Die McCay-Welle – „Little Nemo – Abenteuer im Schlummerland“

1018282Für eine Renaissance mag es noch nicht reichen, aber in letzter Zeit haben die Verlage für „Little Nemo“-Fans einiges zu bieten: Im Winter 2014 vollbrachte der Taschen Verlag einen editorischen Kraftakt und präsentierte eine Gesamtausgabe des surrealistisch-bizarren Zeitungscomic-Klassikers, großformatig, sieben Kilo schwer, mit dickem Beiheft ausgestattet, verstaut in einem Koffer – die mutigste Veröffentlichung eines Comicklassikers seit Jahrzehnten. Im vergangenen Jahr veröffentlichte Splitter Eric Shanowers und Gabriel Rodriguez’ US-amerikanische Miniserie „Little Nemo – Rückkehr ins Schlummerland“ (hier unser Buchtipp), eine liebevolle Hommage an das Meisterwerk Winsor McCays, die im selben Jahr mit dem Eisner-Award ausgezeichnet wurde. Und jetzt überrascht uns Koch Media mit der DVD– und Blu-ray-Veröffentlichung des Animationsfilms „Little Nemo – Abenteuer im Schlummerland“.

Die amerikanisch-japanische Co-Produktion, 1989 in Japan uraufgeführt und erst drei Jahre später international ausgewertet, ist ein kleines Kuriosum. Ausgewiesene Phantastik-Legenden waren an dem Film beteiligt: Ray Bradbury und Moebius als Drehbuchautoren (Chris Columbus besorgte dann die finale Fassung), letzterer teilweise auch als Zeichner; die Sherman Brothers („Das Dschungelbuch“, „Mary Poppins“) als Komponisten; das Studio Tokio Movie Shinsha, kurz zuvor mit der „Akira“-Verfilmung gewaltig reüssiert, übernahm die visuelle Arbeit. Sie alle haben den Stoff nicht in Gänze unter Kontrolle bekommen, was vor allem damit zusammenhängt, dass sowohl die Serialität als auch die erwachsenen Anteile der Vorlage nur bedingt als Kinderspielfilm eignen – der Wille zur Bekömmlichkeit spiegelt sich am penetrantesten im hinzu gedichteten Nemo-Sidekick Icarus, einem Gleithörnchen.

Optisch hingegen suhlt sich Nemos Traumreise ins Schlummerland, die in der zweiten Hälfte gar das Albtraumland erreicht, in einer üppigen Bildpoesie, die den filmischen Raum detailverliebt auslotet – makelloses Handwerk, Hingabe bis zum letzten Farbklecks, ein Laufsteg der Animationskunst.

Auch aus editorischer Sicht überzeugt die DVD durch Bonusmaterial, das den Film angemessen kontextualisiert: die Test-Kurzfilme von Kondo Yoshifumi („Stimme des Herzens“) und Osamu Dezaki („Belladonna of Sadness“), zwei weitere beteiligte Animationsfilm-Ikonen, die jedoch in der Prä-Produktion ausstiegen; die rund zehn Minuten längere japanische Fassung des Films (untertitelt und synchronisiert), die einen unübersehbar düstereren Ton anschlägt; zwei historische Making ofs sowie, ein besonderer Glücksfall, zwei Kurzfilme Winsor McCays, der mit „Little Nemo“ ja nicht nur die Bild- und Formsprache des Comics so visionär und modern modelliert hat, dass sie noch heute als Lehrstück gilt, sondern neben der Arbeit an seinem Opus Magnum auch noch die Zeit fand, den Animationsfilm zu erfinden. Schön, dass selbst seiner Pionierleistung mit dieser Veröffentlichung gedacht wird.

Little Nemo – Abenteuer im Schlummerland – Special Edition
USA/Japan 1989
Regie: Masami Hata, William T. Hurtz
FSK: ab 6 Jahren
Anbieter: Koch Media
Erhältlich auf DVD und Blu-ray