Der König und sein Keller

Die Pykkten, ein aggressives Volk aus den Tiefen des wilden Weltraums, kämpften einst gegen die Bevölkerung des Planeten Rann, um nun auch die Erde anzugreifen. In beiden Kriegen stand Adam Strange auf der guten Seite der Macht, sofern man seinem offensiven Selbstmarketing Glauben schenken möchte. „Hi, ich bin Adam. Soll ich ihre Ausgabe signieren?“ Anlass zum Zweifel gibt es durchaus.

Im Rahmen einer Signierstunde für sein neues Buch wird dieser von einem fremden Mann beschuldigt, den Pykkten „etwas“ angetan zu haben. Wenn er sich als Held feiern lasse, sei er ein „Lügner“. Als dieser Mann kurz darauf gewaltsam stirbt, gerät der heroische Nationalheld ins Visier einer zweifelnden Öffentlichkeit.

Tom King (Autor), Mitch Gerads, Evan Shaner (Zeichner): „Strange Adventures“, Bd. 1.
Panini, Stuttgart 2021. 196 Seiten. 21 Euro.

Strange sucht nun Batman auf, um (vordergründig) die öffentlich kursierenden Anschuldigungen zu untersuchen und (hintergründig) seinen Namen reinzuwaschen: „Du bist der weltbeste Detektiv. Ermittle in diesem Fall. Über mich. Und halt dich in keiner Weise zurück.“ Batman aber lehnt aus Befangenheit ab und überträgt die Ermittlungen an Michael Holt alias Mr. Terrific. Das macht die Sache natürlich komplizierter.

Mister Terrific, Symbolfigur einer übersteigerten Leistungsethik und DC-Superheld aus den hintersten Schubladen des Verlagsarchivs, ermittelt so redlich wie gründlich und stößt auf unerwartete Widerstände. Irgendetwas scheint mit dem gefeierten Globalhelden nicht zu stimmen. Die offizielle Geschichte um seine Heldentaten zeigt Leerstellen, die bislang von niemandem wahrgenommen wurden. Tom King hat Leichen im Keller von Adam Strange versteckt.

Was sind Helden eigentlich anderes als die fleischgewordenen Kollektivträume einer hilf-, halt- oder hoffnungslosen Gesellschaft, die im heroischen Handeln einzelner die Grenzen überschritten sieht, deren Übertretung ihnen selbst nicht möglich ist? Vielen Helden ist von Anfang an ein leiser Zweifel an ihrer rechtlichen, ethischen, politischen oder sozialen Legitimität eingeschrieben. Helden sollte man ebenso bewundern wie fürchten. Frank Miller („The Dark Knight Returns“) und Alan Moore („Watchmen“, „V for Vendetta“) haben in den 1980er Jahren erheblich dazu beigetragen, Comic-Helden mit kritischer Distanz zu begegnen. Und Jeff Lemires populäres Hammerverse ist letztlich ein traditionsbewusstes wie unterhaltsames Resultat der Entzauberung strahlender Helden. Das Cover von „Strange Adventures“ zeigt ein Porträt-Hüftbild des Helden bzw. „Helden“, das in zwei Hälften zerfällt: eine saubere, glatte Seite rechts – eine schmutzige, raue Seite links. Sogar haptisch ist der Unterschied dank spezieller Beschichtung spürbar. Die Vorwürfe, die ihm gegenüber erhoben werden, wiegen schwer.

Mister Terrific resümiert das Ansehen von Adam Strange anschaulich: „Er lächelt von der Brotdose jedes Erstklässlers.“ Er hat sich sein Leben um die repetitiven Rituale eines Promi-Daseins herum eingerichtet. Wie ein Mantra wiederholt er seine Begrüßung: „Hi, ich bin Adam. Soll ich ihre Ausgabe signieren?“ Und Zeichner Mitch Gerads wiederholt diese Szene mehrmals mit identischer Pose, sodass sich die Frage stellt, ob diese marketinggetriebene Selbstdarstellung dem Helden schon in Mark und Bein übergegangen ist: Als hätte der kostümierte Held sich ein weiteres Kostüm übergestreift, wenn auch keines aus Elastan, sondern aus Posen und Phrasen. Sigmund Freud hätte seine Freude daran gehabt. Ist Adam Strange sich dessen bewusst? Ist er ein Lügner, ein traumatisiertes Opfer oder ein zu Unrecht beschuldigter Held? Dies bleibt bis zum Ende des ersten Bandes offen.

Seite aus „Strange Adventures 1“ (Panini)

Aber wie authentisch können Erzählungen überhaupt sein? Schließlich existieren sie niemals voraussetzungslos und können nicht frei sein von den Interessen desjenigen, der sie erschafft. Tom King integriert jeweils am Ende der Kapitel kurze Zitate von Adam-Strange-Autoren, und zwar nicht als Nachsatz, sondern direkt inmitten der Handlung. Diese Meta-Kommentare kann man als solche lesen oder sie zu der Handlung in Beziehung setzen.

Wenn EC-Legende Wally Wood zitiert wird mit „Es gab gute Jungs und böse Jungs. Und es ist der Job der guten Jungs, die bösen Jungs zu töten“, ist der Original-Kontext natürlich völlig ausgeblendet. Das Zitat stammt aus dem Comic „The Rejects“ von 1968, von Wally Wood gezeichnet, von Bhob (eigentlich Robert Marion) Stewart geschrieben. Aber tatsächlich geht diese Zeile, im Comic vom Protagonisten I.Q. geäußert, auf einen Textvorschlag Wally Woods zurück. King und Gerads eliminieren aber jegliche Originalkontexte und rahmen es neu: In einer Unterhaltung zwischen Batman und Adam Stranges Ehefrau bekommt das Zitat eine ganz spezifische Bedeutung. Wir Leser*innen selbst sind also notwendige Komplizen in dem Neu-Arrangement von Erzählungen. Wir machen passend, was eigentlich gar nicht passt. „Es war Krieg. Wir waren die Guten. Aber… wir waren nicht immer gut.“ Der Comic stellt Selbstverständlichkeiten infrage, und das knüpft natürlich an Kings Irak-Krieg-Comic „The Sheriff of Babylon“ an.

An anderer Stelle reflektiert Comic-Ikone und Adam-Strange-Zeichner Carmen Infantino, wie er die Welt des Adam Strange angelegt habe. Und wir Leser*innen kommen an dieser Stelle unweigerlich ins Grübeln, ob und wie Adam Strange wohl seine Erzählungen von sich selbst arrangiert. Dieses wie auch die anderen Zitate machen sehr anschaulich, dass der Kontext zu verschiedenen Interpretationen führt.

Dies hatte Tom King schon in dem auch thematisch verwandten „The Omega Men: The End is Here“ (2015) praktiziert, dort allerdings durchgehend mit Zitaten des amerikanischen Psychologen William James. Auch formal knüpft King an seine anderen Comics an: Wie in „Mister Miracle“, „The Omega Man“ und „The Sheriff of Babylon“ bedient er sich des klassischen „Watchmen“-Seitenlayouts von 3×3 Panels, hier im Wechsel mit Spread Panels wie vor allem in „Sheriff“. Nur ausgerechnet der gerade auf Deutsch erschienene „Rorschach“ bedient sich dieses Layouts nur selten.

Die Geschichte von „Strange Adventures“ besteht aus zwei Zeitebenen: die Gegenwartshandlung mit der Untersuchung durch Mister Terrific und die sich allmählich entfaltende Vergangenheitshandlung um den Krieg Adam Stranges gegen die Pykkten. Zeichnerisch wurde die Diskrepanz zwischen einem Gegenwarts- und einem Vergangenheits-Ich umgesetzt, indem die Zeitebenen von verschiedenen Zeichnern gestaltet werden: die Gegenwart von Mitch Gerads, die Rückblenden von Evan Shaner. Auch daran hätte Sigmund Freud sicher seine Freude gehabt.

Bei den diesjährigen Eisner Awards sind Tom King und Mitch Gerads gerade trotz zweier Nominierungen (Best limited series, best penciller) leer ausgegangen. Auf der deutschen Bestenliste findet sich „Strange Adventures“ immerhin unter den Top Ten des Quartals. Wer die anderen Titel von Tom King und Mitch Gerads schon kennt, wird mit diesem auch seine Freude haben und neugierig auf die deutsche Ausgabe der Fortsetzung warten, mit der die Serie abgeschlossen wird.

Gerrit Lungershausen, geboren 1979 als Gerrit Lembke, hat in Kiel Literatur- und Medienwissenschaften studiert und wurde 2016 promoviert. Er hat Bücher über Walter Moers, Actionkino und den Deutschen Buchpreis herausgegeben. 2014 hat er zusammen mit anderen das e-Journal Closure gegründet und ist bis heute Mitherausgeber. Derzeit lebt er in Mainz und schreibt für Comicgate und die Comixene. An der TU Hamburg-Harburg unterrichtet er Comic-Forschung.

Doppelseite aus „Strange Adventures 1“ (Panini)