Japanische Mythologie

Japan, April 1701. Fürst Asano, ein beliebter Feudalherr, soll in der Hauptstadt Edo im Auftrag des Shoguns eine Zeremonie vorbereiten. Unterwiesen wird er dazu von dem einflussreichen Hofbeamten Kira Yoshinaka. Der erwartet für seine Arbeit großzügige Geschenke – heute würde man von Bestechung reden. Als Asano diese verweigert, wird der junge Fürst von dem korrupten Beamten erst gegängelt, dann in aller Öffentlichkeit bloßgestellt. Asano zieht sein Schwert und verletzt Kira bei dem folgenden Handgemenge im Gesicht. Im Palast des Shoguns eine Waffe ziehen – darauf steht die Todesstrafe. Und da Asano keinerlei Fürsprecher hat, wird diese auch sogleich vollzogen. Asano wird zum Seppuku, dem rituellen Selbstmord gedrängt, noch ehe seine Familie und sein Clan reagieren können.

Mike Richardson (Autor), Stan Sakai (Zeichner): „47 Ronin“.
Aus dem Englischen von Jens R. Nielsen. Dantes Verlag, Mannheim 2020. 152 Seiten. 22 Euro

Oishi, der Hauptratgeber Asanos, gibt sich zuerst die Schuld am Tod seines Herrn, weil er ihn die Reise nach Edo allein antreten ließ. Dann erfährt er von den Ungerechtigkeiten Kiras und beschließt, seine Pflicht zu erfüllen und den Namen seines Fürsten reinzuwaschen. Doch zuerst nimmt das harte Recht seinen Lauf. Die Familie Asanos verliert ihr gesamtes Vermögen, ihren Besitz und ihre Ländereien. Der Fürstensitz geht auf das Shogunat über, die Vasallen des Fürsten müssen fort und werden zu Ronin, zu herrenlosen Samurai. Dennoch gelingt es Oishi, einige Getreuen zu versammeln. 47 Stück an der Zahl: Sie alle leisten einen Eid, dass sie nicht ruhen, ehe Kira tot und Fürst Asano damit gerächt ist, auch wenn es das eigene Leben kosten wird.

Die wahre Begebenheit von den 47 Ronin kennt in Japan jedes Kind, gilt sie doch als bestes Beispiel für den Bushido, den Weg des Kriegers und dessen bedingungslose Treue zu seinem Herrn, auch über dessen Tod hinaus. Die Geschichte wurde mehrmals verfilmt und adaptiert, meist in Japan, zuletzt in Hollywood, doch ist der 2013 gedrehte Streifen mit Keanu Reeves mit diversen unsinnigen Fantasy-Elementen angereichert, was die eigentliche Thematik gründlich verwässert und streckt. Autor Mike Richardson, Mitbegründer des Verlages Dark Horse, greift für seine Graphic Novel (die 2014 ursprünglich als Miniserie in fünf Heften erschien) die ursprüngliche Geschichte auf, die freilich auch in all den Jahren ausgeschmückt, angereichert und idealisiert wurde, sodass sich nicht mehr alle Details historisch nachweisen und überprüfen lassen. Unterstützt – auch in der Recherche – wurde er dabei von Mangaka Kazuo Koike, dessen „Lone Wolf & Cub“ bei Dark Horse veröffentlicht wird.

Als Zeichner konnte man Stan Sakai gewinnen, der bereits seit Jahrzehnten seinen Usagi Yojimbo erfolgreich durch das feudale Japan ziehen lässt. Hier verzichtet Sakai auf die gewohnten anthropomorphen Figuren, bleibt aber ansonsten seinem typischen stilisierten Zeichenstil treu, der sich irgendwo zwischen Funny und Realismus bewegt, wobei auch hier größter Wert auf historische Akkuratesse gelegt wird, beispielsweise was zeitgenössische Kleidung und Gebäude betrifft. Das Zusatzmaterial am Ende des Bandes umfasst u. a. die Cover der Einzelhefte, Infos zur Entstehung des Bandes (so besuchte Mike Richardson die Begräbnisstätte Asanos und der 47 Ronin im heutigen Tokio) und ein Interview mit Stan Sakai, der hier erstmals in einem größeren Projekt nicht nach eigenem Skript arbeitete.

Dieser Text erschien zuerst auf: Comicleser.de

Bernd Weigand ist schon über vier Jahrzehnte in Sachen Comics unterwegs: lesen, sammeln, übersetzen. Schreibt auch seit 20 Jahren über Comics, seit 2010 auf comicleser.de.

Seite aus „47 Ronin“ (Dantes Verlag)