Empowerment eines Stotterers

Es ist die Biografie von Scatman John, ein Musiker, dem mit dem Song „Scatman“ in den 90er Jahren ein One-Hit-Wonder gelungen ist, für den er in Deutschland mit einem Echo ausgezeichnet wurde. In diesem Song scattet er, das ist ein improvisierter Gospelgesang, bei dem Silben rhythmisch aneinandergereiht werden. Das besondere an diesem Musiker ist, dass er schon Mitte 50 war, als er diesen Hit hatte. Und seine Drogenkarriere schon hinter ihm lag – und nicht eine Nebenwirkung des Starrummels war. Davon erzählt Jeff Chi in diesem Comic.

Die Zeichnungen sind krakelig und wirken mitunter unbeholfen. Die Nasen der Figuren sehen manchmal aus wie Würstchen oder Pfeile. Und überhaupt wirkt Scatman John immer irgendwie schräg. Genau das passt zur Scatman-Figur, die eher unbeholfen durchs Leben geht. Sein Drama ist, dass er ein begnadeter Jazzmusiker ist und nie den Durchbruch schafft, weil er stottert. Ein Makel, der ihn sein Leben lang begleitet, dafür wurde er schon als Kind gehänselt. Nur wenn er singt, stottert er nicht und ist sogar ein Virtuose beim Scatten. Erst als er das Stottern zum Thema macht – denn davon handelt sein Song „Scatman“ – kommt der große Durchbruch.

Bild aus „Who’s the Scatman“ (Zwerchfell)

Jeff Chi erzählt, wie Scatman John für viele Stotterer auf der ganzen Welt zum Vorbild wird. Wie ihm Stotterer persönliche Briefe schreiben, ihn um Rat fragen – und er antwortet persönlich. Das ist berührend. Und zugleich gibt es immer wieder urkomische Sequenzen, zum Beispiel als Scatman John bei der MTV-Sendung „Most Wanted“ eingeladen ist: ein Musiker, der vermutlich doppelt so alt ist wie der Moderator, überhaupt nicht hip aussieht und ganz ernsthaft seine Botschaft zum Stottern loswerden will.

Der Moderator scheint gar nicht so richtig zuzuhören, sondern spielt einen schrägen Videoclip nach dem anderen ab. Das ist lustig wegen der Welten, die da aufeinanderprallen, aber auch, weil Scatman John unbeirrt weiterredet und so seine Geschichte erzählen kann. Wenn Jeff Chi den Musiker am Klavier zeichnet, zum Beispiel im „Café Moskau“ in Berlin, dann sieht man, dass er ganz bei sich ist.

Scatman John kam nach Berlin, weil die Stadt in den 90er-Jahren eine ausgeprägte Jazz-Szene hatte. Der Jazzer spielte in den Neunzigern in verschieden Clubs – und traf hier auch einen Produzenten, der die Idee hatte, seinen Scatgesang mit Dance- und Popmelodien zu kombinieren. Der Comic „Who’s the Scatman“ ist also auch ein Stück Berliner Musikgeschichte. Die Geschichte vom Empowerment eines Stotterers – und einfach eine herrlich erfrischende Biografie.

Dieser Beitrag erschien zuerst am 04.05.2022 auf: kulturradio rbb

Andrea Heinze arbeitet als Kulturjournalistin u. a. für kulturradio rbb, BR, SWR, Deutschlandfunk und MDR.

Jeff Chi: „Who’s the Scatman“. Zwerchfell, Stuttgart 2022. 248 Seiten. 30 Euro