Retro-Phänomene, Metallforscher und Apokalyptiker

Captain Future fliegt wieder, Christophe Bec weckt Erinnerungen an die Hochzeit des „Métal Hurlant“, und zwei Roboter spüren den Resten menschlicher Zivilisation nach. Außerdem hat Alexander Braun eine Geschichte der „Black Comics“ verfasst. Eindrucksvolle, liebenswerte, diskutable Phantastik-Comics der letzten Monate.

Tat’ána Rubášová, Jindřich Janíček: William & Merriwether auf wundersamer Expedition

Was uns langsam dämmert, ist in der tschechischen Graphic Novel „William & Merriwether auf wundersamer Expedition“ vor unbestimmter Zeit eingetreten: Die Postapokalypse währt schon lange, und alle Indizien, die die einstige Anwesenheit des Menschen bezeugen, sind Relikte einer untergegangenen Zivilisationen tief unter der Erde – obendrauf wächst längst neuer Wald. So oder zumindest so ähnlich stellt sich die Gegenwart den beiden Forschungsrobotern des Titels dar, die ausgezogen sind, die Welt außerhalb ihrer Stadtmauern zu erkunden, von der keiner ihrer Metallkollegen annimmt, dass sie überhaupt existiert. Die Spuren der Vergangenheit sind sie selbst, ebenso ihre von den amerikanischen Entdeckern William Clark und Meriwether Lewis abgeleiteten Namen, aber die beiden wissen weder etwas über ihre Erfinder noch von der menschlichen Kultur, der sie ihre Existenz verdanken. Und so trotten sie unbedarft durch Steppen und Wälder, überqueren Flüsse und durchschreiten Höhlen und liegen mit der Deutung der Artefakte, auf die sie dabei stoßen, immer eine Spur neben der Wahrheit. Das ist von überragender Komik, weil hinter den unaufdringlichen Gags stets die Melancholie einer verlorenen, unenträtselbaren Menschheitsgeschichte aufflammt. Auch die Ästhetik wirkt kontrolliert wie die Maschinen: Zeichner Jindřich Janíček operiert einzig mit grünen, blauen, gelben, weißen und schwarzen Farbtönen, es gibt keine Dialoge, und die Logbuch-Einträge befinden sich immer in Textkästen unterhalb der Bilder. Endlich mal ein Weltuntergang, in dem es sich gut aushalten lässt!

Tat’ána Rubášová, Jindřich Janíček: William & Merriwether auf wundersamer Expedition • Avant Verlag, Berlin 2025 • Softcover • 192 Seiten • 30 Euro

Luca Pozzi, Elisa Macellari: Loops

„Treffen sich ein Wissenschaftler und ein Künstler im Dschungel…“ Das ist nicht der Anfang eines Witzes, sondern die Ausgangslage des Sachcomics „Loops“ des italienischen Künstler*innenpaars Elisa Macellari und Lucas Pozzi. Darin flanieren letzterer und der italienische Physiker Carlo Rovelli im tropischen Regenwald in Laos und führen Gespräche über das Wesen und die Entwicklung der Wissenschaft. Anaximander, Kopernikus, Galilei sind ihre Stichwortgeber, die Neugier und der Wille, „die Komfortzone (zu) verlassen, in der wir uns eingerichtet haben“, ihr Antrieb. Die Themen sind gewaltig, reichen vom Urknall und der Frage nach der Existenz Gottes bis zur Bedeutung des ersten aufgezeichneten Signals einer Gravitationswelle. Sehr komplexer und trockener Stoff also, aber Zeichnerin Elisa Macellari hat beeindruckende Bildideen und -metaphern entwickelt, um die komplizierten Aussagen verständlich(er) ins Visuelle zu übertragen, sodass auch thematisch unbeleckte Laien wie ich zumindest eine Ahnung davon erhalten, worüber eigentlich gesprochen wird. Keine sprechenden Köpfe, stattdessen demonstrative Zeichenpoesie, für die allein sich dieser Spaziergang womöglich lohnen könnte.

Luca Pozzi, Elisa Macellari: Loops • Jaja Verlag, Berlin 2025 • 168 Seiten • Hardcover • 26 Euro

Sylvain Runberg, Alexis Tallone: Captain Future – Der ewige Herrscher

Der Retro-Zug macht Halt bei Captain Future: Nicht Edmond Hamiltons Storys aus dem in den 1940ern erschienenen gleichnamigen Pulp-Magazin, sondern natürlich der Anime-TV-Serie aus den späten 1970ern – hierzulande in den frühen Achtzigern in wilder Reihenfolge, gekürzt und mit eigenen Scores und neuem Theme vom ZDF versendet – verdankt man diese Wiederauferstehung als dickes frankobelgisches Album. Optisch ist man damit von der 80er-Comicheft-Schlonze des Bastei Verlags weit entfernt und übernimmt die TV-Serien-Ästhetik mit ein paar behutsamen originären Akzenten.

Inhaltlich setzt Szenarist Sylvain Runberg, der in den 2000er Jahren mit „Orbital“ immerhin eine der besten Euro-SF-Serien der Dekade geschrieben hat, auf Fan-Service, adaptiert den Roman „Der Sternenkaiser“ bzw. die ersten TV-Folgen, verändert hie und da die origin story und bleibt im üblichen Space-Opera-Sumpf. Multitalentiert, klasse aussehend und voll ungetrübter Technikbegeisterung fliegt der Captain mit seinem Team auf den Planeten Megara, um aufzuklären, was es mit der geheimnisvollen Seuche, die die Bewohner in rasende Monster verwandelt, auf sich hat. Nichts gegen zu sagen, wenn man damals vor dem Röhrenfernseher dem sense of wonder nachjagte und es eben nie aufhören soll.

Blamabel sind die Charakterveränderungen des einzigen weiblichen Crew-Mitglieds Joan Landor, die Runberg allem Anschein nach für eine zeitgemäße Modernisierung hält: Aus dem staunenden, Captain Future anhimmelnden love interest wurde nun eine „starke“ (gleichwohl man sie nie schwer heben sieht) Agentin, die nichts vom Medienstar Future hält und ständig an seinen Entscheidungen herummeckert. Da der immergute Captain aber stets recht behalten soll, reicht ihre Entwicklung weg von der aufblickenden Blondine gerade mal bis zur vorurteilszerfressenen Dauernörglerin, deren Fehleinschätzungen Futures heroische Unantastbarkeit nur bestätigen. Gegen diesen Fortschritt würde Trump nicht mal ein Dekret ansetzen.

Sylvain Runberg, Alexis Tallone: Captain Future. Der ewige Herrscher • Carlsen, Hamburg 2025 • 168 Seiten • Hardcover • 28 Euro

Christophe Bec: Inexistenzen

Ein im Vergleich zu „Captain Future“ interessanteres Spiel mit Retro-Bausteinen liefert der Franzose Christophe Bec, der sich über eine schlechte Auftragslage als Autor nicht beschweren kann. Seine Publikationsliste bewegt sich im höheren zweistelligen Bereich, und die Option zur Verlängerung ist in seinen epischen Serien immer eingebaut (bis hin zur erzählerischen Megalomanie, etwa bei der 25-bändigen Eso-Invasionsstory „Prometheus“, die mal als bescheidener Sechsteiler anfing). Nur selten greift er selbst zum Zeichenstift, beispielsweise für die atmosphärische Lovecraft-Hommage „Heiligtum“. Aber wenn dies geschieht, bleibt das Plot-Konzentrat unangetastet, und so ist auch „Inexistenzen“ eine 150-seitige Graphic Novel ohne Fransen und Abzweigungen. Im Postapokalypse-Setting tut sich nicht viel, ein paar Figuren durchforsten eine lebensfeindliche Welt aus Schnee und Eis, angetrieben von Gerüchten um einen letzten Zufluchtsort. Bec schwelgt meditativ in Atmosphäre, wechselt von Prosa- zu Comic-Sequenzen und zeigt ausgewalzt in großformatigen Bildern – drei Panoramaseiten sind sogar ausklappbar – den Verfall der Zivilisation. Und das erinnert in den besten Passagen durchaus an die Hochzeit des „Métal Hurlant“-Magazins (so auch der programmatische Titel eines Kapitels), in dem die jungen Wilden der französischen Comic-Elite unseren Blick auf die Science Fiction neu justierten und ihre verzweifelte Sicht auf die Welt in frei flottierende Bilder übertrugen. Weswegen auch der Schriftsteller, Schauspieler, Opern-Regisseur und Comic-Historiker Numa Sadoul im Vorwort konstatiert: „In unserer traurigen Epoche der geistigen Regression, der programmierten Verdummung der Gehirne, des Endes der Zivilisation, der klimatischen Umwälzungen, der Zerstörung der Natur und der anhaltenden Bedrohung durch die Gefahr einer allgemeinen nuklearen Auslöschung ist das Eintauchen in Christophe Becs ‚Inexistenzen‘ mit Sicherheit eine schöne Begleitung des finalen Flächenbrandes.“

Christophe Bec: Inexistenzen • Splitter Verlag, Bielefeld 2025 • 152 Seiten • Hardcover • 39,80 Euro

Ville Ranta: Wie ich Frankreich erobert habe

Ville Ranta ist derzeit der vermutlich bekannteste Karikaturist Finnlands. Das füllt die Kasse. Als Comiczeichner ist er auch auf dem französischen Markt seit zwei Jahrzehnten sehr präsent, aber der große Durchbruch blieb ihm verwehrt. „Wie ich Frankreich erobert habe“ ist nun sein Resümee dieser Erfahrungen, eine derbe, teils überaus lustige Satire auf den französischen Comicbetrieb mit vielen autobiographischen Noten. Manche der Figuren sind recht leicht zu dechiffrieren, wenn man mit ihrem Werk vertraut ist, etwa „Donjon“-Schöpfer und Komik-Mastermind Lewis Trondheim (mit dem Ranta 2006 ein Album realisierte, das sich als Türöffner in Frankreich erweisen sollte) oder der Hergé-Experte Benoit Mouchart. Es ist eine Geschichte über Eitelkeiten, Narzissten und Dampfplauderer, über vermeintliche Marktmechanismen, Machtspiele, künstlerische Integrität und den Umgang mit ausbleibendem Erfolg. It’s funny ‚cause it’s true. Sich selbst schont Ranta dabei nicht im Geringsten und zeigt, wie er die Jagd auf den großen Erfolg auch rüde über die eigene Familie stellt und recht unvermittelt nach Frankreich aufbricht, um endlich als sensibler Künstler die verdammt noch mal überfällige Anerkennung zu erhalten, statt beim Windeln wechseln zu verkümmern.

Ville Ranta: Wie ich Frankreich erobert habe • Reprodukt, Berlin 2025 • 164 Seiten • Hardcover • 20 Euro

Frederic Maupome, Wauter Mannaert: Quest Band 1: Die Dame vom See

Ein weiterer Beitrag zu Reprodukts Kinder- und Jugendcomic-Schiene: Frederic Maupome und Wauter Mannaert verlegen die Artus-Sage mit herrlicher Ironie in unsere Gegenwart, angereichert um Fish-out-of-Water- und dezente Paranoia-Images. Hauptfigur Pelli übernimmt die Fackel seines Großvaters und macht fortan Jagd auf „die Bestie“, wie es schon unzählige seiner Ahnen vor ihm taten. Erwischt hat sie indes noch niemand, und so erscheinen auch die Versuche des jungen bebrillten Außenseiters recht lust- und hilflos. Immerhin gelingt es ihm zu Beginn, an einem, so die Instruktion, „seltsam schönen See“, der sich als umgekippter, zugemüllter Tümpel entpuppt, eine Fee zu beschwören, um von ihr das sagenumwobene Schwert für die Jagd zu erhalten. Die haust schon lange in einem vergammelten Zelt samt Plastikstuhl davor. „Sollten Sie nicht im See wohnen und mit dem Schwert in der Hand heraussteigen?“ „Sehen Sie nicht in welchem Zustand der ist? Glauben Sie, man kann darin leben? Man sieht nicht weiter als 10 cm! Es gibt nicht mal mehr Fische, nichts! Also pfeif ich auf die Kulisse!“ Mit viel Überredungskunst kann sie sich Pelli anschließen, und ihre gemeinsame Quest – auf einem Motorroller statt zu Pferde und inklusive geheimdienstartigen brutalen Verfolgern, die all ihre magischen Spuren verwischen – ist auch ein steter reality check, wie wenig Anmut unsere ökologisch ausgedörrte, ökonomisch versaubeutelte Welt für ein veritables Fantasy-Setting noch bereithält.

Frederic Maupome, Wauter Mannaert: Quest Band 1: Die Dame vom See • Reprodukt, Berlin 2025 • 120 Seiten • Hardcover • 20 Euro

Frauke Berger, Boris Koch: Das Schiff der verlorenen Kinder Band 4: Das Ende der Welt

Frauke Bergers und Boris Kochs Serie „Das Schiff der verlorenen Kinder“ erzählt von der Odyssee einer Gruppe Kinder, die eines Morgens statt in ihrem gewohnten, wenn auch ganz und gar nicht harmonischen Zuhause auf einem unheimlichen Schiff im Nirgendwo aufwachen, wo sie sich gegen ziemlich garstige Monster erwehren und herausfinden müssen, was sie an diesen bizarren Ort verschlagen hat – ein erzählerisches und visuelles Kleinod, das zwischen Young Adult und Weird Fiction einer ganz originären Ästhetik frönt, die sich den beeindruckend vielfältigen Bilderwelten Frauke Bergers verdankt, der ungekrönten Königin der hiesigen Comic-Fantastik. 2023 wurde das über 500 Seiten fassende Werk mit dem Krefelder Preis für Fantastische Literatur ausgezeichnet und ist nun mit der Veröffentlichung des vierten Bandes abgeschlossen.

Frauke Berger, Boris Koch: Das Schiff der verlorenen Kinder Band 4: Das Ende der Welt • Splitter Verlag, Bielefeld 2025 • 136 Seiten • Hardcover • 22 Euro

Jean Dufaux, Jaime Calderon: Das Haus Usher

Cover und Titel mögen eine klassische Gothic-Novel-Stimmung versprechen, aber Szenarist Jean Dufaux und Zeichner Jaime Calderon verwenden Edgar Allan Poes Story nur als Gerüst und erlauben sich allerlei Abweichungen, die auch vor selbstreferentiellen Elementen nicht zurückschrecken. Das geht so weit, dass neben der Hauptfigur Damon Price, der wegen Spielschulden aus London ins Haus Usher mithilfe einer rätselhaften Kutsche vor seinen Gläubigern flieht, eine weitere installiert wird, nämlich Poe selbst, der auf der Suche nach Inspiration durch die Straßen und Pubs zieht und immer wieder mit der Entscheidung ringt, welches Schicksal er Price nun aufbürden soll. Zwar wird der Plot für dieses Meta-Spiel an manchen Stellen arg übers Knie gebrochen, aber das weiß die visuelle Ebene, die Lust am altmodischen Dekors wieder auszugleichen. Für den unmittelbaren Vergleich ist im Anhang außerdem noch Poes Kurzgeschichte abgedruckt.

Jean Dufaux, Jaime Calderon: Das Haus Usher • Splitter Verlag, Bielefeld 2025 • 72 Seiten • Hardcover • 19,80 Euro

Éric Corbeyran, Roy Allan Martinez: Tarzan bei den Affen

Mit „Das vergessene Land“ wurde im November der Startschuss einer frankobelgischen Konzeptreihe gegeben, die mittels wechselnder Kreativ-Teams und stets im Doppelalbenformat die berühmtesten Pulp-Werke von Edgar Rice Burroughs als Comics darbietet. „Tarzan bei den Affen“ präsentiert Lord Greystokes Anfänge und bleibt im Ton dicht am Original. Roy Allan Martinez‘ Stil weist Züge des amerikanischen Pragmatismus auf und erlangt in Schattenszenen hie und da einen expressionistischen Reiz, vor allem aber passt diese harte Ästhetik sowohl zu Tarzans brutalem Überlebenskampf im Dschungel als auch zu den Auswüchsen der Klassen- und Kolonialgesellschaft, denen er auf seinem Weg nach London begegnet. Der popkulturellen Geschichte und Bedeutung der Tarzan-Figur wird abermals im vom Pulp-Experten Patrice Louinet verfassten siebenseitigen Anhang nachgespürt.

Éric Corbeyran, Roy Allan Martinez: Tarzan bei den Affen • Splitter Verlag, Bielefeld 2025 • 120 Seiten • Hardcover • 25 Euro

XuDong Kai: 3 Body Problem Band 1

Wie bereits vor einigen Wochen auf dieser Seite angekündigt startete der Splitter Verlag im April mit dem Asien-Imprint Splitter Manga+. Unter den vier monatlichen Novitäten sei, weil für SF-Fans sicher am interessantesten, exemplarisch der Auftakt zu „3 Body Problem“ hervorgehoben.

Cixins Lius moderner Klassiker wird als zehnbändige Manhua-Serie adaptiert, in diesem Fall ein chinesischer Comic und deswegen im Gegensatz zu Manga komplett farbig und in westlicher Leserichtung angeordnet. Der erste Band bietet auf 180 Seiten kaum mehr als eine Exposition des Grundkonflikts in einem kühl aseptischen Stil, was sich im weiteren Verlauf womöglich noch zum Sujet fügen mag. Als Tanzpartner ist dieser Band viel zu geleckt.

XuDong Kai: 3 Body Problem Band 1 • Splitter Manga+, Bielefeld 2025 • 184 Seiten • Softcover • 16 Euro

Barbara Canepa, Anaïs Halard, Florent Sacré: Greenwood Band 1

„Greenwood“ ist ein Kindercomic der süßesten Sorte. Autorin Barbara Canepa erzählt von einer Gruppe junger sprechender Waldtiere aus dem titelgebenden Dörfchen – ein Fuchs, zwei Kaninchengeschwister, eine Fledermaus, sogar eine Spinne ist darunter –, die sich liebend gerne von den unheimlichen Geschichten der Einsiedler-Häsin Urania das Fürchten lehren lassen und ansonsten auf der Suche nach Zutaten für einen großen Backwettbewerb durchs Unterholz stromern. Die Zeichnungen erfolgen mit jedem Band von unterschiedlichen Zeichner*innen, und betrachtet man die märchenhafte Opulenz, mit der Florent Sacré in der Auftakt-Story auftrumpft, sollte verständlich sein, dass andernfalls die geplante halbjährliche Erscheinungsweise unmöglich zu stemmen wäre. „Greenwood“ will beiläufig für das Faszinosum Natur sensibilisieren und vertieft die Erzählung mit amüsanten Info-Seiten, die bspw. Knoblauch als Heilmittel oder den Aufbau einer Spinne erläutern.

Barbara Canepa, Anaïs Halard, Florent Sacré: Greenwood Band 1 • Toonfish, Bielefeld 2025 • 48 Seiten • Hardcover • 15,95 Euro

Alexander Braun: Black Comics. Vom Kolonialismus zum Black Panther

Ein gar nicht genug zu preisender Nebeneffekt des 2019 eröffneten kleinen Comicmuseums schauraum: comic + cartoon in Dortmund ist, dass die halbjährlich wechselnden Ausstellungen immer von einem voluminösen Katalog des Kurators Alexander Braun begleitet werden, der weit mehr zu bieten hat als einen kommentierten Abdruck der Exponate. Braun folgt in allen Publikationen einem soziohistorischen Ansatz, sieht genau hin, kontextualisiert die Werke in der gesellschaftlichen Kultur, der sie entstammen, und geht erst dann zur Analyse über, die mit kritikloser Schwelgerei nichts gemein hat. Über ein Dutzend Bücher, viele davon Standardwerke, sind so entstanden, und sowohl Output als auch Niveau sind in der hiesigen Comic-Publizistik einzigartig.

Auch der neueste Katalog der bis zum 11. Mai zu sehenden Ausstellung „Black Comics. Vom Kolonialismus zum Black Panther“ bildet da keine Ausnahme, nein, der Impetus wirkt aufklärerischer denn je. Braun spannt große Bögen von der Geschichte des Kolonialismus und der Sklaverei zu deren Niederschlag in den kulturellen Artefakten – sei es als unbewusstes kulturelles Erbe, Propaganda oder kritische Verarbeitung. Man erfährt viel über den Comic im Kongo, dem „Comic-Zentrum des afrikanischen Kontinents“, oder die schwarzen Protagonisten der Superhelden-Universen, gleichermaßen ist Braun aber auch redlich bemüht, identitätspolitische Diskurse und Verbotsforderungen der Gegenwart dialektisch am Material zu überprüfen, immer verbunden mit der Frage, inwiefern die heutige Meinungshegemonie und die daran gekoppelten gewandelten Rezeptionsmechanismen ahistorisch die Vergangenheit instrumentalisieren und dadurch auch schwarze Identitätsgeschichten zerstören. In puncto Sekundärliteratur wieder mal ein Jahrestipp, aber im Sommer wird ja noch die nächste Ausstellung folgen.

Alexander Braun: Black Comics. Vom Kolonialismus zum Black Panther • Panini, Stuttgart 2025 • 416 Seiten • Hardcover • 49 Euro

Diese Beiträge erschienen zuerst in der monatlichen Comic-Kolumne auf: DieZukunft.de

Sven Jachmann schreibt als freier Autor über Comic, Film und Literatur, ist Herausgeber und Chefredakteur der Magazine Comic.de und Filmgazette.de sowie Redakteur beim Splitter Verlag. Seit 2006 Beiträge u. a. in Konkret, Tagesspiegel, ND, Taz, Jungle World, Titanic, diezukunft.de, Testcard, kino-zeit.de, Das Viertel und vielen dahingeschiedenen Magazinen. Essays für zahlreiche Comic-Editionen und DVD-Mediabooks.