Ein Bandit trifft den Tod

Schon als Kind ist Murr ein fieser Typ, der Kekse klaut, Tiere quält und die anderen Kinder in der Prärie-Kita verprügelt. Bandit lautet denn auch die Berufs-Empfehlung, die ihm seine Schule mit auf den Weg gibt. Kein Wunder also, dass er 20 Jahre später als Bandit ohne Furcht und Mitleid sein Unwesen treibt.

Diesen Schurken bringt die Leipziger Comic-Künstlerin Josephine Mark mächtig ins Wanken, als sie ihn mit dem Tod konfrontiert: Murr landet am Galgen – doch der Strick reißt und seitdem verfolgt ihn der Sensemann buchstäblich bei seinen Schandtaten. Einem Duell weicht Murr deshalb lieber aus. Und selbst beim Falschspiel im Saloon hat Murr plötzlich Angst, erwischt und einen Kopf kürzer gemacht zu werden. Der Tod erinnert ihn auf Schritt und Tritt daran, wie fragil das Leben eigentlich ist.

Josephine Mark: „Murr“.
Zwerchfell Verlag, Stuttgart 2021. 118 Seiten. 15 Euro

Wie fragil das Leben sein kann, hat Autorin Mark auch im eigenen Alltag erfahren. Menschen aus der Familie oder dem Bekanntenkreis seien krank geworden. Für die Comiczeichnerin waren das viele kleine Nadelstiche, die sie über den Tod, das Abschiednehmen und Loslassen nachdenken ließen, erzählt sie. Mit „Murr“ hat Mark ihre Beschäftigung mit dem Tod nun in den Comic gebracht. Das macht sie mit ungeheurer Leichtigkeit. Die Dialoge haben oft die Rasanz von Screwball-Komödien – „I Shot the Sheriff“ ruft Murr zum Beispiel – und von hinten antwortet es „But you didn’t shoot the Deputy“. „Murr“ ist ein witziges Spiel mit Zitaten aus der Popkultur, vor allem aber aus Westernklassikern.

Mark zeichnet das mit so prägnantem Tusche-Strich, dass all der Grimm Murr genauso ins Gesicht geschrieben steht wie Angst, die ihn plötzlich befällt – und die Verwunderung darüber.

Rund 15 Jahre lang hat die Zeichnerin für das Leipziger Kulturzentrum Moritzbastei als Grafikerin gearbeitet und nebenbei Cartoons veröffentlicht. Der Wunsch, längere Geschichten mit Tiefgang zu zeichnen, wurde immer größer, bis sie irgendwann im Jahr 2019 ihren Job an den Nagel hängte und zielstrebig loslegte.

Das Skript für „Murr“ hat Mark in einer Woche geschrieben. Damit das so schnell geht, hat sie ihre Geschichte als Western angelegt. Die Figurenkonstellation sei bei einem Western so klassisch, dass die Leserinnen und Leser dazu Bilder im Kopf hätten, ohne dass die lange vorgestellt werden müssten. Tatsächlich ist der Comic „Murr“ auch deshalb so gelungen, weil er ohne Umwege auf den Punkt kommt – beim Humor, aber auch wenn es um Leben und Tod geht.

Für Mark ist „Murr“ jedenfalls nur ein Anfang. Zehn Comics will Mark in schneller Folge zeichnen, um sich dann, wie sie augenzwinkernd sagt, mit Muße ihrem Spätwerk widmen zu können.

Dieser Beitrag erschien zuerst am 26.11.2021 auf: MDR Kultur

Andrea Heinze arbeitet als Kulturjournalistin u. a. für kulturradio rbb, BR, SWR, Deutschlandfunk und MDR.

Seite aus Josephine Marks „Murr“ (Zwerchfell)