„Mit dose Kids, society is nix“ – Alexander Brauns Monografie über eine der ersten Comicserien, die Katzenjammer Kids, und die Bedingungen ihrer Entstehung.
Anders als oft kolportiert ist es nicht der erste Comic gewesen, ganz sicher jedoch handelt es sich um den ältesten heute noch erscheinenden Comic der Welt: Am 12. Dezember 1897 erschien die erste Episode der „Katzenjammer Kids“ von Rudolph Dirks: Drei Kids spielen einem Gärtner, der sie zunächst selbst noch foppte, mit einem Gartenschlauch übel mit und feiern anschließend ihren Coup. Eine Episode später wurde aus dem rebellischen Trio ein Duo, doch das Grundrezept war geboren. Zwei – heute würde man vermutlich sagen: hyperaktive – Jungs namens Hans und Fritz sorgen für reichlich Chaos, indem sie Streiche aushecken und ihrer Umgebung heftig zusetzen. Und dafür dann wiederum selbst heftig zugesetzt bekommen. „Ach, those Katzenjammer Kids“ lautet folgerichtig zunächst der Titel der von nun an wöchentlich in der Sonntagsausgabe des „New York Journal“ erscheinenden Serie.
Alexander Braun und Tim Eckhorst haben zum Gründungsjubiläum je eine Ausstellung kuratiert („125 Jahre Katzenjammerkids, der älteste Comic der Welt“ bis zum 10. April im Schauraum: comic + cartoon in Dortmund bzw. „125 Jahre Katzenjammer!“ bis zum 26. März in Heide zu sehen) und aus diesem Anlass gemeinsam einen opulent ausgestatteten Band herausgegeben, der insbesondere die frühen Jahre der Serie ins Visier nimmt. Hier kann man eine VR-Tour durch erstere Ausstellung unternehmen oder man lässt sich hier von Mark Benecke (Kriminalbiologe, DIE PARTEI) hindurchführen.
Zum Zwecke der Leserbindung und der Erhöhung der Auflagenzahl wurden am Ende des 19. Jahrhunderts die Sonntagszeitungen in den USA von farbigen Comicsupplements ummantelt. Auf der Suche nach einem Äquivalent zur extrem erfolgreichen Serie „The Yellow Kid“, die (zunächst) in Rudolph Pulitzers „New York World“ erschien, verpflichtete der mit Pulitzer konkurrierende Verleger William Randolph Hearst den erst zwanzigjährigen Zeichner Rudolph Dirks. Dessen Katzenjammer Kids, die nicht nur namentlich, sondern auch in ihrem desaströsen Treiben stark an Wilhelm Buschs „Max und Moritz“ erinnern, wurden schnell eines der Zugpferde des „New York Journal“ Supplements.
Um den nachhaltigen Erfolg der Katzenjammer Kids zu erklären, liefern Braun und Eckhorst nicht „nur“ eine Analyse der Serie, ihrer wichtigsten Figuren, Motive und Themen. Vielmehr verfolgen die beiden Autoren einen breiten sozial- und kulturgeschichtlichen Ansatz, der u. a. die Geschichte der deutschen Emigration in die USA, die Entstehung der Massenpresse und den damit verbundenen Aufstieg progressistischer Zeitungsmagnaten mit politischen Ambitionen, das Elend der unteren Klassen, die Allgegenwart der Gewalt jenseits der Klassenfrage um 1900 detailliert nachzeichnet. Kunst- und bildwissenschaftliche Untersuchungen sind ja häufig auf der Suche nach einem universellen Prinzip, das als Schlüssel zum Verständnis einer kunstgeschichtlichen Epoche taugen soll. Hier werden aber nicht nur die künstlerischen Phänomene, sondern auch die sozialen Probleme, wirtschaftlichen Zwänge und politischen Konfikte freigelegt, ohne die die Besonderheit der frühen Comics nicht zu verstehen wäre. Doch letztlich geht es natürlich auch um die Genealogie des Comic und um die Frage, welchen Beitrag Rudolph Dirks‘ „Katzenjammer Kids“ zur Entwicklung des Mediums, welches damals ja noch in seinen Kinderschuhen steckte, wirklich leisteten.
Der Erfolg der Serie erklärt sich den Autoren zufolge dadurch, dass sie das großenteils migrantische Publikum insofern ernst nahm, weil der anarchistische Humor der Wort-Bildgeschichten – ganz anders als bei Wilhelm Busch – auf keine höhere Moral abzielte, sondern zum Zwecke der Unterhaltung ganz sich selbst genügte. Dass die permanente Infragestellung von Autoritäten, die exzessive Anwendung von Gewalt und der Sprachkauderwelsch aus Englisch und Deutsch schon bald konservative Sittenwächter auf den Plan riefen, die diese neue Form des Humors regelmäßig publizistisch anfeindeten, mag die Identifikation der unteren Leserschichten mit den Protagonisten der Serie wohl eher noch verstärkt haben.
Die oft auf die Serie zurückgeführten Sprechblasen und Bewegungslinien lassen sich schon früher in anderen Werken finden. Für die (Weiter-)Entwicklung des Comic als Erzähl- bzw. Kunstform waren die Kids insofern maßgebend, als die Idee der stehenden Figuren und das Prinzip der Serialität von Beginn an konsequent umgesetzt wurden. Zudem erfolgte die Teilung der einst ganzseitigen Illustrationen (wie noch anfangs im „Yellow Kid“) in vielzählige, streng geometrisch angeordnete Panels – die im übrigen der Tendenz der Quadrierung des modernen Stadtraums entsprach. An diesem Punkt „verschmolzen“ förmlich die stadtplanerischen Herausforderungen, welche die rasant expandierenden amerikanischen Großstädte mit sich brachten, mit der massenhaften Nachfrage nach einfach verständlicher und unterhaltsamer Lektüre, die als Produkt eine künstlerische wie medientechnische Innovation hervorbrachten, die man anfangs einfach nur als „funny“ bzw. „comic(al)“ bezeichnete.
Dieser Beitrag erschien zuerst am 26.02.2023 auf: Taz-[ˈkɒmik_blɔg]
Alexander Braun, Tim Eckhorst: Katzenjammer. The Katzenjammer Kids – Der älteste Comic der Welt • Avant-Verlag, Berlin 2022 • 472 Seiten • Hardcover • 59,00 Euro
Mario Zehe (*1978) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Lehrer für Geschichte, Politik & Wirtschaft an einer Freinet-Schule bei Quedlinburg (Harz). Seit vielen Jahren liest er Comics aller Art, redet und schreibt gern darüber, u. a. im [ˈkɒmik_blɔg] der Taz und für den Freitag.