„Bis 2016 hatte ich mit Printmedien überhaupt keine Erfahrung“

Bild aus "Eine Studie in Smaragdgrün" (Dantes Verlag)

Im Herbst 2016 wurde der kleine Mannheimer Dantes Verlag gegründet und hat sich mit ambitionierten Veröffentlichunge wie „Usagi Yojimbo“ oder der „Neil Gaiman Bibliothek“ schnell einen Platz im Herzen der Comicfans erobert. Im Interview mit Till Reischl rekapituliert Verleger Josua Dantes die Anfangsjahre, spricht über Konkurrenz, Messen und die Arbeit des Übersetzers und Redakteurs. Das Gespräch fand am 18.09.2021 statt.

Wie kamst du auf die Idee, einen Verlag zu gründen? Hat es vielleicht etwas mit „Usagi Yojimbo“ zu tun?

Der Ursprungsgedanke ist eigentlich schon vorher entstanden. Es gab zum Beispiel von „Slaine“ ungefähr 600 Seiten, die nie in Deutschland erschienen sind, und ich hatte immer Bock das zu lesen. Aber ich war mir sicher, dass es hier niemanden gibt, der das auf Deutsch herausbringt. Bei „Usagi“ war es so, dass ich mir den siebten Band selbst übersetzen und drucken wollte, damit ich wenigstens Volume 1 von Usagi komplett übersetzt habe. Und dann merkte ich, dass mir die Übersetzung doch nicht so leicht von der Hand ging, wie ich anfangs gedacht hab. Also habe ich versucht, mit dem Verlag Schwarzer Turm Kontakt aufzunehmen, um zu schauen, ob die nicht noch irgendwo eine Übersetzung in petto haben. Ich hab mich mit den Leuten unterhalten und auch mal angefragt, was so benötigt wird, um Comics lizensiert hier in Deutschland zu verlegen. Nach einem kleinen Crashkurs wusste ich dann schon etwas mehr, wurde auch an Jens Nielsen weitergeleitet, der jetzt unsere Usagis und eigentlich unser Komplettprogramm übersetzt und nun zugleich unsere Redaktion ist. So hat dann eins zum anderen geführt.

Bild aus Stan Sakais „Usagi Yojimbo“ (Dantes Verlag)

Also kann man sagen, dass du schon Unterstützung aus der deutschen Comicszene bekommen hast? Es war nicht so, dass dir gesagt wurde: „Da musst du schon selbst schauen, wie du klarkommst!“

Nee, die hab ich sofort bekommen. Immer wenn ich ein paar Fragen hatte, waren alle sehr offen. Beim Comic-Salon in Erlangen, auf dem ich 2016 zum ersten Mal war, habe ich Phillip Schreiber kennengelernt, der ja auch den Gratis Comic Tag organisiert. So ergaben sich schnell ein paar gute Kontakte in der Szene. Auch Jens ist ja kein Unbekannter, hat schon für Carlsen gearbeitet, für Cross Cult übersetzt und so weiter. Und so ging das alles dann eigentlich recht flott.

Stichwort Comic-Salon: Das letzte Jahr war durch die Pandemie ja auch mit Blick auf Messen und Liveveranstaltungen schwierig. Ihr seid ein recht kleiner Verlag, und obwohl langsam auch wieder kleinere Open Air Veranstaltungen wie der Comic Garten anlaufen, ist die Sichtbarkeit sicher sehr zurückgegangen. Fehlen dir oder euch als Kleinverlag solche Veranstaltungen in der Pandemie?

Ja, das merkt man schon ziemlich. Auf den Comicmessen haben wir auch immer die Möglichkeit, auf uns aufmerksam zu machen, was so zum Beispiel im Internet gar nicht möglich ist. Auf Messen laufen interessierte Leute vorbei, man kann sie in ein Gespräch verwickeln, einfach mal mit Leseproben anlocken. Die meisten Leute, die dann auch an unseren Stand kommen und ein bisschen Interesse mitbringen, ein bisschen weiter reinschnuppern, haben dann auch gerne was mitgenommen. Das ist einfach eine Möglichkeit, die für uns im Internet, bei der großen Bandbreite an Comics, die in Deutschland erscheint, nicht so leicht gegeben ist.

Verständlich. Ihr habt ja auch nicht die Mittel oder ein Social-Media-Team wie andere deutsche Verlage, die so ihrer Sichtbarkeit im Internet erhöhen. Messen sind für euch ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor. Und du hattest mal erwähnt: Wenn ihr zu Messen fahrt, nehmt ihr immer sehr viel Usagi mit hin, aber wenige bis gar keine Bände mit zurück.

Ja, besonders der Einser geht immer wirklich gut weg. Meistens sieht es dann bei uns so aus, dass wir Sonntagfrüh bis Sonntagmittag gar keine Usagis mehr vorrätig haben und das ist natürlich sehr erfreulich.

Und Stan Sakai hat ja endlich mal wieder einen Eisner Award gewonnen für „Usagi Yojimbo“. Merkt man dann auch hier in Deutschland, dass es dann noch mal für den Titel einen Push gibt?

Nein, nicht sonderlich. Die Eisner Awards interessieren hier, glaube ich, nicht so viele. Eher haben wir es in dem Monat gemerkt, als Usagi als Netflix-Serie angekündigt wurde. Da haben wir gleich das Dreifache an Usagi 1 verkauft. Man muss aber sagen, das dies ein kontinuierlich gut laufender Backlist-Titel ist.

Ich merke schon, ihr seid also vorbereitet, wenn Usagi dann endlich als Netflix-Serie erscheint. Und wenn ich einen Wunsch äußern darf: Bitte macht diesen „As Seen on Netflix“-Sticker gut ablösbar. Diese Sticker sind für Sammler immer das Schlimmste… Die Reihe hatte ja zu Beginn noch einige Problemchen…

Ja, die erste Auflage war noch mit Fehlern behaftet. Schlechtes Papier und dann hat sich beim zweiten Band die Folie abgerollt und so was… Das ist jetzt aber alles nicht mehr der Fall. Die Bände haben wir alle noch mal komplett überarbeitet, auch eine gute Druckerei wurde mit der Zeit gefunden. Das waren halt alles Anfängerfehler, wo man dann erste Erfahrungen sammeln musste. Bis 2016 hatte ich ja mit Printmedien überhaupt keine Erfahrung. Da ist man einfach zur günstigsten Druckerei gegangen, hat dann auch viele Makel akzeptiert. Mehr, als das heute der Fall wäre. Band 1 befindet sich mittlerweile in der zweiten Auflage, die doppelt so hoch ist wie bei anderen Titeln.

Jetzt klinge ich so, als gäbe es bei euch nur Usagi, aber ihr macht ja auch die „Neil Gaiman Bibliothek“. Besonders eure Ausgabe von „Eine Studie in Smaragdgrün“ ist mir sehr häufig auf Social Media, aber auch in den Printmedien begegnet. Der Titel scheint sehr prominent zu sein. Würdest du sagen, dass das euer zweitstärkster Titel ist?

Nee, denn das ist auf jeden Fall unser stärkster Titel. Der ist im letzten Jahr richtig eingeschlagen und das merken wir auch. Da gehen monatlich noch immer 40-50 Stück weg. Das ist für einen Titel, der vor 1,5 Jahren rausgekommen ist, der Hammer. Von der zweiten Auflage ist mittlerweile schon ein Drittel wieder weg. Wenn mehrere Titel so laufen würden, wären wir als Verlag auf jeden Fall finanziell abgesichert.

Und ich habe mich seit Release der US-Hefte drauf gefreut, dass ihr Gaimans „Norse Mythology“ bringt. Jetzt ist der Titel plötzlich beim Splitter Verlag aufgetaucht. Wie hart ist es, sich gegen die größeren Verlage beim Lizenzkauf durchzusetzen?

Ja, es klappt halt leider meistens vom Finanziellen her nicht. Wenn ich sage, da ist die Schmerzgrenze, das bekommen wir gestemmt, gehen die mittelgroßen oder großen Verlage schon leicht drüber. Im Endeffekt haben wir nicht viele Chancen, wenn Konkurrenz mit am Start ist.

Dadurch geht ihr aber natürlich auch an gewagtere Titel. Euer Programm ist tendenziell schon etwas brutaler, rauer und richtet sich an ein erwachseneres Publikum. Kann man sagen, dass ihr euch an Titel traut, vor denen die großen Verlage Angst haben? Dass ihr mutiger seid?

Uff… könnte man schon sagen, aber für mich hängt im Endeffekt auch nicht so viel davon ab. Ich arbeite zu 100 % im Krankenhaus als Pfleger, verdiene so die Brötchen, Miete usw. Wenn ich davon was übrig habe, stecke ich das gerne in den Verlag, aber wenn nichts übrig ist, dauert es vielleicht einen Monat länger, bis dann ein neuer Titel kommt. Aber die großen Verlage müssen auch ihre Mitarbeiter bezahlen, Werbeaktionen einplanen usw. Das wird bei uns dann eben so gemacht, wie es passt.

Also kann man schon sagen, dass die anderen Verlage bei „Eine Studie in Smaragdgrün“ geschlafen haben?

Ja, kann man so sagen, da hatte ich nämlich keine Konkurrenz bei der Lizenzbeschaffung. Der Lizenzvertreter hier in Deutschland hat nämlich zwar herumgefragt, aber niemand hat Interesse bekundet. Als „Studie in Smaragdgrün“ dann aber so eingeschlagen ist, war dann auf einmal doch mehr Interesse vorhanden. Jetzt ist die Neil Gaiman Bibliothek zwar etwas gesplittet, aber na ja.

Der Verlag heißt Dantes Verlag, du hast ihn gegründet, um Sachen, die dich interessieren, an die sich aber niemand herangetraut hat, nach Deutschland zu bringen. Also entscheidest du ganz allein nach deinem persönlichen Geschmack, was ihr verlegt?

Genau, ja. Völlig korrekt. Das ganze Programm ist nach diesem Prinzip entstanden. Man merkt aber auch, dass andere Leute daran Interesse zeigen. Es ist immer sehr schön, Rückmeldungen zu erhalten. Manchmal müssen die Leute einfach nur angefixt werden, ich denke, dass durchaus ein breiteres Publikum Interesse an unseren Comics haben könnte. Es is ja nicht wirklich nur dieses krude Außenseitertum, sondern nur hier in Deutschland etwas unbekannter. Wir haben Titel im Programm, die damals bei Vertigo und Dark Horse Comics gelaufen sind.

Wir warten jetzt auch schon lange, quasi seit dem letzten Gratis Comic Tag, auf den „Cinema Purgatorio“-Band von Moore und O’Neill. Alan Moore ist bekanntlich König der (Literatur-)Anspielungen. Ich war schon immer großer Fan eurer Glossar-Teile, in denen solche Elemente aufgeschlüsselt werden. Wie kompliziert ist es, einen derart ausgestatteten Band zu bringen und ist dies einer der Gründe, weshalb sich der Band um ein Jahr verspätet?

Bei dem Band ist es wirklich extrem. Jens verbringt jetzt schon Monate mit der Übersetzung, aber er ist so anspielungsreich… Ich glaube, das Glossar und die Anhänge der einzelnen Kapitel werden um einiges mehr Text beinhalten als der ganze Comic. Das muss auch richtig krasse Kopfarbeit sein, weil da so viele Sachen drinstecken, die man nicht einfach mal so im Internet googeln kann. Da werden auch mal diverse Zusammenhänge verschiedener Dekaden in Hollywood eingebracht. Ich bin selbst schon megagespannt, aber was Jens so erzählt, muss das ein verdammt komplexes Werk sein. Unsere Ausgabe wird auch, grob überschlagen, ungefähr 50 Seiten mehr haben als das amerikanische Paperback.

Allgemein macht sich Jens da eine Menge Arbeit, was enorm hilfreich ist. Viele Anspielungen versteht man heute nicht mehr unbedingt, und wenn da eine kleine Erläuterung am Schluss kommt, finde ich das immer klasse.

Ich freue mich auf jeden Fall auf den Band. Was gibt es denn an Titeln aus dem neuen Programm, über die du noch sprechen möchtest?

Also jetzt sind wir noch dabei, das Program bis zum Winter abzuarbeiten. Da kommt jetzt noch „Space Usagi“, auf den ich mich riesig freue. Ansonsten sitze ich gerade an der Vorbereitung zu „Arn“ (mittlerweile erschienen!). Das ist ein Prequel zu einer spanischen Fantasy-Romanreihe, funktioniert aber auch als abgeschlossenes One-Shot. Vielleicht wird es noch eine Fortsetzung geben, denn der Comic ist in Spanien sehr erfolgreich und dort gerade erst im Juni erschienen. Es ist eine Fantasy-Geschichte, die aber nicht diese klassische Fantasy wie z. B. „Der Herr der Ringe“ bedient. Die Geschichte hat viele spanische, lokale Einflüsse. Und das ist natürlich dann ganz interessant, wie im Süden Europas die klassischen Fantasy-Sagen aufgezogen werden. Da schwingt viel spanische Folklore mit, aber auch Elfen und Zwerge und so weiter. Aber irgendwie dann doch auf eine andere Art, und gerade dieses Neue macht Spaß. Und natürlich ist das Artwork von Raúlo Cáceres fantastisch.

Das sieht in der Tat fantastisch aus. Ihr hattet Raúlo bereits auf Messen dabei, oder?

Genau, Raúlo hatten wir 2016 in München mit dabei. Das war wirklich der Hammer. Wir sind auch Abends noch mit ihm unterwegs gewesen. Das war ein spannender Abend. Bei „Arn“ kommt ja noch hinzu, dass hierzulande weniger Leute des Spanischen mächtig sind, als es beim Englischen der Fall ist. Darum hegen wir die Hoffnung, dass sich mehr Menschen unsere Ausgabe holen.

Was liest du eigentlich gerne, wenn es nicht gerade deine selbstverlegten Titel sind?

Hauptsächlich geht’s in Richtung Vertigo. Also „Preacher“, „Transmetropolitan“, „Sandman“, „Fables“… Eigentlich so ziemlich alles, was in der Richtung in Deutschland erschienen ist. Teilweise aber auch frankobelgische Sachen. Die ersten Serien von Splitter habe ich auch mitgenommen, aber mittlerweile muss ich sagen, dass mir da ein bisschen der Überblick fehlt. Die Anfangssachen von Cross Cult fand ich ebenfalls richtig geil. „The Goon“ zum Beispiel, das war ziemlich abgefahren. Und „Lone Wolf & Cub“ habe ich damals gelesen. Ansonsten alles Mögliche! Von „Schwermetall“ bis „Calvin & Hobbes“ ist eigentlich alles dabei. Durchaus bunt gemischt.

So soll es ja auch sein! Comic ist schließlich ein vielfältiges und buntes Medium. Ich finde es gut, dass du eigentlich allen Sachen eine Chance gibst.

Ich denke einfach, es gibt in jeder Sparte auch etwas Gutes. Da will ich mich nicht auf Länder, Formate oder Themen beschränken. Aber es gibt natürlich trotzdem auch einiges, was ich jetzt nicht unbedingt großartig finde. Und manchmal ist es dann so, dass mir heute Sachen gefallen, bei denen das früher nicht der Fall war, Garth Ennis‘ „War Stories“ fand ich früher schrecklich. Aber mittlerweile habe ich einen anderen Zugang gefunden. Irgendwann ist dann doch der Punkt erreicht, an dem man Bock darauf bekommt, weil man vielleicht drei Wochen vorher mit einem Kumpel das Thema angeschnitten hat. Da ist das noch mal was anderes, als morgens verschlafen in das Regal zu greifen und sich irgendwas rauszuziehen.

Da hast du absolut recht. Man sollte sich nicht einschränken lassen und sich aber auch nicht selbst einschränken. Dann bedanke ich mich bei dir! Es hat mir großen Spaß gemacht mit dir über Comics zu sprechen und hoffentlich trifft man sich bald auch auf Messen wieder.