Chronist des Krieges

© Pandora Film

Der Krieg in Angola ist ein Alptraum aus blutroter Farbe und höllischer Hitze. Im Jahre 1975, wenige Wochen vor der Unabhängigkeitserklärung am 11. November, befindet sich der polnische Journalist und Kriegsreporter Ryszard Kapuściński inmitten des Chaos von Luanda: Die portugiesischen Kolonialherren verlassen das südafrikanische Land und in das dadurch entstehende Machtvakuum stoßen die stellvertretenden Kräfte des Kalten Krieges. Verschiedene Befreiungsbewegungen liefern sich einen unerbittlichen Krieg um das an Bodenschätzen reiche Land, während die Bevölkerung flieht. Dagegen und wider alle Vernunft will Kapuściński noch tiefer in den Krieg eintauchen, an dessen Front im weit entfernten Süden nur noch Anarchie und Gewalt herrschen.

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Raúl de la Fuente und Damian Nenow portraitieren in ihrem animierten Doku-Kriegsdrama „Another day of life“ den berühmten polnischen Schriftsteller zunächst als unerschrockenen Abenteurer, der keine Gefahren scheut, um als Chronist des Krieges ein möglichst authentische Bild der Ereignisse zu zeichnen. Ihre Adaption von Ryszard Kapuścińskis gleichnamiger Reportage ist ein schillernder filmischer Hybrid. In ihm verbindet sich die Ich-Erzählung des Autors aus dem Off mit den Erinnerungen von Zeitzeugen. Dabei wechseln sich Animations- und Realfilm ab, werden gezeichnete Kriegsszenarien immer wieder nahtlos und sehr organisch von dokumentarischen Bildern abgelöst. Diese erzeugen eine Distanz zu den Kriegsgräueln und erweitern im persönlichen, aus der Rückschau formulierten Zeugnis zugleich die historische Perspektive.

Auch der zunächst sensationshungrig erscheinende Reporter, der einmal von sich sagt, dass ihn der Krieg sozialisiert habe und er deshalb nicht mehr von ihm loskomme, gewinnt durch dieses ästhetische Verfahren allmählich zunehmende Facetten. In den farbigen, actiongeladenen und von surrealen Alpträumen unterbrochenen Kriegsszenen ist Kapuściński einerseits der Held, der die Erinnerungen an den Krieg wachhalten und seine Begegnungen mit Menschen dokumentieren möchte, damit diese nicht vergessen werden. Andererseits wird er zunehmend mit seiner ethischen Verantwortung als Journalist konfrontiert: Inwieweit gefährdet seine gefährliche Mission Menschenleben? Beeinflusst die Anwesenheit der Presse etwa den Kriegsverlauf? Im taktischen Gefüge des Kriegs und gewissermaßen im Zentrum eines historischen Augenblicks entscheidet sich der Berichterstatter schließlich sowohl gegen sein Ego als auch gegen die Pflicht des Chronisten.

„Another Day of Life“ ist am 27.05.2021 um 23:35 Uhr auf Arte zu sehen und bis zum 02.06.2021 in der Mediathek verfügbar.

Another Day of Life
Spanien, Belgien, Polen 2018

Regie: Raul de la Fuente, Damian Nenow – Drehbuch: Raul de la Fuente, Amaia Remirez, Niall Johnson, David Weber – Produktion: Amaia Remirez, Jarek Sawko, Jaroslaw Sawko, Ole Wendorff-Østergaard – Musik: Mikel Salas – Kinostart (D): 04.04.2019 – 85 Min. – FSK: ab 12

Wolfgang Nierlin, geboren 1965. Studium der Germanistik, Philosophie und Psychologie in Heidelberg. Gedichtveröffentlichungen in den Zeitschriften metamorphosen und Van Goghs Ohr. Schreibt Film- und Literaturbesprechungen für Zeitungen (Rhein-Neckar-Zeitung, Mannheimer Morgen u. a.) sowie Fachzeitschriften (Filmbulletin, Filmgazette u. a.). Langjährige Mitarbeit im Programmrat des Heidelberger kommunalen Karlstorkinos.