Amerikas Chronist

In den 1980ern adaptierte Comiczeichner Matthias Schultheiss mehrere Kurzgeschichten von Charles Bukowski. Der Splitter Verlag hat sie nun erstmals koloriert in einer Gesamtausgabe erneut herausgebracht.

Acht Mal die Kehrseite des amerikanischen Traums, acht Mal Storys um Loser, Zyniker, Hartgesottene, vom Schicksal gebeutelte Gestalten – das bringt diese Neuausgabe der visuellen Umsetzungen diverserer Erzählungen von Charles Bukowski, die das deutsche Wunderkind Matthias Schultheiss 1984 damals noch in zwei Bänden („Der lange Job“ und „Kaputt in der City“) im Heyne Verlag herausbrachte.

So können wir nun erstmals in Farbe erleben, wie der Veteran „Henry Becket“ eines schönen Morgens mit goldener Haut und grünen Punkten aufwacht und sich, nachdem ihm weder seine Freundin noch der Arzt helfen können, auf dem Freeway als Scharfschütze betätigt, bis die Polizei ihm den Garaus macht. Ein namenloser Säufer wandert durch die Stadt und versucht, „New York für 95 Cent“ zu erleben, von Stunden in billigen Cafés über Missionen bis hin zu einem Job bei der Hochbahn, den er bald wieder schmeißt. Einen „Abstecher nach New Orleans“ macht dann Charles‘ Alter Ego Hank Bukowski, der bei einer Tankstelle anheuert und nicht schlecht staunt, als des Nachts die Prostituierte Elsie bei ihm vorbeikommt und am Folgetag ihre Freundinnen mitbringt. Mit denen versteht sich Hank bestens, allerdings zum Missfallen des Chefs. „Zwei Trinker“ lassen zu harter Arbeit engagieren: Mitten in der Wüste sollen sie ausgediente Schwellen der Eisenbahnlinie stapeln. Einer der beiden ist ein abgerutschter gutbürgerlicher Herr, der den Tod seiner Frau nicht verwinden kann und deshalb zur Flasche greift. Lange halten es die beiden Weinsäufer allerdings nicht auf Maloche aus. Charly, angeblich ehemals Boxer namens „Kid Stardust“, will sich im Schlachthof ein paar Kröten verdienen. Die Kollegen lassen ihn ordentlich auflaufen, was er einige Zeit schluckt, um dann frustriert das Handtuch zu werfen und den „Schulhof“ des amerikanischen Traums wieder mal „als Besiegter“ zu verlassen. In „Die Killer“ lässt sich der vom Leben gezeichnete Harry in einem Diner von einem gewissen Bill bequatschen, einen vermeintlich leichten Einbruch mitzumachen, was in einer Gewaltorgie endet.

Die Gesamtausgabe „Kaputt in der City“, die bei Splitter erstmals und vom Künstler selbst koloriert erscheint, beinhaltet alle Bukowski-Adaptionen Schultheiss‘; wir bekommen die volle Ladung des zynisch-satirischen Naturalismus, mit dem sich der All-Time-Grandsigneur des gepflegten Suffs den USA näherte. Eigentlich der Beat-Generation entsprungen, entwickelte Bukowski in seinen Erzählungen und Gedichten eine ganz eigene Sicht auf den US-amerikanischen Albtraum, häufig autobiographisch geprägt und stets um Verlierer, Alkohol, gesellschaftlichen Abstieg, aber auch hämischen Spott gegen das Establishment kreisend.

Sei es der Kriegsveteran Becket oder der Boxer „Kid Stardust“: anpacken, nach oben kommen, self reliance, diese zutiefst amerikanischen Werte werden ab absurdum geführt. Jobs werden geschmissen, Familienleben gehen den Bach runter, die Gesellschaft schert sich einen Dreck – Hauptsache, Wein und billige Fusel fließen weiter (wie auch bei Bukowski selbst, der bei legendären Lesungen, etwa 1978 in Hamburg, verlangte, dass ein gefüllter Kühlschrank voller Müller-Thurgau auf der Bühne stand, wobei das gegen Ende seines Lebens mehr Show als Realität gewesen sein dürfte).

Inszeniert ist dies in der Schultheiss-üblichen, stilisierten, ruppigen, direkten Art, die auch Werke wie „Die Haie von Lagos“ so einzigartig macht. Die Kolorierung unterstreicht die apokalyptischen Stadtansichten, die höllischen Impressionen von Wüsten, Schlachthöfen und heruntergekommenen Tankstellen. Eine erschreckende wie amüsante Achterbahnfahrt durch die Kehrseite des American Dream. Immer wieder eine Entdeckung wert! Schließlich wusste bereits Kabarattist und Spandexhosenträger Georg Ringsgwandl: „Der Papst, der liest Bukowski!“

Dieser Text erschien zuerst auf Comicleser.de.

Matthias Schultheiss: Kaputt in der City • Splitter Verlag, Bielefeld 2023 • 160 Seiten • Hardcover • 35,00 Euro

Holger Bachmann ist Autor diverser Bücher und Aufsätze zur Film- und Literaturgeschichte. Neben Comicleser.de schreibt er auf kühleszeug.de über Konzerte und geistvolle Getränke.