James Wans „Aquaman“ zeigt, dass dem Blockbusterkino der Gegenwart der „Sense of Wonder“ gründlich verloren gegangen ist.
„Jules“ und „Verne“ sind die ersten beiden gesprochenen Wörter in „Aquaman“. Wenige Momente später rückt eine Ausgabe von H. P. Lovecrafts „The Dunwich Horror“ erst unauffällig, dann mit Nachdruck ins Bild. James Wan (Regie) und Will Beall (Drehbuch) machen um ihr Referenzsystem keinen Hehl: Die beiden Säulenheiligen und zentralen Stichwortgeber der modernen Fantastik bilden den Rahmen für den mittlerweile sechsten Beitrag zum arg krisengeschüttelten „DC Expanded Universe“: Jules Verne führte uns einst in die unzugänglichen Welten tiefster Tiefen und höchster Höhen, um uns dort so fremde wie wunderbare Welten aufzuzeigen, Lovecraft hingegen fürchtete im Allgemeinen nichts so sehr wie die gegenüber den Menschen indifferenten Leeren, in denen Weißgottwas schlummert, und erzählte im „Grauen von Dunwich“ im Besonderen von okkulten Hinterwäldlerexperimenten mit Familienlinien, die genetisch nicht ganz einwandfrei abliefen – gerade so wie der Titelheld (Jason Momoa) des vorliegenden Films aus der Liaison zwischen der eigentlich am Meeresboden beheimateten, zu Beginn des Films aber wie Aphrodite an die Küste von Maine gespülten Königin von Atlantis (Nicole Kidman) und einem einsamen Leuchtturmwärter (Temuera Morrison) hervorgegangen ist. (Wobei Lovecrafts Fischmenschhorrorgeschichte „Schatten über Innsmouth“ als Referenz vielleicht noch naheliegender gewesen wäre, aber lassen wir das fürs Erste.)

© Warner Bros. Entertainment
Nach einem Cameo in „Batman v Superman“ (2016) und einer tragende(re)n Rolle in „Justice League“ (2017) hat Aquaman in dem ihm selbst gewidmeten Film bereits seinen dritten Auftritt im „DC Expanded Universe“, das seit seinem so furiosen wie umstrittenen Auftakt „Man of Steel“ (2013) sonderbar orientierungslos mal in die eine, mal in die anderen Richtung taumelt, stets verkniffen auf der Suche nach der Gunst des Publikums. Dieses flutet die Säle zwar, verlässt das Kino aber nur selten voll zufrieden, während es den Filmen des direkten Konkurrenten und „Shared Universe“-Vorreiters Marvel scheinbar spielend gelingt, nicht nur ein Heidengeld einzuspielen, sondern auch die Fans zu euphorisieren.

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Kultur heute schlägt alles nicht nur mit Ähnlichkeit, sondern auch mit Dämlichkeit: Mit „Aquaman“ wollen Warner Films, Legendary Pictures und DC nach all den Shitstorms einen Publikumshit geradezu erzwingen – Fantasy-Gedöns, Marvel-Quirkiness in Sachen Witz und -Flatness in Sachen Optik, dazu am Ende noch der wirre Gastauftritt eines Riesenmonsters, das auffällig jenen Viechern aus den „Pacific Rim“-Filmen ähnelt, die Warner/Legendary Pictures praktischerweise ohnehin im Porfolio hat. Wenn es für eine Szene nach Afrika geht, wirft man schnell eine öde Coverversion von Totos „Africa“ ins Kino, weil sich herumgesprochen hat, dass der Song im ironischen Nostalgie-Seitenarm des Internets derzeit steil geht, dreht den Regler rasch rauf, dreht ihn rasch wieder runter – soweit also „Africa“. Irgendwer wird schon „OMG totally LOVED that Africa moment“ twittern. Bitte habt uns lieb.

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Im Grunde ist dies nur Ausdruck der Wurschtigkeit, die Filme solchen Schlags mittlerweile auszeichnet. Der „Sense of Wonder“, der mit Spektakel-, Blockbuster- und phantastischem Genrekino einmal einherging, ist längst totgeschlagen und den Hitzetod gestorben, alles wirkt beliebig zurechtgestutzt, das Haben von Spaß – jetzt aber bitte wirklich – mit Nebelhörnern von der Leinwand herab ins Kino deklariert, die Referenzen willkürlich zusammengeschustert. Irgendwem wird das mit Toto, Jules Verne und Lovecraft schon auffallen. Und uns dafür ganz sicher lieben. Und was darüber twittern. Oder was darüber schreiben. Beim Perlentaucher zum Beispiel. Passt ja. Perlen, tauchen, Aquaman. Meh.
Dieser Text erschien zuerst am 19.12.2018 auf perlentaucher.de.
Aquaman
Australien / USA 2018
R: James Wan – B: David Leslie Johnson-McGoldrick, Will Beall – A: Paul Norris, Mort Weisinger – P: Rob Cowan, Peter Safran – K: Don Burgess – S: Kirk M. Morri – M: Rupert Gregson-Williams – A: Bill Brzeski – V: Warner Bros. Pictures – L: 143 Min – FSK: 12 – D: Jason Momoa, Amber Heard, Nicole Kidman, Patrick Wilson, Dolph Lundgren, Willem Dafoe, Yahya Abdul-Mateen II, Ludi Lin, Temuera Morrison – Filmstart in Deutschland: 20.12.2018
Thomas Groh, Jahrgang 1978, lebt seit 1997 in Berlin, ist Redakteur bei Deutschlandfunk Kultur und schreibt u. a. für die taz, den Tagesspiegel, den Perlentaucher und weitere Medien über Filme. Im Netz anzutreffen ist er in seinem Blog und auf Twitter.