Nichts gelernt – Christophe Becs „Inexistenzen“

Christophe Bec arbeitet hauptsächlich als Szenarist und greift selten zum Zeichenstift. In „Inexistenzen“ überzeugt er auch als Zeichner mit einem außerordentlich pessimistischen Zukunftsentwurf.

Christophe Bec mag in fast jedem Genre beheimatet sein, egal ob Western („Gunfighter“), Biographien bekannter Flugpioniere („Aeropostale“), Schauergeschichten („Die schwarzen Moore“), Seefahrerabenteuer („Die neuen Abenteuer von Bruce J. Hawker“) oder Pulp („Conan, der Cimmerier“). Am liebsten scheint ihm dann doch das Fantastische zu sein, die Science Fiction. Etliche Serien wie die aus zahlreichen Alben bestehenden Dauerbrenner „Prometheus“ oder „Olympus Mons“ künden davon. Nun widmet er sich in „Inexistenzen“, einem Einzelband, der Postapokalypse, nicht nur inhaltlich, sondern auch visuell. Denn er zeichnet diesen Band auch, was selten genug vorkommt, trat er doch zuletzt in erster Linie als Autor in Erscheinung – als äußerst fleißiger Autor, wenn man seinen immensen Output betrachtet.

„Inexistenzen“, das vorweg, wartet mit keiner durchgehenden Story auf, sondern stellt eine Art Geschichtensammlung dar, bestehend aus fünf stilistisch unterschiedlich präsentierten Kapiteln, die vor einem gemeinsamen Hintergrund spielen. Und das ist eben die allseits beliebte Postapokalypse. Doch so bildgewaltig und brachial wie hier hat sie selten ein Autor und Zeichner vorgestellt. Zu Anfang wirken nur die Bilder, es gibt kaum Text und keine Sprechblasen, allerdings auch keine richtige Erzählung. Die erstaunlichen Panoramen, die zum Verweilen einladen, zeigen metallene Ruinen riesiger Anlagen hoch oben in den Bergen, eingebettet in Schnee und Eis, deren vormaliger Sinn und Zweck uns verborgen bleibt. Wie auch den wenigen Menschen, die, in Clans organisiert, hier tagtäglich ums Überleben kämpfen. Was oder wer die Apokalypse(n) zu verantworten hat, ist längst in Vergessenheit geraten.

Schrecklich kalt, gigantisch, fremd und gleichzeitig faszinierend werden Berglandschaften und Konstrukte präsentiert, in ausladenden Bildern und beeindruckenden Perspektiven, die sich ganz buchstäblich entfalten (lassen). Schwer bewaffnete Gestalten staksen ziellos durch die Gegend und dienen als Staffage für die wild-futuristischen Panoramen. Erst nach über 65 Seiten wird das erste Wort gesprochen. Wir begleiten den einzigen Protagonisten mit Namen, der einen sagenumwobenen Ort hoch oben am Berg aufsuchen will. Dann ein radikaler Stilbruch. Das nächste Kapitel, passenderweise und gleichsam als Hommage „Métal Hurlant“ getauft, wird in Prosa erzählt. Auf neun illustrierten Seiten dreht sich die Handlung um einen Clankrieg und ein mysteriöses Artefakt mit besonderen Fähigkeiten. Und im abschließenden „Terra“ macht ein verwegener Suchender in streng angeordneten Panels eine außerordentliche wie traurige Erfahrung.

Becs Bild dieser Welt ist düster und pessimistisch. Es scheint keine Hoffnung zu geben für die Restmenschheit, die in dieser Eiswelt von der Hand in den Mund lebt und offenbar nichts aus der weitgehend ausgelöschten Vergangenheit gelernt hat, passend zum vorangestellten Zitat von SF-Ikone Richard Matheson. In Becs Bildern und Geschichten lassen sich zahlreiche Anleihen und Reminiszenzen erkennen: von Yondu (bzw. seiner Waffe) aus „Guardians of the Galaxy“ über „Soylent Green“ bis zu „Planet der Affen“ und „Star Wars“ (der Eisplanet Hoth). Und die „Terra“-Episode orientiert sich an einem Gedicht, das Johnny Hallyday einst zu Beethovens Siebter vortrug. Das Vorwort dieser mahnenden wie beeindruckenden Dystopie stammt übrigens vom renommierten Comicexperten und Opern-Regisseur Numa Sadoul, der einst Hergé interviewte.

Dieser Text erschien zuerst auf: Comicleser.de

Christophe Bec: Inexistenzen • Aus dem Französischen von Harald Sachse • Splitter Verlag, Bielefeld 2025 • Hardcover • 152 Seiten • 39,80 Euro

Bernd Weigand ist schon über vier Jahrzehnte in Sachen Comics unterwegs: lesen, sammeln, übersetzen. Schreibt auch seit 20 Jahren über Comics, seit 2010 auf comicleser.de.