Esoterisches Flaschendrehen – „Black Orchid“

Die Figur Black Orchid war und ist eine Fußnote in der Geschichte des DC-Universums. Auch Neil Gaiman und Dave McKean zählten 1988, als die gleichnamige, dreiteilige Miniserie um die Mensch/ Pflanze-Hybridin startete, allenfalls zum talentierten Nachwuchs. Ihre Reputation sollten sie erst später mit der Neuinterpretation von „The Sandman“ bzw. „Arkham Asylum“ und „Cages“ erlangen. Folglich überließ man ihnen einen B-Charakter, der sich seit 1973 kontur- und bedeutungslos an den Nebenschauplätzen der großen Namen ums Überleben mühte. Die ökonomische Fallhöhe war also ziemlich gering, und tatsächlich ist an diesem Frühwerk höchstens auffällig, dass Gaiman seinen Hang zu esoterischen Minimalweisheiten später in den Welten des märchenhaften Sandman-Kosmos‘ besser verstecken lernen sollte. Dass McKean hingegen seinen visuellen Eklektizismus auch dem Plot unterordnen kann, ist auch an „Cages“ überprüfbar.

Neil Gaiman (Text), Dave McKean (Zeichnungen): „Black Orchid“.
Panini, Stuttgart 2009. 164 Seiten. 16,99 Euro

Sicher ist: Die 1980er waren das Jahrzehnt, in dem die Superhelden am radikalsten ihre reaktionäre Kehrseite offenbarten (und wäre dieser Strang der Kritik ernsthaft weiterverfolgt worden, hätte er früher oder später nur in ihrer Auflösung münden können; dann sprächen wir an dieser Stelle posthum von einem Kuriosum der Kulturindustrie). „The Dark Knight Returns“ und „Watchmen“ waren Meilensteine, und im Vorwort versucht Mikal Gilmore recht großspurig „Black Orchid“ in deren Tradition einzureihen. Von dem Umstand abgesehen, dass die Titelheldin zu Beginn ermordet wird und sich nach ihrer Wiedergeburt mühsam ihre Biographie und Identität zusammenpuzzeln muss, ist das schlicht Unfug. Das Duo nutzt das Setting sehr straight für eine Revitalisierung des Pathos im Genre, und mehr gibt die Erzählung auch nicht her. Dazu dient als konsequent angewandtes Mittel die Dichotomisierung von Mensch und Natur: Wie ihr Leben so sind auch die Menschen und ihre Umgebung ausnahmslos grau, einzig unkontrollierbare Naturerscheinungen – Blut, Feuer, Pflanzen – erstrahlen im Aquarell- und Tuschespiel in charakteristischen und ausdrucksstarken Farben. Dann dehnen sich die Panels zur herzergreifenden Kontemplation. Enfremdet, korrupt und machtgierig bewegt sich der Mensch durch eine zur Utopie geronnenen Romantik der Unschuld und Barmherzigkeit: Da blicken scheue Äffchenkulleraugen zum Betrachter, wenn die Identitätssuche bis in die Tiefen des Urwalds führt, wo sich ein Trupp krimineller Jäger als ignorante Kolonialmacht beweist. Die Ermordung eines gutmütigen Dschungelbewohners fehlt selbstredend nicht. Reinheit ist das Signum der Natur, Zivilisation kann lediglich mit Barbarei kontern.

Der Weg zur Ökoparabel dazwischen ist überschaubar gespickt mit diversen Recken des DC-Inventars: der Joker im Arkham Asylum, Batman, schließlich Swamp Thing, sie alle leisten ihren Beitrag, um der Heldin den Weg zum alten Ich zu weisen. Das liest sich als Nummernrevue recht langweilig, vielleicht auch deshalb, weil es letztendlich deren Tugendhaftigkeit bedarf, um der identitären Konfusion zu entgehen. Da jedoch das dichotomische Konzept Mensch vs. Natur keinerlei Ambivalenz zulässt, wird aus der höflichen Kritik leichtfüßig reaktionärer Firlefanz: Wenn die Natur qua Mystifizierung nur als Hort friedlicher Eintracht als Gegenmodell zur nicht minder naturhaft aggressiven Menschheit in Anschlag gebracht werden kann, bläst die Kritik schiefe Töne aus jenem Horne, das ursprünglich zur gut gemeinten Mahnung angesetzt wurde. Mythos jedenfalls lässt sich nicht mit Mythos wegblöken. Das lernt man wohl als erstes von der Esoterik.

Dieser Text erschien zuerst in: Der Tagesspiegel

Sven Jachmann ist Comic.de- und Splitter-Redakteur und Herausgeber des Filmmagazins filmgazette.de. Beiträge u. a. in KONKRET, Tagesspiegel, ND, Taz, TITANIC, Junge Welt, Jungle World, Das Viertel, Testcard sowie für zahlreiche Buch- und Comicpublikationen und DVD-Mediabooks.