Sterben ist nicht – „The Old Guard 2“

Nachdem sich die Old Guard von Booker nach dessen Verrat für die nächsten hundert Jahre verabschiedet hat, macht die Truppe der Unsterblichen weiter wie gehabt und bekämpft allerorts Schurken und ähnliches Gezücht. Auf unnachahmliche Art und Weise, denn wie gesagt – sterben ist nicht. Auch Neuzugang Nile Freeman ist inzwischen voll integriert. Aktuell hat man es auf Menschenhändler abgesehen. Als die Old Guard unter der bewährten Führung von Andy (früher Andromache und mit fast 7000 Lenzen die Seniorin) wieder zuschlägt, begegnet sie unvermittelt ihrer Vergangenheit: Denn plötzlich steht Noriko, Andys einstmals große Liebe, vor ihr, die vor einigen Jahrhunderten auf hoher See über Bord gespült wurde und seitdem als verschollen galt. Eigentlich ein Grund zur Freude, möchte man meinen, doch Noriko, verbittert durch ihren schier endlosen Leidensweg, hat das Lager gewechselt und mischt nun ganz groß im organisierten Verbrechen mit. Und sie hat sich Booker geschnappt…

Greg Rucka (Autor), Leandro Fernandez (Zeichner): „The Old Guard Bd. 2: Konzentrierte Kräfte“.
Aus dem amerikanischen Englisch von Katrin Aust. Splitter Verlag, Bielefeld 2020. 168 Seiten. 25 Euro

Fast drei Jahre nach dem Auftakt ist nun endlich der zweite Band der Reihe erschienen. Inzwischen gibt es sogar eine nicht gänzlich gelungene Verfilmung, wodurch Netflix-Guckern die Überraschung über das Auftauchen Norikos, die im ersten Teil kurz erwähnt wird, hier leider gründlich vermasselt wird. Andys einstmalige große Liebe avanciert gleich zur veritablen und ebenbürtigen Gegenspielerin der Old Guard in bester Superschurkenmanier. Sie verfügt zwar über keine unsterblichen Mitstreiter, kann dafür auf eine ganze Verbrecher-Organisation zurückgreifen. Noriko ist nicht nur verbittert, sondern hat einen Hass auf die Menschheit entwickelt, bedingt durch Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte unter Wasser, wo ihr ständiges Sterben und Wiederauferstehen auf einen schier ewigen Zyklus von wenigen Sekunden komprimiert war. Eine wahrhaft beklemmende Vorstellung – der sich in einer besonders eindringlichen Szene auch Andy stellen muss. Aber, wie Nicky treffend bemerkt, „in der Vergangenheit gelitten zu haben rechtfertigt nicht, in der Zukunft anderen Leid zuzufügen“. Weshalb man Noriko stoppen muss.

Rund um das unerwartete Wiedersehen mit Noriko und der Rettung Bookers, was im Zentrum des Bandes steht, erweitert Autor Greg Rucka die Geschichte der Unsterblichen um diverse Nebenschauplätze. Nile versorgt Agent Moose mit Infos und erlebt eine erste Liebesgeschichte und auch Copley, Ex-CIA, mischt wieder mit, da er einiges in Bezug auf die Old Guard gutzumachen hat. Dazu gesellen sich wieder diverse Historien-Rückblicke, in denen Andy im Mittelpunkt steht. Natürlich präsentiert Zeichner Leandro Fernández auch brachial choreografierte Action. Schließlich erfährt Andy eine nicht ganz schlüssige, etwas konstruierte Läuterung samt Cliffhanger und Greg Rucka informiert, dass es einen abschließenden dritten Band geben wird – aber bitte nicht erst in drei Jahren. Fazit: nicht ganz so gut wie der Erstling. Am stärksten ist der Nachfolger – abseits der Action und des plotimmanenten Sarkasmus – wenn die Akteure, allen voran Andy, über ihr Schicksal reflektieren und müde sind vom ewigen Leben. Unsterblich zu sein bedeutet auch früher oder später Einsamkeit. Denn wie sagte schon Woody Allen: Die Ewigkeit dauert lange, besonders gegen Ende.

Dieser Text erschien zuerst auf: Comicleser.de

Bernd Weigand ist schon über vier Jahrzehnte in Sachen Comics unterwegs: lesen, sammeln, übersetzen. Schreibt auch seit 20 Jahren über Comics, seit 2010 auf comicleser.de.

Seite aus „The Old Guard Bd. 2“ (Splitter Verlag)