Lars Fiske zählt zu den erfolgreichsten Comickünstlern Norwegens und hat nach „Olaf G.“ und „Merz“ mit „Grosz“ kürzlich sein bereits drittes Buch über einen Künstler des 20. Jahrhunderts veröffentlicht. Im vom Avant Verlag zur Verfügung gestellten Presse-Interview spricht er über seine Faszination für die deutsche Avantgarde und seiner Arbeit an George Grosz‘ Comicbiografie.
Lieber Lars Fiske, danke, dass Sie sich die Zeit nehmen, mit uns über Ihr neues Buch „Grosz“ zu sprechen. Für die Leserinnen und Leser, die Sie noch nicht kennen: Könnten Sie uns zu Beginn ein wenig über sich selbst und Ihre Anfänge als Comiczeichner erzählen? Warum Comics?
Ich wuchs in den 1970ern in Norwegen auf, als Fernsehen noch eine schwarzweiße Angelegenheit war. Die wöchentlichen Comics stachen aus dieser Monochromie heraus und brachten Farbe in mein Leben. Wie für alle Kinder in meinem Alter waren „Donald Duck“-Geschichten meine erste Begegnung mit dem Comicmedium. Aber noch viel wichtiger wurden für mich die frankobelgischen Comics (vor allem die Fortsetzungsgeschichten aus den französischsprachigen Magazinen Pilote und Tintin), Klassiker wie „Asterix“, „Blueberry“ etc. Von allen Serien hat mich „Tim und Struppi“ am meisten geprägt. Und als ich ca. zwölf Jahre alt war, konnte ich mein Talent fürs Zeichnen endlich für etwas Sinnvolles einsetzen und begann mit der Arbeit an meinem ersten, von Hergés „ligne claire“-Stil beeinflussten Comic. Von da an gab es kein Zurück mehr.
Natürlich liebe ich ihre Kunst, aber noch wichtiger sind für mich ihre Lebensgeschichten, wenn es darum geht, einen interessante Geschichte zu erzählen. In meiner Jugend interessierte ich mich sehr für die Avantgarde und den Modernismus des frühen 20. Jahrhunderts. Damals hatte ich nicht die Absicht, etwas aus dieser Epoche in meinen eigenen Arbeiten zu verwenden. Das passierte erst Jahre später, als ich Steffen Kverneland traf und wir zusammen an „Olaf G.“ arbeiteten. Gemeinsam entdeckten wir, wie perfekt sich der Comic zum Erzählen und Veranschaulichen des Lebens eines Künstlers eignete. Man kann die eigentlichen Kunstwerke zeigen, aber auch deren Entstehung, und vielleicht noch sich selbst als Erzähler einbringen und die eigene Recherche dokumentieren – und das alles auf einer Comicseite. „Grosz“ war ein bisschen anders, aber dennoch purer Comic, denke ich. Bei diesem Projekt habe ich versucht, zum eigentlichen Ursprung des Erzählen mittels Bildern durchzudringen. Ein bisschen wie bei Frans Masereels Holzschnitten, die sich alles bis auf die grundlegendsten grafischen Informationen zum Erzählen von Geschichten versagen. (Ich bin natürlich kein Masereel, aber irgendwo muss man ja anfangen…) Alle drei Biografien spielen im Deutschland des frühen 20. Jahrhunderts. Die Machtergreifung der Nazis, staatliche Zensur und Hitlers und Goebbels‘ Feldzug gegen die sogenannte „entartete Kunst“ haben alle drei Biografien stark geprägt. Gibt es einen Grund, warum Sie sich vor allem an dieser historischen Periode abarbeiten?
Durch meine Beschäftigung mit der Avantgarde führte an dieser geschichtlichen Epoche für mich kein Weg vorbei; moderne Kunst wurde von Nazideutschland schließlich komplett unterdrückt und fast zerstört. Die Nazidiktatur hatte verheerende Folgen für beide, Schwitters und Grosz, und veränderte ihr Leben und ihre Kunst gänzlich. Bei Gulbransson fanden natürlich keine Gemälde- oder Buchverbrennungen statt, da er sich entschied, mit dem von den Nazis gleichgeschalteten Simplicissimus weiterzuarbeiten.
Ein anderer Punkt, welcher George Grosz, Olaf Gulbransson und Kurt Schwitters verbindet, ist der Humor in ihren Werken. Gulbransson war natürlich berühmt für seine satirischen Illustrationen, aber Humor ist ebenfalls ein großer Teil von Grosz‘ Zeichnungen und Schwitters‘ Dada-Kunst. Wie wichtig ist Humor für das Verständis ihres Werks? Und wie würden Sie Grosz‘ Humor genau beschreiben?
Meiner Meinung nach war Schwitters der Komischste von den dreien und immer wieder überraschend in der Art, wie er den Widrigkeiten des Lebens mit seinem verrückten Dada-Humor begegnete. Genau deswegen entschied ich mich, das Buch über ihn zu machen. Sein Leben war so merkwürdig, traurig und dennoch voller Humor. Grosz hatte einen viel dunkleren, politisch orientierten Humor. Er war schonungslos und brutal in seiner Kritik am Militär, der Kirche und der Politik, hatte aber ein großes Herz für Menschen, die unterdrückt wurden. Schon früh in der Arbeit am Projekt entdeckte ich, dass er außerdem eine Begeisterung für Chaplin hatte und ich erkannte, dass sich viel „Slapstick“ in den Zeichnungen von Grosz wiederfand. Also machte ich „Slapstick“ zu meinem Motto für das Buch und versuchte immer, diesen Aspekt im Hinterkopf zu behalten.
Je mehr ich mich im Vorfeld des Buchs mit George Grosz beschäftigt habe, desto faszinierter war ich. Ich bin total hin und weg von seinen Zeichnungen aus Zeiten der Weimarer Republik: All die Sachen, die er im Malik-Verlag veröffentlichte, sind herausragend in einem künstlerischen Sinne, aber darunter sind auch einige der gewagtesten Satiren der Kunstgeschichte (ganz oben mit Goyas und Hogarths Radierungen). Grosz schuf seine berühmte Karikatur „Siegfried-Hitler“ bereits 1922! Er war komplett furchtlos und natürlich erklärten ihn die Nazis zum bolschewistischen Feind Nummer eins.
Grosz‘ Arbeit zu Zeiten der Weimarer Republik war eng verbunden mit den Brüdern Herzfelde und Wieland Herzfeldes Malik-Verlag. Können Sie uns mehr zu Grosz‘ Beziehung zu den beiden erzählen? Welche Rolle spielte Malik in seiner Entwicklung als Künstler?
Ohne seine furchtlosen Verleger wäre Grosz sicherlich nicht zu dem bedeutsamen Künstler geworden, als den ihn die Nachwelt sieht. Der Malik-Verlag veröffentlichte Mappen wie „Gott mit uns“, „Ecce Homo“ und „Hintergrund“, die allesamt indiziert und mit Bußgeldern überhäuft wurden. Vor allem Wieland und Grosz waren enge Freunde und standen sich in all den nervenaufreibenden Gerichtsverfahren zur Seite.
Ich wollte in einen Dialog mit seinem Stil treten, als ich das Buch machte. Ich wollte, dass Grosz‘ Leben nicht „in seinen Worten“, sondern „in seinen Bildern“ erzählt wird. Es war seine Art, sich auszudrücken. Ich begann mit den letzten beiden Seiten des Buches und entschied dann spontan, einen „Stummcomic“ zu machen. Ich glaube, ich war es zu dem Zeitpunkt leid, unendliche Massen an Quellen mit der Hand lettern zu müssen. Ich habe trotzdem alles gründlich erforscht, aber den Text weggelassen; es hat super funktioniert. Zu der Zeit schien es unmöglich, eine wortlose Graphic Novel zu so einer komplexen geschichtlichen Periode zu machen. Aber ich las mich tief in seine Biografie ein und so entstand Kapitel für Kapitel.
1933 ging Grosz nach Amerika. Was sind Ihre Gedanken zu seiner „Amerikanischen Periode“?
Ich muss gestehen, dass es künstlerisch gesehen nicht meine liebste Periode ist. Es war eine schreckliche Zeit für Grosz und er verfiel in schwere Depressionen und Trinkerei. Sein Vorhaben, ein rein nicht-politischer Maler zu werden, war kein leichtes für jemanden mit der Reputation als einer von Hitlers größten Widersachern.
Norwegen ist dieses Jahr Ehrengast auf der Frankfurter Buchmesse. Man wird 2019 also sicherlich viel über die norwegische Literaturlandschaft hören. Können Sie auch ein wenig über die Comicszene in Ihrem Land berichten? Welche Rolle spielen Comics in Norwegen und wie groß, einflussreich und heterogen ist die Comicgemeinde?
Mit meinem experimentelleren Ansatz ans Comiczeichnen würde ich mich als Teil der unabhängigen Underground-Comicszene sehen. Es ist vielleicht auch nicht unbedingt das Wörtchen „experimentell“, das diese Szene vereint, eher der Wunsch danach, von den traditionellen Comics, mit denen wir aufgewachsen sind, wegzukommen und etwas Neues mit dem Medium zu erschaffen. Viele der Bücher, die in diesem Milieu entstanden sind, haben in der letzten Zeit viel Aufmerksamkeit erfahren und den Comics in der Literaturlandschaft mehr Respekt verschafft. Dennoch sind es Zeitungsstrips, die in Norwegen am meisten gelesen werden und seit über einem Jahrzehnt ein „Goldenes Zeitalter“ erfahren.