Monster gibt es wirklich

Fürchterliches trägt sich zu in Archer’s Peak, einer eigentlich verschlafenen Kleinstadt in Amerika. Reihenweise verschwinden dort Kinder auf Nimmerwiedersehen. Eines Nachts wird der kleine James zumindest mittelbarer Zeuge der grauenvollen Vorgänge: Mit ein paar Kumpels geht er in eine nahegelegene Schlucht und stürzt dabei in einen Abgrund – und kann nur noch die Schreie seiner Freunde hören, die im nächsten Tag in Stücke gehackt entdeckt werden. Der Polizei und sich selbst sagt er unentwegt, dass es keine Monster gibt – und prompt machen ihn Mitschüler und trauernde Eltern verantwortlich für den gewaltsamen Tod ihrer Sprösslinge, immerhin ist er der letzte, der sie lebend gesehen hat. Auch im Haus von Tommy stehen die Zeichen auf Trauer, seit seine kleine Schwester Sophie wie viele andere im Wald verschwunden ist. Aber plötzlich ändert sich die Welt für James und Tommy, als aus dem Fernreisebus eine geheimnisvolle Fremde aussteigt. Sie hört auf den kuriosen Namen Erica Slaughter und macht James deutlich, dass die Morde kein Zufall sind, dass er besser anfangen sollte, an Monster zu glauben – und dass sie hier ist, um der Sache ein Ende zu setzen.

James Tynion IV (Szenarist), Werther Dell’edera (Zeichner): „Something is killing the Children. Teil eins“.
Aus dem amerikanischen Englisch von Katrin Aust. Splitter Verlag, Bielefeld 2020. 144 Seiten. 19,80 Euro

An dieser schaurigen Mär hätte Stephen King sicherlich seine grimmige Freude. Was James Tynion IV (u. a. „Batman“, „Memetic“) hier abliefert, ist eine astreine Monster-Story, die ihren Schrecken nicht zuletzt daraus zieht, dass wie auch oft bei King (man denke nur an „It“, „The Shining“, „Cujo“ oder „Doctor Sleep“) Kinder im Mittelpunkt des Geschehens stehen. Natürlich gibt es Monster, nur der Verstand lehnt das ab, weshalb nur Kinder die Viecher sehen können – und auch Erica, die offenbar für einen Geheimbund arbeitet, der ebenfalls die Schattenseiten der Existenz mithilfe eines Serums sichtbar machen kann, was vor allem Tommy – zunächst genauso ungläubig wie sein Namenspate in der Bibel – gegen Ende eindrucksvoll erleben muss. Die verschlafene Kleinstadt, über die das Grauen hereinbricht, kennen wir aus Kings immerwährenden Schauplätzen irgendwo in Colorado ebenfalls bestens.

Was Tynion der Melange hinzufügt, ist eine rabiate Kämpferin, die brachial gegen das Kroppzeug vorgeht und dabei wirkt wie eine Verbindung aus Sarah Connor, Lt. Commander Ripley und der handgreiflichen Alice aus der „Resident Evil“-Serie. Natürlich ist Erica Slaughter ein Deckname, ihr Ausweis ist eine offensichtliche Fälschung, irgendwer namens Aaron gibt ihr am Telefon permanent obskure Anweisungen, sie spricht mit einem Stoff-Oktopus, der metaphysisches Wesen zu sein scheint – in Archer’s Peak ist eben nichts, wie es an der Oberfläche scheint, wie das schon in „Twin Peaks“ der Fall war. Pechschwarzer Humor darf allerdings nicht fehlen, etwa in der Szene, als Erica im Hardware-Store für ihre Attacke einkauft. Als der Verkäufer stolz berichtet, er empfehle stets hochwertige Motorsägen, die im Gegensatz zu dem billigen Ramsch, der höchst gefährlich einfach weiterläuft, wenn man loslässt, sofort stoppen, entgegnet Erica ungerührt: „Kann ich die billigen Schrottmodelle sehen? Die, die sich durch alles durchfressen?“

Die Inszenierung von Werther Dell’Edera („Spider-Man“, „Dylan Dog“) fügt sich kongenial ins Geschehen und wirkt hinreichend surreal, bizarr und vor allem in den horrorgetränkten Momenten düster-atmosphärisch – vor allem der Kampf in der Monsterhöhle lehrt einen das buchstäbliche Grausen. Die Szene ist somit mehr als vorbereitet für eine furiose Serie, die vom Boom!-Verlag 2019 zunächst auf fünf Teile angelegt war, dann aber aufgrund des schon im Vorfeld abzulesenden massiven Zuspruchs auf Dauerstatus gesetzt wurde. Hier versammelt finden wir ebenjene ersten fünf Teile, schön aufgemacht und ergänzt um eine Cover-Galerie.

Dieser Text erschien zuerst auf Comicleser.de.

Holger Bachmann ist Autor diverser Bücher und Aufsätze zur Film- und Literaturgeschichte. Neben dem Comicleser.de schreibt er auf kühleszeug.de über Konzerte und geistvolle Getränke.

Seite aus „Something is killing the Children“ (Splitter Verlag)