It’s the economy, stupid!

Wir haben uns daran gewöhnt, in einer Welt zu leben, in der sich alle Bewohner zu jeder Zeit an einem beliebigen Ort versammeln können. Diese Loslösung der virtuellen Realität des Internets vom konkreten Raum hat uns schließlich dazu verführt zu glauben, dass Gesellschaft ohne die Materialität der Natur gedacht werden kann. Doch auch die Welt der Chats, Streams und Clouds beruht auf materiellen Voraussetzungen – mineralische Erze und fossile Energien – und hat bedeutende materielle Folgewirkungen, seien es die Abfallstoffe der Computerproduktion oder die Emission von Treibhausgasen. Zusammen mit dem Klimaexperten Jean-Marc Janovici hat der Comickünstler Christophe Blain einen Sachcomic herausgebracht, der uns nicht nur vor Augen führt, wie sehr die Gesellschaften insbesondere des globalen Nordens von der Verfügbarkeit materieller Ressourcen abhängen, sondern auch wie sehr die gegenwärtigen sozialen und ökologischen Krisen ein Ausdruck der letztlichen Unverfügbarkeit dieser Materialität der Natur sind.

„Welt ohne Ende“ heißt der Comic, in dem uns Blain und Janovici aufzeigen, wie das spektakuläre Wachstum der Weltbevölkerung einschließlich der Steigerung ihres Wohlstandes in den vergangenen zwei Jahrhunderten in erster Linie auf der Zuführung von Energie basiert. Ein schwarzer, klebriger Saft spielt dabei eine ganz entscheidende Rolle: Die Verbrennung von Erdöl steuert den Großteil zur weltweiten Energieversorgung bei und ist zugleich dafür (mit-)verantwortlich, den Planeten Erde in den kommenden hundert Jahren in ein für Menschen kaum noch bewohnbares Treibhaus zu verwandeln. Dennoch schauen die beiden Autoren mit Skepsis auf Versuche, mithilfe von alternativen Antrieben und regenerativen Energien dem ehernen Gesetz des Wachstums gerecht zu werden und zugleich die Klimakatastrophe zu vermeiden. Was aber wäre die Alternative?

Sequenz aus „Welt ohne Ende“ (Reprodukt)

In Form eines Dialoges zwischen dem interessierten Laien Blain und dem Experten Janovici werden auf 193 albumformatigen Seiten die Vor- und Nachteile der verschiedenen Energieträger anhand ihrer stofflichen Eigenschaften, ihrer natürlichen Verfügbarkeit und der Möglichkeiten ihrer Extrahierung vorgestellt. Der anthropogene Klimawandel wird als die oben angesprochene Unverfügbarkeit vorgestellt und in seinen physikalischen Grundlagen erklärt.

Wer das verstanden hat, weiß: Natur kann eben nicht beliebig ausgebeutet und transformiert werden. „Welt ohne Ende“ wartet mit schwerer Kost auf, ist also nicht leicht verdaulich und ganz sicher keine Lektüre to go. Wer den Comic lesen will, sollte sich Zeit nehmen und gewillt sein, sich mit vielen detaillierten Informationen und – selbst für das ökologisch bewusste Publikum – unangenehmen Wahrheiten auseinandersetzen zu müssen. Mit zahlreichen Grafiken und Diagrammen wird uns das Verständnis für die komplexen Prozesse der Aneignung und Umwandlung der Natur sowie ihrer gesellschaftlichen Auswirkungen erleichtert, der karikierende Erzähl- und Zeichenstil Blains sorgt zudem für eine hinreichende Unterhaltsamkeit – selbst schlechte Nachrichten müssen schließlich so vermittelt werden, dass die Adressaten bei der Stange bleiben und nicht entnervt davon laufen.

Auch ein anderer Sachcomic stellt die Diskussion eines gesellschaftspolitischen Megatrends gewissermaßen vom Kopf auf die Füße. Denn in „Die irre Geschichte der Globalisierung“ geht es nicht um den in den letzten Jahren viel beschworenen und letztlich doch immer diffus gebliebenen Kulturkampf zwischen („liberalen“) Kosmopoliten und („populistischen“) Anti-Globalisten, sondern um die konkreten Eigentums-, Produktions- und Konsumptionsverhältnisse innerhalb der globalen (Un)Ordnung. In einer ähnlichen wie oben beschriebenen Arbeitsteilung gehen der Journalist und Comiczeichner Enzo sowie die beiden Wirtschaftswissenschaftler*innen Isabelle Bensidoun und Sébastien Jean dem längst nicht mehr taufrischen, aber mehr denn je politisch bedeutsamen Phänomen der Globalisierung auf den Grund.

Doppelseite aus „Die irre Geschichte der Globalisierung“ (Jacoby & Stuart)

Das Bild der internationalen Arbeitsteilung, das sich in den meisten Köpfen festgesetzt hat, sieht so aus: Irgendwo im globalen Süden werden Rohstoffe gewonnen und zu Produkten verarbeitet, insofern für multinationale Unternehmen dadurch soziale und ökologische Kosten des Aneignungs- und Verarbeitungsprozesses eingespart, d. h. an die Gesellschaften des globalen Südens ausgelagert werden können. Dieser Vorstellung entspricht die Möglichkeit eines ethisch korrekten Konsums, ausgerichtet z. B. nach der Zertifizierung qua Herkunft als sozial-ökologisch un- bzw. weniger problematisch. Die Schwierigkeit besteht dabei, so zeigen es die Autoren des Sachcomic auf, in der Nicht-Identität der Dinge in Zeiten der globalisierten Produktionsverhältnisse. Die Bezeichnung „Made in…“ sagt angesichts der mikroskopisch anmutenden Zerlegung der Arbeits- bzw. Produktionsschritte und ihrer globalen Zirkulation kaum noch etwas über die tatsächliche Herkunft eines Produktes aus.

Auch über die Herkunft von Unternehmen lässt sich kaum noch etwas wirklich Stichhaltiges sagen, zumindest wenn diese börsennotiert sind. Klar hat das Modeunternehmen ZARA seinen Firmensitz in Spanien und Google in den USA, aber erst ein Blick auf die Zusammensetzung des Firmenkapitals und damit auf die internationalen Eigentumsverhältnisse zeigt, wie sehr die Vorstellung, man könnte große Konzerne noch national verorten, ein Trugschluss ist. Angesichts der Tatsache, dass Frankreich und Deutschland zu ca. 50 % bei ausländischen Investoren in der Kreide stehen, lässt sich fragen, ob nicht sogar die Vorstellung einer selbst-identischen Nation eine längst überholte geworden ist. Globalisierung ist also mehr als die einfache Überschreitung nationaler Grenzen durch Waren, Kapital und Menschen, es ist ein Prozess ihrer Infragestellung bzw. Auflösung.

Doppelseite aus „Die irre Geschichte der Globalisierung“ (Jacoby & Stuart)

Da die Geschichte der Globalisierung auch immer eine Geschichte ihrer sozialen, ökologischen und ökonomischen Krisen ist, ist und bleibt die Frage der Verortung und Verantwortung ihrer Akteure eine eminent politische. Die Autoren des Comic liefern hierzu zwei nur scheinbar gegenläufige Antworten: Bezüglich der Verlagerung der Produktionsstandorte stünde der Staat in der Pflicht, in Reindustrialsierung zu investieren, mit erwünschten positiven Auswirkungen auf die Regionen und Beschäftigung. Neben solchen Versuchen, Globalisierung zumindest zu begrenzen, braucht es angesichts der Herausforderungen globaler Finanzströme sowie des Klimawandels (siehe oben) aber zugleich eine Globalisierung der politischen Entscheidung. Die globale Unordnung kann nur durch eine inter- bzw. supranationale Ordnungspolitik überwunden werden. Hier führte das Prinzip der Renationalisierung, wie sie sich nicht nur Rechtspopulisten und -extreme herbeiwünschen, völlig in die Irre.

Auch für „Die irre Geschichte der Globalisierung“ gilt: Der Sachcomic ist gut darin, die komplexen ökonomischen, ökologischen und sozialen Aspekte der Globalisierung über Grafiken und Diagramme ins Bild zu setzen und so verständlich zu machen. Immer wieder weisen Symbolbilder auf zentrale Widersprüche und Konflikte im Themenfeld hin. Dass hier immer wieder Bilder auch mehr oder weniger unkommentiert ganz für sich stehen können, macht unter den mittlerweile zahlreichen Wirtschaftssachcomics mit wissenschaftlichem Anspruch einen großen Unterschied. Klar baut die zentrale Argumentation zuerst auf den Text auf, allerdings ohne allzu „textlastig“ zu sein und die Bilder einzig zum schmückenden Beiwerk zu machen.

Abschließend sei hier noch kurz auf einen anderen Wirtschaftscomic verwiesen, der bereits 2013 erschienen ist und seit zwei Jahren in einer erweiterten und aktualisierten Neuauflage vertrieben wird. „Economix“ ist zum einen eine comicale Darstellung der ökonomischen Ideengeschichte ungefähr seit 1820, und dabei immer schön parteiisch und polemisch. Der große Knüller sind aber die beiden letzten Kapitel („Der Aufstand der Reichen“/“Die Welt von heute“), in der die Hegemoniebildung des neoliberalen Projektes und dessen allmählicher Niedergang in den ökonomisch-ökologischen Krisen der vergangenen fünfzehn Jahre ausführlich und mit beißendem Witz beschrieben wird.

Dieser Beitrag erschien zuerst am 30.06.2022 auf: Taz-[ˈkɒmik_blɔg]

Mario Zehe (*1978) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Lehrer für Geschichte, Politik & Wirtschaft an einer Freinet-Schule bei Quedlinburg (Harz). Seit vielen Jahren liest er Comics aller Art, redet und schreibt gern darüber, u. a. im [ˈkɒmik_blɔg] der Taz und für den Freitag.

Christophe Blain/Jean-Marc Janovici: „Welt ohne Ende. Vom Energiewunder zum Klimawandel“. Reprodukt, Berlin 2022. 196 Seiten. 39 Euro

Enzo/Sebastian Jean/Isabelle Bensidoun: „Die irre Geschichte der Globalisierung“. Jacoby & Stuart, Berlin 2022. 248 Seiten. 24 Euro

Michael Goodwin/Daniel E. Burr: „Economix. Wie unsere Wirtschaft funktioniert (oder auch nicht)“. Jacoby & Stuart, Berlin 2020. 352 Seiten. 24 Euro