Von wegen, Gott ist tot – Gott ist einfach irrelevant in diesem Comic: ein zahnloser, alter, kleiner Mann mit Poncho und zerbeultem Hut, der um die Titelfigur, den Cowboy Lincoln, hoppelt, um ihm zu beweisen, dass er wirklich existiert. Und dieser Lincoln findet es nicht mal der Mühe wert, diesen Gott zu verscheuchen wie eine lästige Fliege.
„Schon wie Gott da dargestellt wird, als kleiner Mann mit Poncho und Hut, das ist natürlich nicht in ernsthaftem Sinne ein religiöses Thema, sondern es ist karikiert. Aber ich finde es überhaupt nicht verletzend, es ist nicht so, dass da in aggressiver Weise etwas gegen Religion aufgeboten werden soll, sondern diese religiöse Thematik wird für mein Empfinden auf eine heitere und angenehme Weise verarbeitet.“
Lincoln: Stinkstiefel und Jesus-FigurJens Schröter ist Bibelwissenschaftler, genauer: Professor für Exegese und Theologie des Neuen Testaments an der Humboldt Universität in Berlin. Heiter findet er auch den Kampf von Gott und Teufel um die Seele von Lincoln, denn der Teufel ist genauso klein und machtlos wie Gott. Besonders interessant ist für Schröter aber die Figur des Lincoln. Denn der Comic-Cowboy ist ein nihilistischer Stinkstiefel, der an gar nichts glaubt, außer an seinen eigenen Vorteil – und wohl deshalb ist Lincoln so immun gegen die Einflüsterungen von Gott und Teufel. Zugleich gibt es aber einige Motive, die darauf hindeuten, dass dieser Lincoln eine Art Jesus-Figur ist. Am Anfang der Geschichte steht seine Geburt in ärmsten Verhältnissen: Die Mutter ist eine Prostituierte, der Vater unbekannt.
„Und natürlich, dass am Ende des ersten Bandes die Jünger auftauchen, diese drei Gestalten, die von da an den Lincoln begleiten, ist auch eine Anspielung auf die Jesus-Geschichte. Es gibt also offenbar einige eher zaghafte, also nicht zu stark ausgearbeitete Bezüge zu neutestamentarischen Themen. Auch dass der Teufel ihn dann nach New York in eine große Stadt führt, das kann man mit der neutestamentlichen Versuchungsgeschichte vergleichen, wo der Teufel Jesus auch auf einen Berg führt und ihm die ganze Welt zu Füßen legen will und auch in eine Stadt führt.“
Keine Lust auf Gottes Pläne
Der Einzug in das New York der 1920er-Jahre findet im dritten Band der mittlerweile fünfbändigen „Lincoln“-Serie statt. Der Teufel führt Lincoln in die Mafia-Gesellschaft ein, in der gerade ein ganz großer Raub geplant wird. Lincoln hört sich die Pläne an und will dann doch nicht mitmachen. Nicht etwa wegen moralischer Bedenken, sondern weil er einfach keine Lust hat. Damit löst er einen handfesten Bandenkrieg aus, bei dem auch das weltberühmte Plaza Hotel demoliert wird und bei dem Lincoln immer wieder mitmischt.
„Er ist ja eigentlich jemand, der sich nicht für irgendwelche ernsthaften ethischen Anliegen in Anspruch nehmen lässt. Und vielleicht ist das auch so eine gewisse Grundspannung, die in der „Lincoln“-Reihe zum Ausdruck gebracht werden soll, dass der Teufel und Gott bestimmte Interessen und Pläne haben, etwas wollen und der Lincoln dazwischensteht und ihm das egal ist. Und insofern wird dieses Religionsthema oder das Thema der Diskussion um höhere Werte oder etwas Grundlegendes gebrochen durch die Figur des Lincoln. Das, könnte man sagen, ist so etwas, was einen neuen Akzent in die religiöse Thematik einbringt.“
In Goethes „Faust“ steht der Teufel für einen „Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft“. Die Jouvray-Familie hingegen diskutiert in ihrer Comic-Serie, ob es nicht mitunter die guten Absichten sind, die zum Bösen führen. Doch nie wird der Comic moralisierend, sondern ist mit so einer Leichtigkeit erzählt, dass man darüber lachen kann.„Das ist so eine gewisse Komik in dieser Reihe, dass es mehrfach dazu kommt, dass er irgendwelche Gangster gefangen nimmt oder auch verprügelt oder so und dabei etwas Gutes tut, obwohl das gar nicht sein expliziter Vorsatz war. Man könnte sagen, dass so ein Kampf um höhere Werte hier bewusst gebrochen wird, dass diese Figur des Lincoln das infrage stellt, ob so ein Kampf von Gott und Teufel um höhere Werte, ob das dem Befinden des Menschen in der Welt überhaupt angemessen ist.“
„Konstellationen gegen den Strich gebürstet“
Das entspricht keinesfalls der Lehre des historischen Jesus. Aber das französische Künstler-Trio nimmt sich in seinen „Lincoln“-Comics nun mal die Freiheit, ausgerechnet diesen prügelnden Revolverhelden Lincoln immer wieder als Heiland zu inszenieren. Das gehöre nun mal zu ihrem humoristischen Konzept, sagt Theologe Jens Schröter – und das Schöne an dieser Comic-Reihe sei doch, dass Leser so über die eine oder andere christliche Lehre neu nachdenken könnten.
„Ich würde mal sagen, für mich wäre das Primäre daran, dass so festgefügte Konstellationen oder schwere dogmatische theologische Fragestellungen, dass die auch auf eine gewisse heiter-amüsante Weise mal infrage gestellt und gegen den Strich gebürstet werden. Einfach mal darauf hinzuweisen, dass man sich nicht immer mit zu schweren Geschützen umgeben soll, das ist so die Intention eines solchen Comics, als dass der mit einem großen Programm daherkommt.“
Hier und hier gibt es weitere Kritiken zu „Lincoln“.
Dieser Text erschien zuerst am 16.10.2019 in: Deutschlandfunk
Andrea Heinze arbeitet als Kulturjournalistin u. a. für kulturradio rbb, BR, SWR, Deutschlandfunk und MDR.