Dieser Beitrag erschien auch in der ALFONZ-Ausgabe 03/2021 als Gastkommentar von: Filipe Tavares, Beatrice Tavares, Sven Jachmann, Jörg Faßbender, Sarah Burrini, Nils Oskamp, Emanuel Brauer, Matthias Penkert-Hennig & Andreas Wolf
Weitere Unterstützer*innen (Stand: 31.07.2021):
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Wir freuen uns über jede Stimme gegen Rechts. Wer in die Unterstützer:innenliste mit aufgenommen werden möchte, schreibt einfach eine kurze Nachricht an: info@comic.de
In [ihrer] letzten Ausgabe [2/2021] sah sich die ALFONZ-Redaktion berufen, einen Kommentar von Peter Lau abzudrucken. Dieser reagierte auf eine Welle der Empörung, die sich an einem Beitrag im Fachmagazin COMIXENE entzündete und von den Reaktionen des Herausgebers noch verstärkt wurde.
Der Auslöser für den Protest dürfte für Personen mit einem humanistisch-demokratischen Selbstverständnis so simpel wie nachvollziehbar sein: Der COMIXENE-Herausgeber hatte einem Comic-Verlag, der mit dem mittlerweile auch vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingeordneten und daher beobachteten Unterstützerverein für rechte Umtriebe „Ein Prozent“ verknüpft ist, eine Bühne gegeben. Erschwerend kommt hinzu, dass der Herausgeber im Vorfeld mehrfach konkret auf diesen Hintergrund und so auf die Beihilfe zur Salonfähigkeit hingewiesen wurde.
Doch alle wohlwollenden Zurufe wurden ignoriert, was Langzeitbeobachter:innen aber kaum überrascht hat, da sich der Herausgeber auch schon bei anderen Themen mit anachronistischer Sprachpflege als politischer Überzeugungsstäter gezeigt hatte.
Umso erstaunlicher dann nur noch der Kommentar von Peter Lau. Schon nach wenigen Zeilen entsteht der Eindruck, mensch liest ein Verteidigungsplädoyer und wird entsprechend in ein Gerichtsverfahren hineingezogen (in dem mensch sich, ehrlicherweise, natürlich schon seit dem ersten „J‘accuse“ gegen den „angeklagten“ Herausgeber bewegte): Einstieg mit den bisherigen Leistungen des Angeklagten für die Community (unbestreitbar, aber, tja, gute Taten vor einer Straftat feien nicht vor einer Verurteilung), ein paar Verschwörungsgedanken, die den Konflikt gänzlich verfehlen und den augenscheinlichen Auslöser mit einem komplexen globalen Überbau verknüpfen (das Begriffsarsenal ist beachtlich und recht international: Putin, Trump, Brexit, Trolle, Bots, zentrale Weltmacht), Appell, dass der Angeklagte ja auch nur ein Mensch sei, keine Zeit für eigene Recherchen hatte und bestimmt auch von niemenschen gewarnt wurde (ist widerlegt), Schelte gegen die „sozialen Medien“, die keine Orte für „richtige Diskussionen“, sondern eh primär an gesellschaftlicher Spaltung, Verrohung, Desinformation und Hass schuld seien (nicht etwa konkrete Personen und deren ideologischer Antrieb), und schließlich noch ein expliziter Großangriff auf die Integrität der „Ankläger:innen“, diese handelten aus Neid auf die altehrwürdigen Diskursführer der Community und/oder seien als Dauergäste am beruflichen Abgrund gemäß dem Diktat der Aufmerksamkeitsökonomie gezwungen, ein wöchentliches Soll an Empörung zu leisten (wir haben ja sonst nichts zu tun) – dass übrigens auch das Magazin „Comics & Mehr“ kurz darauf sogar eine Anzeige (!) jenes Verlages abdruckte, sich nach öffentlicher Kritik aber direkt und klar distanzierte (Unwissenheit zugegeben, Anzeigengeld gespendet, Wiederholung ausgeschlossen) und so der Protest sofort aufhörte, wird nicht erwähnt.
Wäre am Ende dieser ganzen Schachzüge also noch explizit auf „Freispruch“ plädiert worden, hätte das kaum überrascht, doch so weit wollte der Verfasser dann wohl doch nicht gehen.
Nun ist ein fairer Prozess Voraussetzung einer Demokratie. Wir, also jene, die im Kommentar mehr oder weniger offen als Ankläger:innen adressiert werden, lassen nichts an dieses Recht rankommen und haben es daher trotz allem begrüßt, dass jemensch freiwillig bereit war, die „Verteidigung“ des Angeklagten zu übernehmen.
Nicht demokratisch hingegen war es bisher, dass es kein „Gegenplädoyer“ gab. Es wäre für jeden Angeklagten natürlich stets ganz wunderbar, wenn nur seine Verteidigung zu Wort käme, aber so funktioniert das eben nicht.
Wie dargelegt finden wir die „Verteidigung“ nicht überzeugend. Vor allem der Vorwurf an die Ankläger:innen, die eigene Stimme hier nur monetisieren zu wollen, überspannt jeden Bogen und offenbart lediglich, dass mit allen Mitteln vom eigentlichen Konflikt abgelenkt wird: Der Angeklagte hat einem Verlag, der offen antihumanistische und antidemokratische Visionen in seinen Publikationen verbreitet, eine Bühne gegeben.
Daraufhin haben selbst einige der bis dahin wohlgesinnten Unterstützer:innen des Fachmagazins, die prinzipielle Probleme mit besagten Visionen haben und entsprechende Verlage bereits boykottieren, konsequenterweise auch zum Boykott eben jener Bühne aufgerufen, so lange keine echte Reflexion und Abgrenzung zu erkennen sei. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Wer jetzt sagt, dass dieses „Mit-dem-Finger-auf-Personen-zeigen“ und Boykottaufrufe doch den Methoden jener so verhassten Nazis ähneln, der übersieht den feinen Unterschied: Die genannten Methoden, die im Übrigen keine neue Erfindung der digitalen Ära sind, werden für das genaue Gegenteil eingesetzt. Auf der einen Seite, um Humanismus und Demokratie zu zerstören, auf der anderen, um diese zu verteidigen. Somit stellt sich gar nicht mehr die Frage, ob oder inwieweit diese Methoden in Ordnung sind oder wie oft sie zum Einsatz kommen dürfen. Es stellt sich lediglich die Frage, auf welcher Seite jede:r Einzelne steht bzw. stehen will.
Es braucht sich also niemensch mehr wundern, dass der Teil der Comic-und-Manga-Community, der humanistisch-demokratische Grundwerte lebt, auch in Zukunft auf zuwiderlaufende Verlage und alle, die diesen Verlagen als Steigbügelhalter dienen, mit allem Widerstand reagieren wird – ohne zu zögern und auf allen Kanälen.
Und wer sich jetzt fragt, warum die Toleranzgrenze so niedrig ist und jede Kompromissbereitschaft fehlt, woher dieser Wille zur Konfrontation kommt und ob dies hier noch ein „Gegenplädoyer“ oder nicht bereits ein „Manifest“ sei, jene:r sollte sich einmal die Anfänge der Superhelden-Figuren vergegenwärtigen, Spiegelmans „Maus“ lesen, Cruses „Stuck Rubber Baby“, Kuberts „Yossel“, Nakazawas „Barfuß durch Hiroshima“, die Bücher von Will Eisner, Rutu Modan und Liv Strömquist, und überhaupt einfach mehr unterschiedliche Werke der Grafischen Literatur. Vielleicht geht ja der:m einen oder anderen dann ein Licht auf!
Das Texthonorar des ALFONZ-Magazins wurde durch die beteiligten Autor:innen aufgestockt und an den Comic Solidarity e.V. gespendet.