Deutsche Comicverlage im Internet Teil 3 Oder: Wie Stan Lee (beinahe) ein deutschsprachiges Comic-Portal eröffnete

Seit 1977 schrieb der Schriftsteller und Comicautor Peter Mennigen zunächst deutsche Geschichten für Comicreihen wie „Gespenster Geschichten“, „Spuk Geschichten“, „Conny“, „Biggi“, „Vanessa“, „Felix“, „Lasso“, „Phantom“, „Axel F.“ und zahlreiche weitere Serien des Bastei Verlags. Ab den 90er Jahren arbeitete er für andere Verlage wie Egmont (Disney-Magazine), Panini (Jessy, Sternentänzer, Willi will‘s wissen) und Ravensburger (u.a. Fix und Foxi). In dieser Zeit verfasste er auch internationale Comics: „Lucky Luke“, „Schlümpfe“, „Bessy“ und „Isnogud“. Aktuell arbeitet er zusammen mit Ingo Römling an der Mystery-Steampunk-Serie „Malcolm Max“. Für comic.de blickt er in unregelmäßigen Abständen zurück auf seine Arbeit im deutschen Comicverlagsgeschäft.

Hier findet sich der 1. Teil, hier der 2. zu „Deutsche Comicverlage im Internet“.

Hätte der Ravensburger Verlag nicht sein Debüt im expandierenden World Wide Web gegeben, hätte Stan Lee auch nie Kontakt mit mir aufgenommen. Um die Jahrtausendwende gründete der Verlag eigens eine kleine, aber feine IT-Abteilung mit kompetenten Mitarbeitern: die „Ravensburger Intractive Media GmbH“. Auf der Unternehmens-Website mit der obligatorischen Präsentation von Verlagsprodukten sollte eine offizielle „Käpt’n Blaubär“-Homepage das Kernstück des Web-Auftritts bilden. Rechteinhaber der Fernsehserie von Walter Moers war zwar der WDR, doch die Verwertung der Lizenzen hatte der Kölner Fernsehsender seinerzeit an den Ravensburger Verlag abgetreten.

Zu diesen Lizenzen gehörten auch die „Käpt’n Blaubär Seemansgarn“-Comics, die ich zwischen 1993 bis 1995 für den Bastei Verlag und im Anschluss daran für den Conmedia Verlag geschrieben hatte. Seitdem engagierte mich die Ravensburger Marketing-Abteilung regelmäßig als Autor für verschiedene „Käpt’n Blaubär“-Produkte. Ich war für die Entwicklung und Vereinheitlichung der Texte auf den Verpackungen, Beipackzetteln und in Broschüren der Lizenzprodukte von BoFrost, der Postbank usw. zuständig. Alles musste in der typisch-witzigen „Käpt’n Blaubär“-Sprache formuliert sein.

„KÄPT’N BLAUBÄRS SEEMANNSGARN“ aus dem Bastei Verlag. Zwischen September 1993 und Juni 1995 erschienen 22 Hefte.

Als man bei Ravensburger Intractive einen Autor für die Entwicklung und Pflege der geplanten „Käpt’n Blaubär“-Homepage suchte, fiel die Wahl wohl auch wegen meiner Erfahrung auf diesem Gebiet auf mich. Meine allererste Blaubär-Webstory, die ich schrieb, handelte von Hein Blöd und wie er in seiner Dösbaddeligkeit das Internet erfand. Täglich verfasste ich dann ein Update mit neuen Blaubär-Abenteuern, die sich rund um das Internet und die dort gebräuchlichen Fachausdrücke drehten.

Um immer auf dem neuesten Stand der technischen und inhaltlichen Entwicklungen im Internetsektor zu bleiben, tauschte ich mich permanent mit Webmastern aus aller Welt aus. Vor allem mit Entwicklern aus den USA, die uns Europäern damals um einiges voraus waren. Einer der Fachleute, mit denen ich einen engeren Kontakt knüpfte, war Peter F. Paul. Zusammen mit Stan Lee hatte Paul im Jahr 1996 die „Stan Lee Media, Inc.“ gegründet. Ihr ambitioniertes Ziel war eine Verschmelzung von Comics, Film, Games, Animationen, Fernsehen, Musik, Themenparks und Internet. Für seine innovativen Online-Animationen war der Internetauftritt mit dem „Best Show Web Award“ ausgezeichnet worden.

Zwischen Pauls Zeilen war immer die dringlichste Frage herauszulesen, die sich damals die meisten der wie Pilze aus dem Boden schießenden IT-Unternehmen stellten: Woher bekamen sie genügend Kapital, um das Überleben ihrer Firma zu sichern? Die wenigsten konnten Gelder aus dem Angebot ihrer Firmen generieren, um damit kurz- oder mittelfristig Gewinne einzufahren. Weshalb man sich das nötige Kapital zumeist – so wie die Stan Lee Media, Inc. – mittels Börsennotierung besorgte.

Ich schlug Paul vor, bei seinem Portal noch stärker Stan Lees Popularität zu nutzen. Stan Lee Media könnte Comiczeichnern eine eigene Plattform einrichten, auf der die Künstler dann Commissions anbieten, oder ihre Originalseiten verkaufen beziehungsweise versteigern konnten. Damit wäre allen gedient: Die Zeichner verdienten mit ihrem Artwork mehr als bei Verlagen, die Fans kämen relativ unkompliziert an Originale und Stan Lee Media würde für jedes verkaufte oder versteigerte Exponat eine Provision erhalten. Von Peter F. Paul bekam ich zwar diesbezüglich kein Feedback, dafür erhielt ich eine E-Mail von Stan Lee persönlich. Ihm gefiel meine Idee von der Verwertung des Original Artworks. Er zeigte sich ebenfalls sehr interessiert an der Entwicklung des Internets in Deutschland und der hiesigen Comicszene. Nachdem wir ein paar Mal in unregelmäßigen Abständen Ideen ausgetauscht hatten, eröffnete er mir, dass er eine globale Expansion seines Webportals anstrebe. In dem Zusammenhang fragte er mich, ob ich an der Betreuung eines deutschsprachigen Ablegers seines Comicportals Interesse hätte, sobald dessen Finanzierung geklärt sei.

Offizielles STAN LEE MEDIA Logo.
Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/Stan_Lee_Media

Wer hätte bei einem solchen Angebot schon „Nein“ gesagt? Allerdings erschien mir die Ausweitung seines Webauftritts auf Deutschland allein zu begrenzt. Ich empfahl Stan Lee, das Projekt in der jeweiligen Landessprache auf einen Großteil Europas auszuweiten, finanziert von der Europäischen Union. Die EU förderte zahlreiche kulturelle Projekte, und es erschien mir an der Zeit, dass man in Brüssel auch mal etwas Geld für die „Neunte Kunst“ bereitstellte.

Zu der Zeit war ich als Autor Mitglied eines Teams, das im Auftrag der Europäischen Union an der Entwicklung eines sehr umfangreichen, sehr kostspieligen und sehr komplexen Internetprojekts arbeitete. Unsere Gruppe bestand aus etwa einem Dutzend internationaler Experten aus den verschiedensten Bereichen. Alle acht bis zehn Wochen trafen wir uns in einer anderen europäischen Großstadt, tauschten uns über die Fortschritte unserer Arbeit aus und planten die nächsten Schritte. Beim nächsten Meeting in Mailand erzählte ich dem Projektleiter, dem Niederländer Job Rutgers, von Stan Lees geplantem Comicportal für Europa. Job war selbst ein großer Comicfan und von der Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit Stan Lee begeistert. EU-Fördergelder für diverse Projekte abzuschöpfen, gehörte quasi zu seinem Tagesgeschäft. Er kannte die richtigen Leute in Brüssel, bei denen man anklopfen musste. Bei seinem anstehenden Besuch dort wollte Job mit den für die Fördergelder Verantwortlichen reden und einen entsprechenden Antrag auf den Weg bringen.

Homepage von STAN LEE MEDIA, Inc.
Quelle: http://phase2.mousewurx.com/

Wieder zu Hause teilte ich Stan Lee das Ergebnis meiner Reise mit. Seit unserem letzten Kontakt waren mehrere Wochen vergangen. In der Zwischenzeit musste bei ihm einiges passiert sein. Denn er dankte mir zwar für meine Bemühungen, meinte aber, er müsse zunächst einige aufgetretene Probleme rund um seine Firma klären. Bis dahin sollten wir die geplante EU-Finanzierung vorläufig auf Eis legen. Das klang für mich nach größeren Schwierigkeiten. Deshalb rief ich Job Rutgers an, damit er wegen des Projekts in Brüssel erst mal die Füße still hielt.

Wie sich später herausstellte, war Stan Lee Media, Inc. nicht allein wegen der Finanzierung des Comicportals in Schieflage geraten, denn das wäre für Stan Lee sicherlich zu stemmen gewesen. Das Problem lag in der Verflechtung des Portals mit anderen kostspieligen Projekten, bei denen sich Stan Lees Firma wohl etwas übernommen hatte. So hatte das Unternehmen beispielsweise Millionen-Dollar-Investitionen für den Erwerb der Rechte an „Conan“ getätigt und einen dritten „Conan“-Film in Planung.

Während die Zukunft von Stan Lee Media, Inc. in der Schwebe hing, sorgte der weltweite Big Bang an den Börsen für klare Verhältnisse. Das Platzen der Dotcom-Blase führte zu verheerenden Kurseinbrüchen bei den Aktien am „Neuen Markt“. Die eintretende Konsolidierungsphase setzte den Tagen der Goldgräberstimmung im Internetsektor abrupt ein Ende. Für viele IT-Firmen bedeutet der Crash das Aus. Von den ruinösen Turbulenzen blieb Stan Lees Firma ebenfalls nicht verschont. Durch den Börsencrash ging ein Großteil des Betriebskapitals verloren, sodass Stan Lee Media, Inc. irgendwann zwischen Dezember 2000 und Januar 2001 Insolvenz anmelden musste. Womit auch der Traum eines deutschsprachigen Comicportals von Stan Lee ausgeträumt war.