Rossis Rätsel und Andreas‘ Geheimnisse

Im Januar 2021 ist bei Schreiber & Leser mit „Cutter“ ein neuer Comic des deutsch-französischen Autors und Zeichners Andreas (Martens) erschienen. So weit, so falsch.

„Cutter“ ist die Neuveröffentlichung von „Coutoo“, erstmals 1989 bei Delcourt, hierzulande 1991 bei Carlsen Lux erschienen – unter dem deutschen Titel „Unsterblich wie der Tod“. Nun ist eine neue Übersetzung auf den Markt gekommen, und die Übersetzerin Rossi Schreiber gibt in diesem Interview gleich mehrere Geheimnisse preis.

Andreas: „Cutter“.
Aus dem Französischen von Resel Rebiersch. Schreiber & Leser, Hamburg 2021. 48 Seiten. 14,95 Euro

Der Comic um einen mysteriösen Messermörder fällt in die zentrale Schaffensphase des inzwischen 70-jährigen Andreas. In den 1980er Jahren waren neben kurzen Arbeiten bereits die ersten Teile von „Rork“ (ab 1978 in „Tintin“) veröffentlicht worden, ebenso die kryptischen „Cyrrus“ (1984) und „Mill“ (1987) sowie der erste Teil von „Cromwell Stone“ (1986). In Frankreich wurde Andreas schon früh mit großer Begeisterung wahrgenommen, während die vereinzelten Versuche, sein Werk in Deutschland zu popularisieren, nach mehreren Carlsen-Lux-Bänden in den 1990ern wieder eingestellt wurden. Auch die Serie „Capricorn“ wurde von Carlsen nach zwei Alben 1998 beendet.

In Angoulême wurde seinem Werk 2013 eine große Ausstellung („Les Arcanes d’Andreas“) gewidmet, und seit 2014 hat der Verlag Schreiber & Leser sich der wichtigsten Werke von Andreas angenommen: Nach „Cromwell Stone“ (2014) sind eine zweibändige Gesamtausgabe von „Rork“ (2015) und sämtliche Alben von „Capricorn“ in sieben Bänden (2016-19) erschienen. Darüber hinaus „Im Labyrinth der Erinnerungen“ (2019), „Cyrrus – Mil“ (2020) und „Argentina“ (2020).

Die Verlegerin (Schreiber & Leser) und Übersetzerin Rossi Schreiber stand für ein Interview zur Verfügung und konnte gleich zwei Rätsel auflösen.

Bisher haben alle Übersetzungen, vom Englischen übers Niederländische bis ins Polnische den Originaltitel „Coutoo“ übernommen. Die deutsche Übersetzung von 1989 wählte den Titel „Unsterblich wie der Tod“, Schreiber & Leser hat sich mit „Cutter“ für eine weitere Variante entschieden.

Wir versuchen so weit wie möglich, Wortspiele ins Deutsche zu übertragen. „Coutoo“ ist lautgleich mit frz. „couteau“ (dt. Messer), und in der Story geht es um einen Messermörder. Also haben wir dem Autor das englische „cutter“ vorgeschlagen, zumal die Endung „too“ auf eine vom Autor beabsichtigte englische Aussprache hinweist, und es gefiel ihm. Den Carlsen-Titel fand ich aber auch genial.

Seite aus „Cutter“ (Schreiber & Leser)

Wenn „Coutoo“ sich auf „two“ reimen sollte, wäre das ja ein Fingerzeig auf die vielen Spiegelungen in dem Comic: War dies damit beabsichtigt?

Die Idee ist mir noch gar nicht gekommen, macht aber durchaus Sinn. Wie du ganz richtig sagst, liebt Andreas Doppelungen, Spiegelungen und Zweier-Entsprechungen. Auch Toby-Toby mit dem Doppelnamen ist ja schizophren im klinischen Sinne, wenn man so will.

Teile deiner Übersetzung weichen stark von der alten Ausgabe ab: Hattest du ein Ziel bei der Übersetzung, etwa dichter am Original zu formulieren oder zeitgemäßer?

Der Autor hat darum gebeten, denn in der damaligen Übersetzung waren offenbar ein paar Feinheiten der Story verloren gegangen. Nach so vielen Jahrzehnten verändert sich an manchen Stellen der Sprachgebrauch. Und ich habe bestimmte Vorstellungen von guten Comicübersetzungen: flüssig und möglichst nah an dem, was der Autor gemeint hat bzw. was in der Situation gemeint ist oder was man auf Deutsch in der Situation sagen würde. Das geht mitunter recht weit weg vom Originaltext, besonders in den Dialogen. Deshalb passe ich oft landesübliche Sprachgewohnheiten an. „Merde“ (dt. „Scheiße“) ist im Französischen umgangssprachlich eher normal, während man bei uns in ähnlichen Situationen inzwischen meistens „Mist“ sagt.

Welche Feinheiten hat Andreas genau vermisst?

Es gab eine Reihe von Missverständnissen, so etwa am Anfang, als Boppo eifersüchtig auf einen vermeintlichen Nebenbuhler ist und seine Freundin Gina anmotzt: „Was heißt, er ist alt?! Er ist Arzt, oder nicht? Der kennt Sachen … Er hat diese Aphro … Aphrodi …“ In der ersten Version stand: „Er hat Tricks drauf … Afro … Sachen!“

An anderer Stelle steht „morituri“, das Partizip Futur des lateinischen „moriri“ (dt. „sterben“) und bedeutet: „diejenigen, die sterben werden“. Das Wort ist bekannt aus der Redewendung „morituri te salutant“, was so nicht im Comic steht, was ich aber geschrieben und mit einer Fußnote erläutert habe. In der alten Fassung stand „Moritat“.

Manchmal bin ich auch einfach nur drastisch, wo es mir angemessen erscheint. Toby-Toby pflaumt einen Cop an, frühere Version: „Na, Dickwanst, kaufen wir dir was, um dein Fett zu füttern?“ Meine Version: „Na, Dicker, immer feste die Fressleiste stopfen, was?“

Seite aus „Cutter“ (Schreiber & Leser)

Aufgefallen ist mir der Umgang mit den rassistischen Bezeichnungen von Toby-Toby, die du anders übersetzt hast. So hast du „Affe“ vermieden und die „Tintenkleckse“ ersetzt.

Persönlich finde ich Säuberungsaktionen in der älteren Literatur übertrieben, bei Kinder- und Jugendliteratur ist es momentan angezeigt – siehe Pippi Langstrumpfs „Negerkönig“. In der aufgeheizten Debatte von heute hätte Andreas selbst seine Figur vermutlich nicht „Affe“ genannt, also habe ich mir die Freiheit genommen, eine gemilderte Version zu schreiben. Ich wünsche mir eine Zeit in der nahen Zukunft, in der man ältere Texte stehen lassen kann und gelassen als historisch überholt einordnet.

Bei Andreas hat man ja den Sonderfall, dass der Autor deutschsprachig ist, die Alben aber dennoch vom Französischen ins Deutsche übersetzt werden müssen. Wie eng ist die Zusammenarbeit mit Andreas?

Unser Kontakt ist ungezwungen. Da er zu komplizierten Gedankengängen und verrätselten Plots neigt, müssen wir manchmal nachfragen. Wichtige Änderungen wie Namen oder den Buchtitel stimmen wir natürlich ab. In zwei Werken hat er sogar codierte Botschaften versteckt, die man unmöglich übersetzen kann. An eine der Lösungen konnte er sich kürzlich selbst nicht mehr erinnern.

Kannst du eines der beiden Andreas-Rätsel auflösen?

Das sind Spielereien des Autors, die zum Verständnis der Storys nicht nötig sind. Andreas erklärt: „In der Serie ‚Capricorn‘ kommt mehrfach das Wort ,Terminus‘ vor. Die ersten Buchstaben der Namen der Figuren, die das Wort sagen, ergeben das Alphabet, in dem aber sieben Buchstaben fehlen, die dann ein (leicht auffindbares) Wort ergeben.“

Die Deutsche Nationalbibliothek listet mehr als 700 Einträge mit deinem Namen: Übersetzungen etwa für Carlsen, Splitter und Ehapa. Moebius etwa kennen wir hierzulande durch deine übersetzerische Brille. Du übersetzt unter einem exotisch klingenden Namen: Resel Rebiersch. Warum und wie kam es dazu?

Mein ulkiges Pseudonym „Resel Rebiersch“ (das man rückwärts lesen kann) hat Eckart Sackmann erfunden. Als er noch Redakteur bei Carlsen war, trat er als Erster mit der Frage an mich heran, ob ich eine Comicserie für ihn übersetzen wollte. Da ich schon immer eine begeisterte Comic-Leserin war, rannte er damit bei mir eine offene Tür ein.

Welche Andreas-Comics sind in den nächsten Jahren bei Schreiber & Leser geplant?

Die Leser fragen oft nach „Arq“, aber die Händler mögen Serien, bei denen jeder Band ein anderes Format hat, nicht sonderlich. Folglich schwanken wir noch.

Vielen Dank für das Interview!

Das Interview führte Gerrit Lungershausen mit Rossi Schreiber bzw. Resel Rebiersch im April 2021 via E-Mail.