Adaptionen können den Stoff ins andere Medium kopieren, ihn aktualisieren oder ihn auch ganz neu interpretieren. Während die „Werktreue“ lange als höchstes Gut galt, wenn ein Roman als Film oder Comic umgesetzt wurde, besteht inzwischen auch dank eines neuen Verständnisses von Originalität die weitgehende Einigkeit, dass ein kreativer Umgang mit dem Ursprungswerk sehr produktiv sein kann.
Bei „Dracula“ und „Dune“ kommt aber noch ein weiterer Aspekt hinzu: In beiden Fällen hat die Tradierung des Stoffes das Original fast zum Verschwinden gebracht, weil die Verfilmungen wesentlich präsenter sein dürften als die literarischen Vorlagen: Während der Roman des irischen Autors Bram Stoker aus dem Jahr 1897 heute bestenfalls in Anglistikseminaren gelesen wird, ist der Stoff durch die zahllosen Verfilmungen, vor allem diejenige von Francis Ford Coppola 1992, präsent geblieben.
Der Science-Fiction-Roman „Dune“ (1965) des amerikanischen Autors Frank Herbert, ein Genreschriftsteller wie auch Bram Stoker, war Herberts erster und zeitlebens größter Bucherfolg, ganz wie Bram Stokers „Dracula“, der den Erfolg seines Romans gar nicht mehr erlebte. Die „Dune“-Verfilmung von 1984 durch David Lynch („Twin Peaks“, „Lost Highway“) hat eine ganz eigene Geschichte und wird sehr kontrovers bewertet.So müssen „Dracula“ wie „Dune“ sich mit einem doppelten Erbe auseinandersetzen und sich irgendwo zwischen den schon besetzten Stühlen einfinden: rechts das literarische Original, links die populäre Film-Adaption, während aus dem Hintergrund das popkulturelle Rauschen der weitergehenden Überlieferung ertönt. Keine leichte Aufgabe. Äpfel und Birnen. Überall.
Die Äpfel von Dune
„Dune“ ist die Geschichte des Herrschergeschlechts Atreides, deren Dynastie die Herrschaft der Harkonnen auf dem wasserarmen Planeten Arrakis nachfolgt. Der Herzog Leto, dessen Konkubine Jessica und deren gemeinsamer Sohn Paul entdecken nach und nach den gefahrvollen Wüstenplaneten und müssen sich nicht vor den widrigen Umweltbedingungen, sondern auch vor den Sandwürmern und den Intrigen der Harkonnen in Acht nehmen. Denn Arrakis, der den wertvollen Rohstoff „Spice“ birgt, ist äußerst gefragt. Sehr rasch wird die besondere Rolle offenbar, die dem jungen Paul, dem Helden von Film, Buch und Comic, zukommt: Die Wüstenbewohner, die Fremen, erkennen in ihm den Erlöser ihres Volkes, und als solcher verfügt er über besonderes Wissen, das er mit den Leser*innen und Zuschauer*innen erst allmählich teilt.
Die Handlung der auf drei Bände angelegten Comic-Reihe entspricht etwa dem ersten der drei von Frank Herbert ursprünglich publizierten Romane (1965, 1969 und 1976). Der Erfolg ließ Herbert drei weitere Fortsetzungen schreiben (1982-85), und auch nach dessen Tod 1986 erschienen zahlreiche von seinem Sohn Brian Herbert zusammen mit Kevin J. Anderson verfasste „Dune“-Romane, zuletzt „Die Navigatoren des Wüstenplaneten“ (2017).
Während David Lynch sich in seiner Verfilmung zahlreiche erzählerische Freiheiten erlaubte, hält der Comic sich größtenteils an das literarische Vorbild, auch in der visuellen Gestaltung knüpft der Comic nicht allzu eng an den Film an. Die unwirtliche Optik des Wüstenplaneten kommt in der glatten, flächigen und eher pragmatischen Visualisierung von Raul Allen und Patricia Martin, ganz anders als auf dem Cover von Bill Sienkiewicz, nicht zur Geltung. Der Faszination der Geschichte ist dies aber ganz und gar nicht abträglich.Es ist wie mit Frank Herberts Stil, der den Erfolg nicht verhinderte, aber auch nicht dazu beitrug, „Dune“ zu einem sprachlichen Meisterwerk zu machen. Der Erfolg von „Dune“ basiert auf der plausiblen Gestaltung einer komplexen Science-Fiction-Welt, in der Magie und Technologie nebeneinander bestehen. „Dune“ zieht die Leser*innen in seine fremde Welt und konfrontiert sie dort mit sozialen, politischen, moralischen und spirituellen Fragen. Gute Science Fiction eben.
Draculas Birnen
„Dracula“ von Georges Bess könnte grafisch keinen stärkeren Kontrast zu der so farbenprächtigen wie stricharmen Welt von „Dune“ darstellen. Das Art-Decó-Cover führt die Leser*innen nicht nur in die Entstehungszeit des Romans, die Jahrhundertwende, sondern auch in den ornamental-verspielten Stil von Georges Bess ein, der auf Farben völlig verzichtet, durch dessen feine Strichzeichnungen aber das Böse dieser Welt durchschimmert.
Wie bei dem Postkartenkitsch Alfons Maria Muchas geraten die Haare, die Baumwurzeln, die Wolken zum alles beherrschenden Dekor. Ganz im Sinne der Jugendstilästhetik um 1900 sind viele Elemente zentriert angeordnet, sodass die Panels erst im Kontext der Seite oder Doppelseite ihre ganze Wirkung entfalten. Keine Frage: „Dracula“ ist noch nie, noch nicht einmal von Mike Mignola, so schön in Szene gesetzt worden wie hier.
Der Graf Dracula ist ein brutaler Machtmensch (hier schreibt Andrea Heinze über den finsteren Fürsten) und ein starker Kontrast zum Ideal des guten Herrschers Leto in „Dune“, der keine Gelegenheit auslässt, um das Richtige zu tun. Dracula ist das personifizierte Böse und schüchtert die Menschen ein, sobald sie nur dessen Namen hören. Er übt Macht aus: mit Worten, mit Taten, mit Gewalt. Sein Handwerkszeug ist die Angst.Als der britische Anwalt Jonathan Harker in Siebenbürgen ankommt, um mit dem Immobilienkäufer Dracula über verschiedene Optionen zu verhandeln, lernt er zunächst die furchtsame Bevölkerung kennen. Angst ist ansteckend, und so lässt auch der junge Mann sich immer mehr von der unheimlichen Umgebung einschüchtern. Es mehren sich die Zeichen, dass mit dem Schlossbesitzer irgendetwas im Argen liegt, und wir wissen natürlich längst, was Harker bevorsteht.
In 16 Kapiteln schildert Bess die Erfahrungen Harkers mit dem Fürsten der Finsternis und dessen Kampf mit dem berühmten Vampirjäger van Helsing. Während Mike Mignolas bildgewaltiger „Dracula“ sich sehr eng an Coppolas Film von 1991 orientiert, folgt der „Dracula“ von Bess (zuerst frz. bei Glénat im Oktober 2019) brav den Pfaden des Briefromans. Bess hat als Zeichner zusammen mit dem Autor Alejandro Jodorowsky (auch der hatte sich übrigens mal als Regisseur an „Dune“ versucht) unter anderem für „Der weiße Lama“ (1988-96, dt. bei Splitter 2015), „Juan Solo“ (dt. 2008 bei Splitter) und die ausschweifend-provozierende Parodie „Anibal 5“ (dt. 2018 bei Schreiber & Leser) zusammengearbeitet.
Äpfel und Birnen
Nun, auf Arrakis werden wohl keine Pink Ladys wachsen, und Dracula hat mit dem Fruchtfleisch von Birnen noch nie etwas anfangen können, aber das soll niemanden daran hindern, Äpfel mit Birnen bzw. „Dracula“ mit „Dune“ zu vergleichen. Gemeinsam ist beiden Comics, dass man sie lesen sollte. Die beiden Fortsetzungen von „Dune“ werden in den USA von Abrams übrigens für 2022 und 2023 angekündigt. Das ist doch genug Zeit, um die Romane von Bram Stoker und Frank Herbert noch einmal zu lesen.
Gerrit Lungershausen, geboren 1979 als Gerrit Lembke, hat in Kiel Literatur- und Medienwissenschaften studiert und wurde 2016 promoviert. Er hat Bücher über Walter Moers, Actionkino und den Deutschen Buchpreis herausgegeben. 2014 hat er zusammen mit anderen das e-Journal Closure gegründet und ist bis heute Mitherausgeber. Derzeit lebt er in Mainz und schreibt für Comicgate und die Comixene. An der TU Hamburg-Harburg unterrichtet er Comic-Forschung.