Plötzlich herrscht heilloses Chaos: Experten schreien einander schrill an, Kameraleute führen einen Eiertanz auf, im Schaltraum herrscht Verzweiflung, im Studio allgemeiner Tumult. Die ins Fernsehbild eingeblendeten Infos, die Menschenleben retten sollen, stimmen schon lange nicht mehr. Jeder weiß es am besten und allemal besser als der andere – aber keiner, wie es wirklich ist. Eine Gesellschaft in Auflösung und Selbstzerfleischung. Panik. Wenn nicht mal mehr die Medien wissen, was Phase ist – wer dann?
Der Einstieg, den George A. Romero für seinen Apokalypsen-Zombieklassiker „Dawn of the Dead“ (1978) wählte, ist legendär – legendär effektiv, legendär genial. Es geht buchstäblich in medias res und völlig klar ist: Nichts ist mehr, wie es war. Alles vor dem Weltuntergang ist vielleicht noch Material für nostalgische Referenzen, aber gewiss keine Gegenwart mehr. Es geht nur noch um eines: blankes Gehetztsein, immer nur weiter – kein Plan, kein Ziel, kein Fluchtpunkt, der Erlösung verspricht. Überleben in Permanenz. Die Gesellschaft ist nicht mehr.
Wer im achten Monat der Corona-Pandemie diese Szenen sieht, erlebt in den ersten Minuten, bei diesem eskalierenden Infarkt der Medienkultur, ein produktiv irritierendes Déjà-vu. Oder zumindest ein Déjà-vu der Vorahnung dessen, wovon wir einst ausgingen. Oder was vielleicht doch noch kommt. Klar ist einzig: „Dawn of the Dead“, dieses großartige Meisterwerk des amerikanischen Independentfilms der 70er-Jahre, ist weiterhin brandaktuell.Es bleibt nicht bei diesem einen Déjà-Vu: Das klaustrophobische Belagerungssetting seines stilbildenden „Night of the Living Dead“ (1968) denkt Romero weiter zum adrenalinsatten Lockdown-Actionfilm. In „Night“ verbarrikadierte sich eine durch blanken Zufall zusammengewürfelte Gruppe noch in einem Landhaus vor dem Ansturm der lebenden Toten, die sich auf der Suche nach Gedärm aus den Gräbern erhoben haben. In „Dawn“ ist es eine Shopping Mall, die jeglichen Komfort des Konsumkapitalismus der 70er bietet. Eingesperrt sein mit Menschen, die man immer weniger mag, umstellt von stapelweise Vorräten, während draußen der Tod anklopft – Erinnerungen an den Prepper-März 2020 werden wach.
Romero, Modernisierer und linksliberales Gewissen des Horrorkinos, mag bei seiner Konsumkritik den Holzhammer schwingen. In ihrer allegorischen Kraft aber sind die ausgiebigen, hart am Rande des Slapstick-Klamauk siedelnden Szenen, in denen Zombies wie hirntote Kunden durch die Tristesse des Shopping-Kapitalismus wanken, allemal schlagend.
Darunter freilich finden sich auch differenziertere, melancholischere Töne: Die Zombies bilden letztlich nur das szenarische Hintergrundrauschen, eine anonyme Masse, etwas, was nicht bewusst agiert, aber durch schiere Präsenz die Karten neu mischt, die Bedingungen diktiert, unter denen Leben möglich ist oder zur Unmöglichkeit wird. Der eigentliche Horror steckt in den Unzulänglichkeiten der Lebenden: Gier, Egoismus und die Unfähigkeit zur Erkenntnis der eigenen Lage führen zu immer neuen Katastrophen. Die Schicksalsgemeinschaft im Kaufhaus pflegt den Ennui in einem Wohlstandskerker, von draußen drängen Rockerbanden als anarchische Kraft ins Innere der wohlsituierten Welt. Ein Übereinkommen ist nicht möglich, im Sturm auf die Bastille des Wohlstands ist für die Lebenden auf keiner Seite etwas gewonnen. Die Untoten stürmen ein ins Allerheiligste. Dystopische Utopie der Untoten: Nur ihre Gemeinschaft bildet erstmals auf dem Globus eine Gesellschaft vollkommener Egalität.
Die blutigen Splattereffekte stammen von Tom Savini, legendärer Meister seines Fachs. In Vietnam war er Frontfotograf. Dass er mit seinen Effekten seine Traumata exorziert, glaubt man ihm gerne. Romeros Affekt-Inszenierung zielt auf grimmige Katharsis – ein Zombiekopf, ein Schuss, ein Treffer – oder grimmige Verzweiflung: In einer Szene erschießt Ken Foree in der Rolle des Söldners Peter zwei zombifizierte Kinder. In der Presse wurde ihm diese Szene einst zum Vorwurf gemacht. Dass er schwarz ist und von allen Figuren noch am ehesten eine positive Bezugsfigur, mag an solchen Vorbehalten auch seinen Anteil gehabt haben. Der Gestus aber, der aus solchen Szenen spricht – an einer tödlichen Krise gibt es nichts zu beschönigen, wie man auch vom Affekt einer solchen Situation nur ansatzweise etwas versteht, wenn man den als triumphal empfundenen Zivilisierungsschwund nur auf Distanz hält -, dieser Gestus also brachte „Dawn of the Dead“ in Deutschland, wo der Film bei seiner Erstauswertung einst immens Publikum zog, ein staatsanwaltschaftlich durchgesetztes Totalverbot nach STGB §131 (Gewaltverherrlichung) ein.Mittlerweile ist diese Intervention der Sittenwächter vom Tisch und der Blick auf diesen fulminanten Beitrag zur Geschichte eines linken, zornigen Genrekinos wieder frei. In den USA gilt er eh als Meisterwerk, inspirierte Erfolgsserien wie „The Walking Dead“ und im Jahr 2004 ein ungleich brutaleres Remake, das hierzulande ohne weiteres ungeschnitten im Kino lief.
Dass immer wieder neue Generationen von Fans diesen Film wiederentdecken und in den Pantheon heben, spricht für sich bzw. ihn. Er bleibt auch weiterhin zeitlos: „Dawn of the Dead“, das ist der passende Film zu einer chaotischen Gegenwart im Zeichen von Coronakrise, Klimawandel und einem in Hysterie versinkenden US-Wahlkampf. Dass man ihn in diesem gottvermaledeiten Jahr am höchsten Feiertag der Untoten, an Halloween, wieder im Kino sehen und zelebrieren kann, das passt wie Kugel durch Zombiekopf.
Diese Kritik erschien zuerst am 29.10.2020 auf: perlentaucher.de
Dawn of the Dead
USA 1979
Regie: George A. Romero; Buch: George A. Romero; Kamera: Michael Gornick; Schnitt: George A. Romero, Dario Argento; Musik: Goblin; Darsteller: David Emge, Ken Foree, Scott H. Reiniger, Gaylen Ross, Tom Savini u. a. Verleih: Koch Films; Länge: 110 Minuten
Thomas Groh, Jahrgang 1978, lebt seit 1997 in Berlin, ist Redakteur bei Deutschlandfunk Kultur und schreibt u. a. für die taz, den Tagesspiegel, den Perlentaucher und weitere Medien über Filme. Im Netz anzutreffen ist er in seinem Blog und auf Twitter.