Der US-amerikanische Comiczeichner Joe Matt ist im Alter von 60 Jahren gestorben. Matt war einer der wichtigsten Vertreter der sogenannten „New Comics“, wie das „Comics Journal“ mal die Entwicklung zur Introspektion im vornehmlich nordamerikanischen Independent-Comic Ende der 1980er, Anfang der 1990er bezeichnete. Radikal autobiografisch und dabei nie versöhnlich, vor allem nicht mit sich selbst, das schien das Credo so unterschiedlicher Zeichner*innen wie Julie Doucet, Mary Fleener, Chester Brown, Seth und eben Joe Matt zu sein, die heute in jeden Comic-Kanon gehören. In selbstverlegten Heftreihen – Joe Matts lautete „Peepshow“, das gab auch mit der ersten Nummer die Stoßrichtung vor – machten sie sich selbst zu den Hauptfiguren und traten den Beweis an, dass im Autobiografismus weitaus unterhaltsamere und verstörendere Geschichten verborgen sind, als in den Heften der damals den Markt dominierenden Superhelden-Industrie.
Was die schonungslose Selbstoffenbarung betraf, war Joe Matt sicher am freizügigsten. Er nannte Art Spiegelman, Harvey Pekar und Robert Crumb als seine größten Einflüsse, und besonders von den mit Fetischfantasien verknüpften Selbsthasskapriolen des Letzteren kann man eine direkte Linie zu Matts penibel dokumentierten Pornosüchten ziehen, die sein Beziehungsleben gründlich belasteten. Das liest sich mal vergnüglich, mal auch ziemlich creepy, denn der Selbstoffenbarungseid schloss auch jedwedes ego-männliche Arschlochbenehmen Matts mit ein, und man fragt sich angesichts dieser Rigorosität oft, ob da nicht die Spuren einer strengen katholischen Erziehung, ähnlich wie bei Chester Brown, zur öffentlichen Buße drängen. Mit Chester Brown und Seth verband Matt eine tiefe Freundschaft, und als etwas exzentrisches, meist in irgendeinem Café streitendes Zeichnertrio begegnen uns die drei in vielen ihrer Werke. Auf diese Weise sind hierzulande womöglich so manche Leser*innen auf Joe Matt getroffen, ohne dass sie ihn jemals gelesen hätten. Ist die deutschsprachige Editionslage von Browns und Seths Arbeiten ganz passabel – hauptsächlich dank der Bergungsarbeiten von Reprodukt, Edition 52 und seinerzeit noch Jochen Enterprises –, blieb Joe Matt leider nur Nische in der Nische. Lediglich der Sammelband „The Poor Bastard“ erschien 2007 unter dem Titel „Peepshow“ bei der Edition 52 (und ist übrigens weiterhin erhältlich!).
Joe Matt starb an einer Herzattacke mitten am Zeichentisch. Es ist so bitter. Man sieht seinen Abgang als seine eigene Zeichenfigur förmlich vor den Augen.
Abb. oben © Joe Matt