenen Regiearbeiten der Coens oft vortrefflich funktioniert, führt hier dazu, dass der Regisseur und sein Film nie wirklich zueinanderfinden.)
Wie man bei der IMDb lesen kann, soll Raimi, der in den sieben Jahren, die sein „Oz“-Film nun schon wieder her ist, weiterhin als Produzent sehr umtriebig sein, unter anderem an einem Sequel zu „Doctor Strange“ (Scott Derrickson, 2016) arbeiten, das sich in pre-production befinden soll. Bleibt zu hoffen, dass sich der Auteur dieses Mal gegen die Disney-Bildermaschine durchsetzen kann. Jemand, der es versteht, das Verhältnis von Mensch und Maschine im Kino grundlegend zu überdenken, kann der Blockbuster-Einöde der Gegenwart jedenfalls bestimmt nicht schaden.
Dieser Text erschien zuerst auf: filmgazette.de
Nicolai Bühnemann, Redakteur beim Filmmagazin filmgazette.de, wurde 1980 in einer Inselstadt ohne Palmen geboren. Die Stadt ist lange keine Insel mehr, Palmen wachsen immer noch nicht, aber er lebt immer noch gerne dort; studierte Lateinamerikanistik und Literaturwissenschaft an der FU Berlin. Da Lebenszeit bekanntlich sehr kostbar ist, versucht er möglichst viel davon mit seinen großen Leidenschaften Film und Filmjournalismus zu verbringen.