Dass die Comickünstlerin Seda Demiriz den Weltraum schon als Kind liebte, glaubt man sofort – denn immer wieder zeichnet sie in ihrem Comic „Betty Hill“ wunderschöne Sternenhimmel. Tiefschwarz sind sie und gesprenkelt mit ganz fein aufgetragenen größeren und kleineren weißen Punkten. Beim Ansehen dieser Bilder wird man buchstäblich in die Unendlichkeit des Alls hineingesogen.
Seda Demiriz: „So eine Begegnung der dritten Art, das können nur wenige Leute von sich behaupten, dass sie so etwas erlebt haben. Aber es gibt andere Erfahrungen, die man macht, die man teilt und einem wird nicht geglaubt oder man wird verspottet oder so was.“
Die Geschichte von Betty Hill gibt es wirklich: Anfang der 60er Jahre beobachten Betty und ihr Mann Barney Hill während einer Autofahrt ein leuchtendes Flugobjekt. Seda Demiriz zeichnet auf, was Betty Hill darüber erzählt hat: wie sie dem seltsamen Flugobjekt zuwinkt, wie ihr Mann plötzlich auf einen Waldweg abbiegt und wie beide seltsame Wesen auf einer Lichtung sehen. Dann reißt die Erinnerung bei Betty Hill erst mal ab.Erzählen in Kontrasten
Seda Demiriz gestaltet all das fast ausschließlich in sattem Schwarz auf strahlendem Weiß. „Betty Hill“ ist eine Seminararbeit, die Zeichnerin will damit ausprobieren, wie man nur mit Kontrasten erzählen kann.
„Das ist wie Null und eins, man hat nur schwarz und weiß, was auch wirklich den Schwierigkeitsgrad erhöht, als dass es einfacher ist, wie ich dachte. Aber das habe ich dann auch durchgezogen.“
Das Erstaunliche an diesem Comic: Nicht die Entführung durch die Außerirdischen wird hier als beängstigend dargestellt, sondern das, was danach kommt: die Befragungen durch die staatlichen Stellen, die das Flugobjekt offenbar selbst auf dem Radarschirm sahen. Vor allem aber die Schlafstörungen und psychischen Probleme, die die Hills nach ihrem Erlebnis haben. Barney Hill wird sogar richtig krank davon. Seda Demiriz zeichnet all das auch deshalb in Schwarz-Weiß, weil es gut zu der Geschichte passt. Und weil Betty Hill weiß ist – und ihr Mann Barney schwarz.
„Zu der Zeit, wo die Geschichte spielt, ist es ja sehr ungewöhnlich, dafür könnte das stehen. Oder auch: Glaubt man Betty oder glaubt man ihr nicht? Man könnte ein paar Parallelen finden, warum das nur schwarz oder nur weiß ist.“
Jenseits von Horrorklischees
Seit den 60er Jahren werden Entführungen durch Außerirdische vor allem im Horrorgenre verarbeitet. Doch Seda Demiriz erzählt die Geschichte ganz ohne grelle Horroreffekte, vielmehr macht sie aus dem Stoff eine Parabel über das Unbehagen vor dem Unerklärlichen und dem Fremden. Haben die Hills psychische Probleme, weil sie von Außerirdischen entführt wurden – oder glauben sie, dass sie von Außerirdischen entführt wurden, weil sie psychische Probleme haben? Diese Frage beantwortet Seda Demiriz in ihrem Comic nicht. Ihre Beantwortung gelingt auch nicht dem Psychiater, der die Hills untersucht hat und den Demiriz zitiert.
„Eine der Theorien, war, dass sie einen Rassenkonflikt aufarbeiten. Ich selbst hab das jetzt aber weniger auf eine ethnische Fremdheit bezogen. Was ich aber schon fand, dass man das auf so eine Lebenserfahrung beziehen kann, dass man etwas erlebt, was man sich selbst nicht erklären kann oder mit einer Erfahrung alleine dasteht.“Zugleich verarbeitet der Comic auch ein Interview, das der Radiojournalist und Emmy-Preisträger John Horrigan mit der damals 80 Jahre alten Betty Hill geführt hat. Der Videomittschnitt wurde im Internet veröffentlicht.
„Das fand ich auch sehr unterhaltsam und auch sehr witzig, sie hat auch einen Humor, der sehr cool ist und ich glaube, das hat mich dann auch so gepackt, wie sie die Geschichte erzählt, fast 40 Jahre danach: Sie erzählt das sehr ernst, was sie da erlebt hat, aber sie kann dem auch eine Portion Humor abringen. Und das habe ich auch versucht, in den Comic mit rein zu bringen.“
Das maximal Fremde
Die Erfahrung mit den Außerirdischen habe ihr Leben bereichert, erzählt Betty Hill in diesem Interview. Die letzten Bilder des Comics von Seda Demiriz bilden diese positive Einsicht ab. Sie sind sehr hell. Betty Hill sitzt gemütlich als alte Frau mit Katze im Lehnstuhl und lächelt. Offenbar kann eine Begegnung mit dem maximal Fremden auch ins eigene Leben integriert werden – und glücklich machen.
Dieser Text erschien zuerst am 28.02.2019 in: Deutschlandfunk
Andrea Heinze arbeitet als Kulturjournalistin u. a. für kulturradio rbb, BR, SWR, Deutschlandfunk und MDR.