Ein Schweinchen namens Max

© Warner Bros.

Trotz seines Nihilismus und Hochleistungspflichtübererfüllungsethos ist George Millers „Mad Max: Fury Road“ fast ehrfurchtgebietend.

Der australische Regisseur George Miller hat der Welt zwei große Bewegtbildikonen beschert: Mad Max und Schweinchen Babe. Von letzterer Figur wurde das in Österreich seit gefühlten dreißig Jahren dauerpräsente „Ja natürlich“-Schweinderl abgeleitet: das ostentativ entzückend sprechende Ferkelmaskottchen der flächendeckenden Werbung für eine Austro-Bio-Lebensmittel-Dachmarke. (Einige der diesbezüglichen, nicht selten prämierten TV-Spots inszenierte übrigens Stefan Ruzowitzky, der Wiener Regisseur, der „Anatomie“, „Die Fälscher“ und eben Bio-Marken-Ferkel im Repertoire hat.)

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Im Oeuvre von Miller hat sich gegenüber dem Mad Max-Prototyp von 1979 quasi das Schweinderl durchgesetzt: Sein erster Ultraviolenz-Autoaction-Neo-Noir-Krimi zeigte Max noch als Cop und eine punkige Sozialwelt mit prekären Konturen, zumal im traumatischen Übergang zwischen white middle class-Norm, psychotischer Coolness und regressivem Gewaltausbruch (in dieser Hinsicht vergleichbar dem rezenten Modell „Drive“). Die Fortsetzungen von 1981 und 1985 stilisierten Hauptdarsteller Mel Gibson zum Road Warrior: Fahrbahn- oder Donnerdom-förmg ausgebaute Duran Duran-Videos voll Pelz, Prophezeiung und rollendem Schrott entwarfen das hardcore-postmoderne Kinobild einer geschlossenen, auf ihre Art stimmig geordneten Welt nach dem Crash. Ja, natürlich! (Im bislang letzten Film „Mad Max – Beyond Thunderdome“ kommen auch haufenweise Schweinchen und süße Kinder vor.)

Die in sich naturhaft geschlossene (zugleich endlos auswuchernde) Welt: Da macht Millers „Mad Max: Fury Road“ nun weiter. Max Rockatansky stellt sich uns eingangs mit innerem Monolog und Erinnerungsflashes als plemplem und der Menschen müde vor, verspeist schnell noch einen lebenden Zweikopfleguan – und ab geht’s, ohne dass noch mal Zeit für Stärkung per Naturkost-Imbiss bliebe. In der Mitte sechs Minuten Halbzeitboxenstopp: Charlize Theron, einmarmig, kahlköpfig, von der Starpower und Screentime her gleichauf mit Max, schreit ihr Herkunftstrauma in Wüstenweiten hinaus (Drehorte: Namibia, Südafrika, Australien). Dann geht die Zweistundenautocrashsequenz weiter. Vielmehr – fast programmatisch und, auch wenn es in der Game-Logik normal sein mag, fast obszön in einem Spielfilm – geht es den ganzen Weg wieder zurück (auch noch mal durch den Canyon, bedrohlich wie in einem B-Western von 1955). Tom Hardy hat sich als Neo-Max für drei Sequels verpflichtet, also fährt er noch sechsmal hin und her.

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Mit ornamentalen „Neben“-Figuren (daneben sind hier ja alle irgendwie) wie dem an einen Truck-Grill geketteten, dauerjaulenden Metalgitarristen oder den Magermodels in wehenden Leinenfetzen auf der Rückbank, mit dem permanentem Klettern, Grunzen, Sich- und Einander-Wehtun auf dahinbretternden Verfolgungsvehikeln, mit seinem benzingetränkten Wust an geritzter Haut und verschwitztem Fleisch, an Ketten, Stacheln und Pusteln, kurz: Mit seinen zahllosen Binnendifferenzen, die alle keinen Unterschied bewirken, beweist das hochtourige Action-Abstraktions-Design in Wüstengelb und Feuerrot (fast schon „eindrucksvoll“), dass Präzision im Detail und Konfusion im Gesamt, Flexibilität beim Entern und Sturheit beim Dranbleiben dauerhaft – zwei Stunden lang – zusammengehen. Auffallend viele Metallzaumzeuge in Menschengesichtern, wie wir das von Dr. Lecter oder Batmans Bane (Tom Hardys Durchbruchsrolle) kennen. Viel „Valhalla!“ wird gerufen, auch das kennen wir von irgendwo. Dauernd ist irgendwas da, fett in 3D, einfach so, ja – natürlich! Alles hängt oder stößt zusammen.

Und doch ist der Film ob seines Nihilismus fast ehrfurchtgebietend und macht in seinem Hochleistungspflichtübererfüllungsethos – viel obsessiver als vor sieben Jahren Neil Marshalls Eighties-Postapokalypse-Action-Hommage „Doomsday“ – auch noch einen schlanken Fuß. Zumal Bleifuß. Oder deren zwei. Also (im Jargon des millerschen Oeuvres gesagt) „Happy Feet“. Allerdings ohne Zehen, denn Hugh Keays-Byrne, der im ersten „Mad Max“-Film den grandiosen Toecutter gespielt hat, wirkt hier auch mit.

Diese Kritik erschien zuerst am 07.10.2017 auf: filmgazette.de

Mad Max: Fury Road
Australien 2015 – 120 min.

Regie: George Miller – Drehbuch: Nick Lathouris, Brendan McCarthy, George Miller – Produktion: Bruce Berman, Graham Burke, Genevieve Hofmeyr, George Miller, Doug Mitchell, Iain Smith, P.J. Voeten – Bildgestaltung: John Seale – Montage: Jason Ballantine, Margaret Sixel – Musik: Junkie XL – Verleih: Warner Bros. GmbH – FSK: ab 16 Jahren – Besetzung: Tom Hardy, Nicholas Hoult, Zoe Kravitz, Charlize Theron, Rosie Huntington-Whiteley, Riley Keough, Nathan Jones, Josh Helman, Megan Gale, Richard Carter, Angus Sampson, Hugh Keays-Byrne, Courtney Eaton, Melissa Jaffer, John Howard – Kinostart (D): 14.05.2015

Drehli Robnik, geb. 1967, Theoretiker in Sachen Film und Politik, Edutainer, Kritiker, Disk-Jockey. Doktorat Universität Amsterdam (2007). Universitäre Lehrtätigkeit in A, D, CZ, FL 1992-2015. Monografien zu Stauffenberg im Film, zu Jacques Rancière und zur Regierungs-Inszenierung im Kontrollhorrorkino. Herausgeber der Film-Schriften von Siegfried Mattl. In Arbeit: DemoKRACy: Siegfried Kracauers Politik[Film]Theorie. Kürzlich erschien von ihm bei Neofelis „Ansteckkino. Eine politische Philosophie und Geschichte des Pandemie-Spielfilms von 1919 bis Covid-19“.