In Italien gelten die Comics von Giulia Spagnulo als Avantgarde. Auch in Deutschland erntete sie für ihren Comic „Cheese“ viel Lob: Das war eine bitterböse Satire auf das triste Aufwachsen in einer italienischen Vorstadt. Jetzt ist Giulia Spagnulos neuer Comic „Glückliche Tage“ unter ihrem Künstlernamen Zuzu herausgekommen.
So glücklich, wie der Titel vermuten lässt, ist Zuzus Protagonistin Claudia nicht. Claudia lebt auf dem Land und hat eine eigentlich innige Liebesbeziehung zu Piero. Dann geht sie nach Rom, um dort für eine Rolle am Theater vorzusprechen. Schnell wird klar, dass durch diese Reise einiges aus den Fugen gerät: Claudia trinkt Schnaps, bevor sie sich mit alten Freunden trifft, und dann begegnet sie auch noch ihrer ersten Liebe Giorgio und verabredet sich mit ihm. Ihre Freunde halten das nicht gerade für eine gute Idee.
Zuzu erzählt in einer verschachtelten Geschichte aus Rückblenden, wie Claudia eine Beziehung mit dem viel älteren Giorgio eingegangen ist, wie sie sich ihm angepasst hat – und wie Giorgio bei dem aktuellen Aufeinandertreffen auch wieder seine Dominanz ausspielt: Giorgio ist derjenige, der die Beziehung der beiden interpretiert. Das ist dezent erzählt und doch spürt man schnell, dass der Comic auf ein Fiasko hinausläuft.
Es sind vor allem die Bilder, die die Comics von Zuzu zur Avantgarde werden lassen. „Glückliche Tage“ ist mit dem unruhigen Strich von Filzstiften gezeichnet, die Figuren wirken deformiert. Claudia zum Beispiel hat eine lange spitze Nase, die an Pinocchio erinnert. Dabei belügt sie vor allem sich selbst, steht nicht zu ihren Bedürfnissen und übernimmt keine Verantwortung für ihr tun, so wie Pinocchio in dem Klassiker von Carlo Collodi, als er noch nicht zu sich selbst gefunden hat.
Es ist aber auch Zuzus Haltung zur Welt, die ihre Comics zur Avantgarde macht. Sie zeichnet keine erbauliche Entwicklungsgeschichte, sondern seziert die Liebe mit all ihren Abgründen. Wenn Claudia zum Beispiel Lust auf Sex hat, dann wird sie im wahrsten Sinne des Wortes zum Tier mit einem Schwanz, das aufreizend seinen After zeigt. Dieser Comic enthält Bilder, die nicht jugendfrei sind, das sollte man wissen.
Solche aufreizenden Bilder werden aber auch immer wieder gebrochen, etwa wenn der erotisierten Claudia Flügel wachsen, als sei sie ein Engel. Das ist stark, weil Zuzu damit die Ambivalenz der Erotik einfängt. Als Claudia beim Theater vorspricht, spielt sie einen Monolog aus „Glückliche Tage“ von Samuel Beckett. Das klingt unpassend, denn bei Beckett geht es um ein altes Paar, das in einer festgefahrenen Beziehung steckt. Beim Vorsprechen wirkt Claudia wie ein gefallener Engel, völlig derangiert nach der Nacht mit Giorgio: Er hat ihr Gewalt angetan. In diesem Kontext wirkt der Monolog aus Becketts „Glücklichen Tagen“ wie ein Kommentar zu Claudias Gefühlen zu Giorgio, von dem sie weiß, dass er ihr nicht guttut und von dem sie trotzdem nicht lassen kann.
Anders als bei Beckett ist Claudia noch jung, nicht einmal 30 Jahre alt. Der Monolog wird für Claudia zum Wendepunkt. Sie begreift, dass eine Beziehung mit Giorgio nicht glücklich werden kann, weil sie immer nach demselben Muster abläuft. Und anders als Becketts Winnie ist Claudia durchaus in der Lage, ihr Leben in die Hand zu nehmen. Am Ende wird es also in „Glückliche Tage“ von Zuzu doch ein bisschen erbaulich.
Dieser Beitrag erschien zuerst am 07.09.2022 auf: kulturradio rbb
Andrea Heinze arbeitet als Kulturjournalistin u. a. für kulturradio rbb, BR, SWR, Deutschlandfunk und MDR.