Opfer des Franquismus – „Der Abgrund des Vergessens“

Wie kann man mit den Opfern einer Diktatur, die in Massengräbern verscharrt wurden, angemessen umgehen? Und was bedeutet es für die Hinterbliebenen, wenn sie keinen Ort zum Trauern haben? Das hat der mehrfach preisgekrönte spanische Comic-Künstler Paco Roca zusammen mit dem Journalisten Rodrigo Terrasa in „Der Abgrund des Vergessens“ recherchiert.

Pepita Celda hat es geschafft. Das Massengrab, in dem sie ihren Vater vermutet, darf endlich geöffnet werden. Es war ein langer Weg durch die Behörden, die immer neue Genehmigungen verlangen und das Verfahren in die Länge ziehen. Mit klaren Linien und gedeckten Farben zeichnet Paco Roca ganz nüchtern Pepita Celdas Kampf um eine würdige Bestattung ihres Vaters nach – und macht ihn so besonders berührend.

Dieser Kampf sei typisch in Spanien, meint Rodrigo Terrasa, der den Comic recherchiert hat. Mit dem Übergang der Franco-Diktatur in die Demokratie haben die Bürgerkriegsparteien auch ein Abkommen geschlossen, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Das hatte positive Effekte, führte aber auch dazu, dass die gesamte spanische Gesellschaft ihre Vergangenheit nicht aufgearbeitet habe. Das führe bis heute zu vielen Problemen, die nicht gelöst werden können.

Rodrigo Terrasa hat für den Comic Pepita Celda und andere Nachfahren von Opfern interviewt, außerdem ein Archäologen-Team und die Tochter des örtlichen Totengräbers. In Rückblenden zeichnet Paco Roca, der selbst zum Tod verurteilt worden war, weil er im Bürgerkrieg für die Sozialisten und gegen Franco kämpfte. Nach seiner Begnadigung durfte er nur noch als Totengräber arbeiten, der die Leichen der Staatsfeinde in Massengräber verscharrt.

Der Comic zeigt, wie dieser Leonidas kleine Fläschchen mit den Namen der Toten in die Kleidung der Leichname schmuggelte und sie so leichter identifizierbar machte. Außerdem hat er Teile der Kleidung abgeschnitten, um sie den Hinterbliebenen zu geben. Es war oft das einzige, was den Hinterbliebenen von den Toten blieb.

Das Schicksal des Totengräbers und was er für die Hinterbliebenen der politisch Verfolgten getan hat, stand bis zur Recherche von Rodrigo Terrasa in keinem Geschichtsbuch. Der Comic „Der Abgrund des Vergessens“ dokumentiert die Lebensläufe der Opfer des Franco-Regimes – und wie das bei den Nachfahren bis heute nachwirkt. Da ist Pepita, die beim letzten Besuch ihres Vaters im Gefängnis nicht weinen soll und bis heute keine Tränen mehr hat. Wenigstens Klarheit will sie haben, wo ihr Vater beerdigt ist. Wie eine Gesellschaft mit ihren Toten umgeht, sagt viel über die Gesellschaft aus, heißt es an einer Stelle.

Bei aller Härte des Themas – Paco Roca und Rodrigo Terrasa haben einen versöhnlichen Comic gemacht, in dem es wenige Menschen gibt, die durch und durch böse sind. Selbst unter den Franco-Soldaten gibt es Menschen, denen die Hände zittern, wenn sie Häftlinge erschießen sollen. Roca und Terrasa geht es um Versöhnung, damit stehen sie durchaus in der spanischen Tradition. Allerdings gelingt die nur, wenn das Leid der Opfer aufgearbeitet wird, meinen die beiden.

Sie zeigen, wie Pepita, die Tochter von Jose, 18 Jahre nach dessen Tod ihren Frieden schließen kann, weil das Grab geöffnet und ihr Vater eindeutig identifiziert wird. „Der Abgrund des Vergessens“ zeigt, dass es beim Öffnen der Massengräber nicht um Rache geht oder darum, irgendjemand politisch abzustrafen, auch nicht die alten rechten Parteien. Mit klaren Bildern und einer vielschichtigen Erzählung macht der Comic klar, dass es eine menschliche Notwendigkeit ist, die eigenen Angehörigen ordentlich zu beerdigen.

Dieser Beitrag erschien zuerst am 02.07.2025 auf: radio3 rbb

Paco Roca (Zeichner), Rodrigo Terrasa (Autor): Der Abgrund des Vergessens • Aus dem Spanischen von André Höchemer • Reprodukt, Berlin 2025 • Hardcover • 304 Seiten • 34 Euro

Andrea Heinze arbeitet als Kulturjournalistin u. a. für kulturradio rbb, BR, SWR, Deutschlandfunk und MDR.