Unnützes Wissen über Manga und Anime: Deutschland und die deutsche Sprache in Japans Comics und Animationsfilmen

200 Seiten Fakten und Wissenswertes zu Comics und Animation aus Japan: Im Buch „Unnützes Wissen über Manga und Anime“ (Riva Verlag 2024, 10 Euro) zeigen Jasmin Dose, Jan Lukas Kuhn und Stefan Mesch Fun Facts, Skandale, Kritik und geben Buchtipps. Vor einem Jahr, zum Vorgängerbuch „Unnützes Wissen für Marvel-Nerds“ (Lino Wirag, Stefan Mesch), veröffentlichte Comic.de ein Bonus-Kapitel über Deutschland, Österreich und die Schweiz bei Marvel. Heute bei uns als Leseprobe: 24 Manga- und Anime-Fakten mit Bezug zu Deutschland.

1.

Weil viele Rennwagen brennen oder in Schluchten stürzen, beruhigt eine Stimme in der deutschen Version von „Speed Racer“ (2 Bände ab 1966, 52 Folgen ab 1967): „Das sieht schlimmer aus, als es ist.“ Trotzdem nimmt die ARD die Serie – nach Protesten von Kirchen und Eltern – nach drei Folgen aus dem Programm.

Bis Ende 1979 zeigt das deutsche TV zehn Anime-Serien. In den 80ern sind es 21. In den 90ern etwa 80. Viele Anime der 60er und 70er Jahre sind in Italien, Spanien, Frankreich ein Hit – doch kommen wegen der „Speed Racer“-Proteste von 1971 nicht ins deutsche TV.

Yami Shin und die Zwillingsschwestern Gin Zarbo und Ban Zarbo sind Schweizer Mangaka. Sozan Coskun, Nana Yaa (toller Kinder-/Shōnen-Manga: „Goldfisch“, 3 Bände ab 2016), Mikiko Ponczek, Kristina Gehrmann, Anne Pätzke und David Füleki sind deutsche Mangaka. Melanie Schober ist Österreicherin.

13 Folgen des Anime „Es war einmal“ zeigen japanische Märchen, 1979 im ZDF. Doch davor? Und danach? Bis 1990/91 – mit „Miyuki“ und „Die Königin der 1000 Jahre“ – handelt kein Anime im deutschen TV von Japan oder japanischen Held*innen.

2.

Portugiesen, die 1543 mit einer chinesischen Dschunke in Japan anlegen, gelten als erste Europäer*innen im Land. „Schweigen“ (Roman von Endō Shūsaku, 1966) zeigt die Vertreibung der portugiesischen Jesuiten-Brüder 1639, nach einem christlichen Aufstand. Bis 1853 schottet sich Japan ab. Die Schwarzen Schiffe der US-Navy, die das Land gewaltsam öffnen, sind in der Comedy „Gintama“ (77 Bände ab 2003) UFOs.

Castella-Kuchen und Konpeitō (Konfekt: bunte Sterne aus Zucker) stammen aus Portugal; auch die Worte für Brot (Pan), Seife (Shabon) und Paniertes (Tempura) sind entlehnt. Aus dem Deutschen stammen Arbeit, Energie, Kindergarten, Schlafsack, Märchen, These, Seminar und Lumpen (für umherziehende Menschen); dazu viel medizinische Sprache wie Röntgen, Harn und Kranke (Kuranke: Patient*innen). Im Westen sind Bonze, Rikscha, Tycoon und Honcho Lehnworte aus Japan.

Von 607 bis 838 erkunden 19 japanische Expeditionen China: Die Tang-Dynastie wird zum Vorbild für Japans Verwaltung. Schwarzer Tee aus China wird in der Meiji-Zeit (1868 bis 1912) aus England importiert. Die britische Navy ist ab 1868 Modell für Japans Marine; das preußische Heer für Japans Armee. Nah am historischen Preußen zeigt „Baltzar Militarismus“ (18+ Bände ab 2011): Bernd Baltzar baut im neutralen Baselland ein Heer nach dem Vorbild seiner Heimat Weissen auf.

Gut recherchiert: „Knights“ (5 Bände ab 2006) zeigt Schwertkämpfe ohne Rüstung. Bloßfechten – in westlicher Fantasy und Historienromanen meist ignoriert. Ein Recherche-Fail (oder ein Witz!) sind die Bannsprüche im „Tanya the Evil“-Manga (2016).  „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“, „Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.“ Der Text der Zauber-Kreise passt nie – und stammt wohl aus einer Redensarten-Liste. Die Vorlagen (Light Novels) dagegen haben historische Fußnoten am Ende jedes Kapitels.

3.

Pikachu liebt Ketchup. Nagisa aus „Madoka Magica“ kann zwar Süßes hexen, doch liebt Käse. „Wo ist die Käse?“ – ein bombastisch orchestrierter Song, 2013 – lässt einen Chor schmettern „Schnell nach Käse, Zug nach Käse“ und „Käse, Käse, will ich hin.“ Sawano Hiroyuki komponiert oft Songs mit deutschem Text. „Attack on Titan“ bietet neben „Seid ihr das Essen?“ – „Nein, wir sind die Jäger“ auch, viel lyrischer: „Es ist wie das Spiel mit Bauklötzen. Du brichst meine Mauer arglos mit schmutzigen Händen.“

„Eisen Flügel“, „Elfen Lied“, „Übel Blatt“, „Weiß Kreuz“ (und „Weiß Kreuz Glühen“), „Monster Mädchen“, „MD Geist“, „Panzer Geist“, „Girls & Panzer“, „Raubritter“, „Blassreiter“, „Märchen Mädchen“, „MÄR: Märchen Awakens Romance“, „Märchen Adventure Cotton 100 %“, „Bremen“, „Bremen 4“, „Violinist of Hameln“, „Kämpfer“ (und „Kämpfer: Für die Liebe“), „Graduale der Wolken“, „Gelände Magic“, „Die Wergelder“, „Frieren“, „Torture Princess: Fremd Tortürchen“ und das Game „RosenkreuzStilette Freudenstachel“ klingen auf Japanisch – und auf Deutsch! – verrätselt.

Falco aus „Attack on Titan“ hat Raubvogel-Kräfte. Lügner, Lawine, Kanne, Fass, Lektüre, Falsch und Rivale sind Namen in „Frieren – Nach dem Ende der Reise“ (13+ Bände ab 2020). Der Codename für den Plan, ein gesunkenes U-Boot der Nazis auszurauben, in „Black Lagoon“: „Fuck Plan vom Schiff“.

„Super Robot Wars“ (Games, ab 1991) zeigt Mecha aus „Gundam“ und vielen anderen Anime. TV Tropes erklärt, dass eine Mecha-Rüstung der Gespenst-Klasse (das Modell heißt Rein Weißritter und soll dem größeren Modell Alteisen Riese Feuerschutz geben) „zu einem techno-organischen Monstrum mutiert wird“ von Wesen aus einer anderen Dimension, den Einst. In Game 30 ist der Mecha auf dem Dreisstrager-Schiff von Einheit Dreikreuz stationiert: Dreißig Super Roboter Flugzeugträger.

4.

Leni Milchstrasse, Constanze Amalie von Braunschbank-Albrechtsberger, Licht Bach, Burks Blaumohn, Satella Harvenheit, Berg Katse, Dark Schneider, Drossel Juno Vierzehntes Heizregister (Fürstin von Flügel), Ritsuko Kübel Kettenkrad und das Schwert „Blutsauger“ sind wie Blumen: Schön, diese Namen zu pflücken und hier ins Buch zu pressen.

Tomino Yoshiyuki hat Depressionen und macht, wenn es ihm schlecht geht, oft provokante Vorschläge. Seine Figuren-Namen bei „Gundam“ sind oft Tests, ob Bandai Namco sagt: „Das geht zu weit.“ Die Zeon-Fraktion trägt Uniformen im Stil der Wehrmacht: Hier passt der Name „Rommel“. Tieria Erde ist „Gundam Meister“ und kämpft mit Feldt Grace gegen Graham Aker. Zuchini Nicchini, Paptimus Scirocco, Quattro Vageena und Lila Milla Rira haben keine deutschen Wurzeln. (Und Lyserg Diethel aus „Shaman King“ klingt pseudo-deutsch – doch steht für Lysergic Acid Diethy lamide: LSD.)

Wer den englischen Titel „Love Plus“ in die Silbenschrift Katakana überträgt, kann die Silben auch als „Rabu Purasu“ lesen. „Buraddo Raddo“ ist die Transkription für „Blood Lad“. „Merupuri“ (4 Bände ab 2003) hat eine deutsche Bedeutung: „MärPri“ meint „Märchenprinz“. Die Namen Flyheight, Schubaltz und Zeke (ab 1999; Zoids-Spielfiguren gibt es seit 1983) sind falsche Rückübersetzungen von „Freiheit, Schwarz und Sieg“. Joan Landor und Ezella Garnie in „Captain Future“ (52 Folgen ab 1978) sind falsche deutsche Übertragungen: In 20+ US-Romanen ab 1940 heißen sie Joan Randall und Ezra Gurney.

5.

Als ihre Wohnung abbrennt, zieht Fotografin Aki nach Berlin (und später Amsterdam): „Sayonara Tokyo, hallo Berlin“ (2 präzise beobachtete, kluge Bände ab 2019) zeigt Rezepte, WG-Dynamik und viel „Wie stelle ich mich als Fremde und Künstlerin zu einer Stadt?“ „Über Leben“ (400 Seiten, 2021) von Shimizu Maki zeigt Comic-Künstlerinnen, Verdrängung durch Mietpreise, Hass gegen Frauen und Arme. Berlin als tiefgraue Mausefalle. Heftig!

Der trockene Jazz-Manga „Blue Giant“ (32+ Bände ab 2013) spielt ab Band 11 in Deutschland. Zur Recherche reist der Redakteur mit dem Mangaka unter anderem nach München und Hamburg. Kellerbars und spröde Männer, die über Jazz, den man beim Lesen nicht hört, raunen: „Oha! Wie leidenschaftlich!“ Hm. Orte und Alltags-Details sind ähnlich exakt recherchiert wie in Urasawa Naokis „Monster“ (1994, spielt unter andem in Düsseldorf und Heidelberg).

Im Manga „Bibi & Miyu“ (drei Bände ab 2019, Szenario: Olivia Vieweg) trifft Bibi Blocksberg – von Elfie Donnelly 1980 für Hörspiele erfunden – eine junge Hexe aus Japan. Als die Zeichnerin Hirara Natsume im Hintergrund Pferde zeigt, warnt Kiddinx (dort liegt das Copyright für Bibi), „Pferde würden eher auf das Bibi & Tina-Universum hinweisen.“ Ohne Tinas Hof: Umsatteln – Pferde aus dem Bild!

Eine Spaß-Figur macht sich zu viele Gedanken und geht übertrieben ehrgeizig auf eine „Mission“. Sie trifft extreme Gegenwehr, Barrieren und Quatsch, zehnmal wilder als erwartet: „Spy x Family“ (13+ Bände ab 2019) zeigt Agent Twilight, Auftragsmörderin Yor und Anya (6, sie kann Gedanken lesen) im Kalten Krieg in Berlint. Eine DDR und Sozialismus fehlen: Westalis und Ostania sind Comedy-Diktaturen. Doch wie in jedem Kapitel jeweils andere Figuren aneinander eskalieren? Originell und gefühlvoll!

6.

„Princess Tutu“ (26 Folgen ab 2002) spielt in Goldkrone. Vorbild ist Nördlingen (Bayern). Colmar im Elsass ist Vorbild bei „Is the Order a Rabbit?“ (12 Bände ab 2011) und „Das wandelnde Schloss“ (2004). „Lord Marksman and Vanadis“ (Light Novels ab 2011) zeigt die Stadt Alsace und das Nachbarland Zhcted. Mühlenburg in „Little Snow Fairy Sugar“ (24 Folgen ab 2001) ist Rothenburg ob der Tauber. Sternbild in „Tiger & Bunny“ (25 Folgen, 2011) ist New York.

Der Norden von Westeros („Ein Lied von Eis und Feuer“: US-Romane ab 1996) hat die Umrisse von Schottland, England und Wales; der Süden ist Irland, auf den Kopf gestellt. „Attack on Titan“ spielt (Spoiler) auf einer Insel wie Madagaskar, nur viel größer, gespiegelt und auf dem Kopf. Nördlingen ist Vorbild für Shiganshina.

Die Pflege-Expertin Florence Nightingale, Forscher Jean-Henri Fabre (Vorbild für viele japanische Kinder, die Käfer sammeln) und Philipp Franz von Siebold (Arzt und Botaniker, ab 1823 und ab 1858 lange in Japan) sind in Japan bekannter als in Deutschland. Diplomat Sugihara Chiune gilt als „Oskar Schindler Japans“: Er rettet 6000 jüdischen Menschen das Leben. Richard Sorge, Sohn einer Russin und eines deutschen Erdölingenieurs, ist ab 1933 als Journalist in Japan – doch in Wahrheit ein Spion für Stalin. Er wird 1944 hingerichtet und ist Vorbild für Castorp in „Wie der Wind sich hebt“, 2013.

Im Ersten Weltkrieg sind Japan und Deutschland Gegner. Doch ab 1870 studieren japanische Ärzte oft in Preußen. In Japan wird Deutsch die Lehrsprache für Medizin; und 1900 schreibt Lektor und Märchen-Autor Iwaya Sueo Kolumnen aus und über Berlin. Wer 1926 im Ausland studiert, wählt zu über 80 Prozent eine deutsche Uni. „Julie the Wild Rose“ (Wien im Ersten Weltkrieg, 13 Folgen 1979), „Alpen Rose“ (die Schweiz im Zweiten Weltkrieg, 9 Bände ab 1983) und „Das doppelte Lottchen“ (München und Österreich in den 50ern, 29 Folgen 1991) zeigen Europa im Shōjo-Stil: Die Zielgruppe sind Mädchen und junge Frauen.

Jüdische Banken wollen Japan mit Atommüll zerstören, zeigt „Angel Cop“ (6 Anime-Filme als Kaufvideo, ab 1989). Die US-Übersetzung streicht die antisemitischen Sätze. „Simple Thinking about Blood Type“ (ein koreanischer Manhwa, 2 Bände 2011) erklärt: Blutgruppe A gilt als verlässlich – weil viele Deutsche Gruppe A haben. Deutsche „Blutgruppenforschung“ will ab 1919 zeigen: Osteuropa ist minderwertig, weil dort mehr Leute Gruppe B haben. In Japan wird die Blutgruppe manchmal noch im Job erfragt.

Jasmin Dose, Jan Lukas Kuhn, Stefan Mesch: Unnützes Wissen über Manga und Anime • Riva Verlag, München 2024 • 192 Seiten • Softcover • 10,00 Euro