Auszug aus Georg Seeßlens Buch „Trump! POPulismus als Politik“ (Bertz+Fischer):
Donald Trump als zeitgemäße Variation des Volkshelden hat gewonnen, nicht obwohl, sondern weil er gegen Vernunft, Moral und Geschmack antrat. Gegen das Establishment, gegen einen Pakt von Kapital und Liberalismus. Und natürlich ist es zweitrangig, dass auch das Establishment dieses ist: partly truth and partly fiction. (Auch wir, links, demokratisch, kritisch, kurz, die verwirrten Kinder des Diskurses, hatten ja durchaus Gründe, dem Establishment das Recht abzusprechen, einfach immer so weiterzumachen.) Drei Modelle sind es, die alle Volkshelden-Legenden grundieren.

Georg Seeßlen: „Trump! Populismus als Politik“. Bertz+Fischer, Berlin 2017. 144 Seiten. 7,90 Euro
Zweitens: Der Aufstand des ländlichen, konservativen, „religiösen“ Landes gegen die urbanen, progressistischen, „sündigen“ Zentren. Volkshelden kommen gern „aus der Vergangenheit“ und von irgendwelchen Ursprüngen her. Und schließlich, drittens, der Aufstand der alten Werte, der alten Legitimationen, der alten Sitten gegen einen Fortschritt, der sie abkoppelt, gegen neue Charaktere und Interessen, gegen neue Ideen.
Wir kennen das zum Beispiel in unserer Musik, als Aufstand des „Authentischen“ gegen das „Künstliche“, der sich oft genug auch geriert als Aufstand des „Männlichen“ gegen das Queere und als Aufstand der einfachen Ehrlichkeit gegen die vieldeutige Maskierung. Wenn alles drei zusammenkommt: umso besser. Dann nämlich vereinen die Volkshelden- oder Popstar-Gesten nicht trotz, sondern genau in ihrer Selbstwidersprüchlichkeit all das, was an dem System, in dem wir leben, nicht stimmt. Und womit wir uns, wenigstens für den Augenblick, davon befreien. Und umso schlimmer: Dann nämlich gehen auch die Rollen von Popstar, Volksheld und Politiker beinahe zwangsläufig eine Verbindung ein.
Der Volksheld und das Establishment

Donald Trump bei den Simpsons (© 20th Century Fox)
Dann kommt es zu Entladungen und Übersprungshandlungen. Die Volkshelden treten in Aktion, wenigstens in den medialen Träumen. Im Western, dem Gründungsmythos (nicht nur) der amerikanischen Demokratie, geht es immer wieder darum, eine (damals) neue Form der Elite, die Allianz zwischen Grundbesitzern, Bankern und Technologie-Kapital (Eisenbahngesellschaften zum Beispiel), zu brechen, im Dienste einer Gerechtigkeit für den „kleinen Mann“, der, vergessen wir das nicht, seine Kraft und seine Würde daraus bezieht, dass er bewaffnet ist.

Erste Ausgabe von „Cisco Kid“
„Superhelden“ als Nachfolger der Westerner
Natürlich verhält es sich bei Donald Trump gerade umgekehrt zur Geschichte von James Stewart in „Mr. Smith geht nach Washington“ (1939). Der nämlich kommt als unbedarfter Junge vom Land in den Senat und soll da nur als Marionette des Establishments dienen, dann aber befreit er sich aus der Umklammerung der lügnerischen, korrupten und erpresserischen Seilschaften; nicht zufällig ist eine Einrichtung für die amerikanischen Boy Scouts (und deren tatkräftige Unterstützung) die Triebfeder für seine populistische Revolte. Diese Fantasie von der Selbstheilung der Demokratie durch den von außen kommenden Volkshelden, der das Establishment in die Knie zwingt, ist in hundertfacher Ausführung immer präsent.
Mittlerweile spielt sie sich gar als ewiger Krieg der Sterne zwischen „Rebellen“ und „Imperium“ in Weltraum und Zukunft ab, und „Superhelden“ haben die Nachfolge der Westerner angetreten, denn die ganze Welt hat zur Ordnung/Unordnung der Westerntown gefunden, in der immer wieder zwischen Establishment und Volk vermittelt werden muss. Dass das nicht ohne semantische und architektonische Zerstörung vonstattengeht, ist evident. Und bei kostümierten und bewaffneten Helden wie Batman oder Tony Stark alias Iron Man hat es uns, wie es scheint, auch nie gestört, dass sie Kämpfer für Gerechtigkeit und gegen Korruption waren und zugleich superreiche Unternehmer und Bewohner ihrer eigenen Trump Towers.

„Iron Man 3“ (Concorde)
Der Selfmademan und seine Welt
Ein weiterer Aspekt aber ist wohl, dass wir Donald Trump einem amerikanischen Archetyp zuordnen können, der ebenfalls fest in der populären Mythologie verankert ist. Der Selfmademan, der unaufhaltsam von unten nach oben aufsteigt, zugleich abstoßend in seiner Rücksichtslosigkeit und faszinierend darin, wie er sich Menschen gefügig macht. Ein brutaler Machtmensch, gewiss, aber immer auch ein Verführer, ein Mensch, der indes – vielleicht gerade weil er auch Phasen der Entbehrung und Demütigung durchlebte – nie genug bekommen kann von Macht und Reichtum und der dann konsequent den Schritt vom Unternehmer zum Politiker machen muss und genauso konsequent den Schritt vom Faszinierenden zum Gefährlichen.

© Playboy Enterprises
Die meisten dieser amerikanischen Tycoons und Machtmenschen, die es in der Literatur wie im Comicstrip, im Kino wie in der Musik gibt, werden erst geadelt durch ihr grandioses Scheitern. Der Tycoon – eine Entlehnung aus dem Japanischen, wo das Wort taikun die machtvolle Person meint, von der man nur ehrfurchtsvoll sprechen darf – ist gerade durch die Geschichte von Aufstieg und Fall zum Thema der großen amerikanischen Erzählung geworden.
Dieser Mythos sagt zugleich: Jeder kann es schaffen, jeder kann es vom Tellerwäscher zum Millionär oder von der Vorstadtsiedlung zum Weißen Haus bringen. Aber jeder, der sich dabei zu sehr in die eigene Macht verliebt, der sich von seinen alten Freunden und seiner Herkunft trennt, wird durch Einsamkeit und Intrige scheitern. Und sei es auch nur, wie in „The Little Tycoon“ von Willard Spencer, der ersten amerikanischen Erfolgsoperette aus dem Jahr 1886, an der aufrechten Liebe der eigenen Tochter zum Mann aus dem Volk. Oder an der eigenen Liebe, wie der „Last Tycoon“ von F. Scott Fitzgerald, und natürlich auch „Der große Gatsby“, von dem wir übrigens nie erfahren, woher genau er sein Vermögen hat und wie groß es eigentlich ist.
Auch das kehrt wieder bei Donald Trump: Wie Silvio Berlusconi im fernen Europa, so hat es auch ihm nie geschadet, dass sein Reichtum weder ererbt noch allerdings auf ganz und gar „saubere“ Art entstanden sein kann. Denn in dieser Erzählung wissen wir sehr genau: Mit ehrlicher Arbeit hat es noch nie jemand zu etwas gebracht. Am Selfmademan müssen blinde Flecken, letzte Geheimnisse, undurchsichtige Verbindungen bleiben; er schleppt Schuld mit sich.

„Citizen Kane“ (© Warner)
Das kann auch anders ausgehen: Im Film „Zwischen heut und morgen“ (Gabriel over the White House, 1933) wandelt sich ein ignoranter und korrupter Präsident (Walter Huston) durch eine Nahtoderfahrung zu einem fürsorglichen und aktiven Präsidenten, doch um die ersehnte Ordnung und Gerechtigkeit zu schaffen, muss er sich zum Alleinherrscher aufschwingen und etliche Hindernisse demokratischer Kontrollen außer Kraft setzen. So, nur so, lassen sich die großen Probleme, die Wirtschaftskrise und der Krieg, lösen. Und nein, dies war keine dystopische Warnung, sondern ein Propagandafilm für Franklin D. Roosevelt und seine Politik.
Wie der Westerner ist auch der Selfmademan ein wandelnder Widerspruch. Er wächst in eine Elite hinein, die er möglicherweise hasst und die möglicherweise ihn hasst, aber er kennt ihre Regeln und Interessen genau. Er übertrumpft alles, was diese Elite sich an Privilegien zugeschanzt hat, er karikiert ihre Arroganz wie ihre Rücksichtslosigkeit (natürlich ist Trump auch ein Liebling der Reichen), aber er bleibt auch wieder Volk, weil er in alledem vulgär ist, und vor allem: Er macht die Schweinereien selbst. Volksheld und Selfmademan widersprechen sich in gewisser Weise, oft stehen sie sich als feindliche Brüder gegenüber, manchmal muss sich ein Held auch für die eine oder die andere Rolle entscheiden. Der amerikanische Selfmademan aber hat den Mythos der Abstammung und der Erwähltheit abgelöst: Dass es jemand aus eigener Kraft und mit den eigenen Händen (mitsamt dem Schmutz daran) geschafft hat, ist Legitimation genug (das Erbe und die Familie werden dann freilich nicht minder kompliziert als in einem europäischen Königsdrama) – oder halt!, erinnern wir uns an die Filme mit den „Viehbaronen“ und „Ölmillionären“: Da kam einer, um den genau richtigen, um „seinen“ Platz zu besetzen.
Die Dimension des Volkshelden ist die Größe, die des Selfmademan die Breite. Kein Selfmademan ist schlank, klein – oder gar eine Frau.
Georg Seeßlen, geboren 1948, Publizist. Texte über Film, Kultur und Politik für Die Zeit, Der Freitag, Der Spiegel, taz, konkret, Jungle World, epd Film u.v.a. Zahlreiche Bücher zum Film und zur populären Kultur, u. a.: Martin Scorsese; Quentin Tarantino gegen die Nazis. Alles über INGLOURIOUS BASTERDS; Blödmaschinen. Die Fabrikation der Stupidität (zusammen mit Markus Metz); Tintin, und wie er die Welt sah. Fast alles über Tim, Struppi, Mühlenhof & den Rest des Universums; Sex-Fantasien in der Hightech-Welt (3 Bände), Das zweite Leben des ›Dritten Reichs‹. (Post)nazismus und populäre Kultur (3 Bände), Liebe und Sex im 21. Jahrhundert. Streifzüge durch die populäre Kultur. Ende August erscheint von ihm „Coronakontrolle. Nach der Krise, vor der Katastrophe“ bei Bahoe Books.