Ein produktives Missverständnis – „In China“

„In die Vergangenheit zurückschauend fühlen wir uns stolz. Auf die Zukunft blickend sind wir voller Leidenschaft. Shangsheng Sports betritt die Bühne mit dem Traum und ruft mit Zuversicht an die Welt.“ Den Hamburger Comiczeichner Sascha Hommer hat es nach China verschlagen. 2011 verbringt er vier Monate in Chengdu, der Hauptstadt der Provinz Sichuan, wo er seinem Freund Karl und dessen Frau Linda bei der Produktion des einzigen englischsprachigen Stadtmagazins „Citylife“ aushilft. Um sich über Wasser zu halten spricht er Werbetexte für Shangsheng Sports und andere Firmen ein, Texte, die durch „zertifizierte Übersetzer“ erstellt wurden: „Die Sport­industrie wird wegen Shangsheng Sports viel wunderschöner!“

Diese „zertifizierten Übersetzungen“ stehen mit ihren schiefen Bildern und einer immer leicht am Sinn vorbeistolpernden Sprache spiegelbildlich für das Anliegen Hommers, die kulturellen Missverständnisse, die sich in der Annäherung an das Fremde ergeben können, in den Mittelpunkt zu stellen, das Produktive und auch Kreative der Differenz. „Ich glaube, dass es in meinen Büchern immer um die Frage nach der Identität geht und um eine Infragestellung der subjektiven Wahrnehmung“, hat er in einem Interview erklärt.

Sascha Hommer (Autor und Zeichner): „In China“.
Reprodukt, Berlin 2016. 176 Seiten. 20 Euro

Sein Blick auf Chengdu ist geprägt von Erwartungen, Projektionen und Missverständnissen, wobei die Stadt selbst in den Zeichnungen in den Hintergrund rückt. Hommer versucht gar nicht, die Millionenstadt realistisch abzubilden, seinen westlichen Lesern ein vermeintlich authentisches Bild Chinas vorzusetzen, stattdessen fokussiert er auf die zwischenmenschlichen Begegnungen, die seine Zeit dort geprägt haben.

Sein Alter Ego trägt eine Katzenmaske, markiert ihn für alle erkennbar als Fremden in der Stadt, dem sein Status jedoch auch einen gewissen Schutz verspricht. Seine Identität als Deutscher bleibt hinter ihr verborgen und doch verweist die Verkleidung stets auf das, was hinter ihr steckt. Und so irrt Hommer als Fremder durch eine Stadt mit 14 Millionen Einwohnern und einem Kulturangebot wie Tübingen.

Auf seine Reise hat sich Sascha Hommer gut vorbereitet, sein theoretisches und literarisches Rüstzeug reicht dabei von Claude Lévi-Straus‘ „Traurige Tropen“ bis zu Hergés „Der blaue Lotos“. Bücher, die wie „Traurige Tropen“ einerseits Fragen der Annäherung an das kulturell Fremde beschreiben, die Grenzen und Stolpersteine solcher Begegnungen, und andererseits wie „Der blaue Lotos“ diese Annäherung scheinbar konfliktfrei vollziehen, hinter den Kulissen jedoch voller Projektionen und Stereotype stecken.

„Hast du nicht das Gefühl, der Barkeeper bemüht sich angestrengt, den Wilden zu spielen, den wir, wie er glaubt, von ihm erwarten?“, fragt in seinem Buch „Forschungsbericht“ Hubert Fichte seine mitreisende Lebensgefährtin. Der Hamburger Schriftsteller Fichte hat im bisherigen Werk Sascha Hommers immer mal wieder Gastauftritte gehabt; hier formuliert er auch jene Frage, die sich unterschwellig durch „In China“ zieht: Welche Blicke wirft man auf ein fremdes Land, auf die dort lebenden Menschen und ihre Kultur, ihren Alltag, und welche Blicke werden zurückgeworfen?

Seite aus „In China“ (Reprodukt)

„Ich habe mir dich ganz anders vorgestellt. Bist du auch wirklich Deutscher?“, wird Hommer von einer potentiellen Mitbewohnerin mit diesem Blick auf ihn als Westeuropäer konfrontiert. Anderswo inszeniert er seine eigenen Schwierigkeiten, die Perspektive des Touristen vollends abzustreifen. Nach seinem Eindruck von Chengdu befragt, antwortet er: „Es gibt sehr viel Niederschlag und sehr viele Baustellen. Der Verkehr ist krass, das ­Essen finde ich toll. Aber das sind ja nur Klischees. Sicher haben Sie als Einheimische einen ganz anderen Blick auf die Stadt.“ „Aber nein“, antwortet Frau Yun, „ich bin nämlich auch nicht von hier, sondern aus Shanxi.“

Hommers langsam erzählter, schwarzweißer Comic versteht es, die Verwirrtheit des Protagonisten in Graustufen zu übertragen, die ihn ein ums andere Mal zu verschlucken drohen. Orientierung findet er in den Büchern, die den Comic strukturieren, ein bis zwei Titel sind jedem Kapitel vorangestellt. Sie bilden, neben dem täglichen Erleben, die Basis dessen, was und wie erzählt wird.

Das Ankommen in der Fremde orientiert sich beispielsweise an „Die Kunst des Krieges“ von Sunzi, die Stadt wird als feindliche Umwelt gezeichnet, überfüllte Straßen, graue Hauswände, Regen. Es braucht eine Überlebensstrategie, und diese findet sich wie so oft in Büchern, die in Bilder von altchinesischen Kriegern übersetzt werden. Anderswo ist es Lao Shes Roman „Die Stadt der Katzen“, der mit Hommers Blick auf das Land verschmilzt, Hergés „Der blaue Lotos“ wird neu interpretiert und mit Lévi-Straus diese Interpretation als Projektion entlarvt.

Es ist ein Spiel mit dem Eigenen und dem Fremden, das Hommer vollzieht, und das im Comic eine Symbiose eingeht. Kultur, so zeigt er, ist ein komplexes, fortlaufendes Verhandeln. Sie bietet Platz für Differenz ohne Hierarchisierungen, für produktive Missverständnisse und neue Blicke auf das Fremde wie auch sich selbst.

Dieser Text erschien zuerst auf: Goethe.de

Jonas Engelmann ist studierter Literaturwissenschaftler, ungelernter Lektor und freier Journalist. Er hat über „Gesellschaftsbilder im Comic“ promoviert, schreibt über Filme, Musik, Literatur, Feminismus, jüdische Identität und Luftmenschen für Jungle World, Konkret, Zonic, Missy Magazine und andere, ist Mitinhaber des Ventil Verlags und Co-Herausgeber des testcard-Magazins.

Seite aus „In China“ (Reprodukt)