Ein Monster, eine Schauspielerin und eine Entführung nach Nordkorea – das sind die Zutaten für den Comic „Madame Choi und die Monster“. Was nach einem Fantasy-Abenteuer klingt, hat ein reales Vorbild. Die Berliner Comic–Künstlerin Sheree Domingo und der Autor Patrick Spät haben daraus eine Geschichte über Menschen und Gesellschaften im Umbruch gezeichnet.
Madame Choi ist eine südkoreanische Schauspielerin, die in Asien seit den 60er-Jahren Kultstatus genießt. Zusammen mit ihrem Mann, einem Filmproduzenten, dreht sie damals mehr als 60 Filme in 20 Jahren. Ein großer Fan ist auch Kim Jong-Il, der Sohn des nordkoreanischen Diktators Kim Il-Sung, der damals Leiter der Propaganda-Abteilung und der Filmstudios ist und später selbst Diktator wird.
Kim Jong-Il lässt Madame Choi und ihren Mann Ende der 70er-Jahre nach Nordkorea entführen, damit die beiden Filme für das Land drehen. In Südkorea fällt das zunächst nicht auf, weil die beiden dort keine Filme mehr drehen dürfen: Südkorea war damals eine Militärdiktatur und General Park hatte die Werke wegen deren Freizügigkeit verboten.
Das Monster kommt durch den südkoreanischen Film „Bulgasari“ in den Comic, in dem Madame Choi die Hauptrolle gespielt hat. Der Film basiert auf einem koreanischen Mythos: Darin geht es um ein Monster, das den Menschen im Kampf gegen einen bösen Herrscher hilft, dann immer größer wird und viel Unheil anrichtet. Dieser Film ist verschollen und es gibt Gerüchte, dass Kim Jong-Il diesen Film hat stehlen lassen. Auf jeden Fall hat er ihn noch einmal mit Madame Choi in der Hauptrolle produziert. Auch dieser Film ist in Asien sehr erfolgreich geworden. Viele Menschen glaubten damals, Madame Choi und der Regisseur seien freiwillig in Nordkorea, weil sie in Südkorea nicht mehr drehen durften.
Diesen koreanischen Mythos verwebt der Comic mit der Geschichte der Filmemacher und zitiert immer wieder asiatische Popkultur und Filmgeschichte: Das Monster, das immer größer wird, je mehr Eisen es frisst, erinnert an das Japans Godzilla. Das ist im Comic mit sehr elegantem Strich und knallrot gezeichnet. Regelmäßig werden Filmszenen aus dem nordkoreanischen „Bulgasari“ zitiert. Und dann gibt es auch noch ein Treffen von Madame Choi und Marilyn Monroe, das tatsächlich in Südkorea stattgefunden hat. Spätestens hier wird klar, dass der Comic nicht nur die asiatische Popkultur aufleben lässt. Choi und Monroe leiden offensichtlich unter den sehr engen Rollenzuschreibungen, die es in den USA genauso wie in Korea gibt. Dass eine Frau züchtig sein soll und eben nicht selbstbestimmt ihr Leben in die Hand nimmt. Und weil sie eben nicht so sind, ecken beide immer wieder an.
„Madame Choi und die Monster“ kann man als feministischen Blick auf das asiatische Filmgeschäft lesen. Offensichtlich wird das, als sich Madame Choi von ihrem ersten Mann trennt, weil der sie schlägt und erniedrigt. Für diese Trennung muss Madame Choi einige Häme über sich ergehen lassen. Es gibt aber auch Erzählstränge mit feineren feministischen Anklängen. Es sind zum Beispiel immer die Männer, die sich von der Macht verführen lassen – das gilt für den koreanischen Monstermythos, den Patrick Spät und Sheree Domingo neu erzählen, wie für die Geschichte von Madame Choi und dem Filmregisseur, der ganz begeistert ist, welche Möglichkeiten ihm der Diktator gibt.
Und „Madame Choi und die Monster“ ist auch eine Parabel auf Gesellschaften im Umbruch: Im Mythos wird mit dem massiven Eisenerzabbau eine neue Technik etabliert. In Nord- und Südkorea etablieren sich Diktaturen. Und all das bringt die tradierten Kräfteverhältnisse ins Wanken, bringt Ungerechtigkeiten mit sich. Das Monster steht hier für eine Kraft, die aus der Krise wächst, die den Menschen hilft. Und die eben auch zerstörerisch sein kann, wenn sie aus dem Ruder läuft. Das ist stark – und hätte noch stärker ausgearbeitet werden können. Auf jeden Fall ist der Comic „Madame Choi und die Monster“ ein großartiges Popkultur-Abenteuer mit Tiefgang.
Dieser Beitrag erschien zuerst am 04.10.2022 auf: kulturradio rbb
Andrea Heinze arbeitet als Kulturjournalistin u. a. für kulturradio rbb, BR, SWR, Deutschlandfunk und MDR.