In einer Kapsel in Beirut

In „Das Spiel der Schwalben“ zeichnet Zeina Abirached einen ganz normalen Nachmittag im libanesischen Bürgerkrieg nach.

Wie leergefegt sind die Straßen. Wälle aus Containern und Fässern haben sie zu Sackgassen amputiert, Einschusslöcher punktieren die Barrikaden. Der Hintergrund, vor dem sich grellweiße Umrisse abheben, ist tiefschwarz. So wie auch das ebenmäßige Dunkel der Wohnung, in der eine ältere Frau kerzengerade auf einem Stuhl sitzt und beschwichtigt: „Auf jeden Fall…“, setzt sie an. „Zumindest… glaube ich, dass wir hier trotz allem, vielleicht, mehr oder weniger in Sicherheit sind.“

Sie bringt damit das Wechselbad zwischen Zuversicht und Zweifel auf den Punkt, das in Beirut im Jahr 1984, inmitten des Bürgerkriegs, vorherrschte. Viele verließen das Land, andere hielt es – trotz allem, trotz der Heckenschützen vor der Tür – in ihren Wohnungen. 2006 stieß die libanesisch-französische Zeichnerin Zeina Abirached in einem TV-Bericht aus dem Archiv zufällig auf die Frau, die diesen Satz sagte. Es war ihre Großmutter. Das war der Ausgangspunkt ihrer Graphic Novel „Das Spiel der Schwalben“.

Abirached schlüpft darin wieder in ihre Kindheit, in das Vorzimmer mit dem alten Wandteppich, in dem die gutbürgerliche Familie zusammengerückt war, um sich vor den Bombardements zu schützen. Der Drang zur „Erinnerungsarbeit“ habe sie dazu gebracht, Comics zu zeichnen, sagt Zeina Abirached bei einem Gespräch am Rande eines Comic-Festivals, das 2013 im Institut français in Wien stattfand. „Niemand im Libanon spricht über den Bürgerkrieg. In den Schulen ist das Thema tabu“, sagt sie. „Das Buch half mir, mich zu vergewissern: Ich habe das nicht geträumt. Es ist wirklich passiert.“

2013, sechs Jahre nach dem französischen Original, ist „Das Spiel der Schwalben“ auch auf Deutsch erschienen. In unerbittlichem Schwarz-Weiß, das keine Zwischentöne kennt, zeichnet Abirached einen Nachmittag im ganz normalen Kriegsalltag nach. In der Wohnung, die direkt an der Demarkationslinie zwischen dem Ost- und Westteil von Beirut liegt, überbrücken die Kinder die Zeit, bis ihre Eltern, die im nahen Haus der Großmutter festsitzen, den Parcours durch die Barrikaden antreten können.

Bild aus „Das Spiel der Schwalben“ (Avant-Verlag)

Dabei füllt sich das kleine Vorzimmer mit Nachbarn, Verwandten, Rauchschwaden und herbeigetricksten Kostbarkeiten wie frischem Salat und Whiskey. Ganz nebenbei verwebt sich die illustre Gesellschaft zu einem Mikrokosmos, in dem der Krieg nur indirekt präsent ist: Durch den Mangel – an Strom, Wasser, Telefonverbindungen -, durch die Geschichten, die förmlich im Raum herumschwirren, zwischen dem Dröhnen der Bomben.

Im Stil Marjane Satrapis

Abirached, 1981 geboren – also bereits während des 15 Jahre andauernden Bürgerkriegs -, skizziert die Kapsel ihrer Kindheit als eine behütete, enge Welt, in der ein trockener Witz gepflegt wird und sich die Tragik in kleinen Details offenbart. Die Familiensituation und vor allem die ornamentalen, aber stets klaren, stilisierten Zeichnungen haben eine frappante Ähnlichkeit mit dem Stil Marjane Satrapis, deren Graphic Novel „Persepolis“ über ihre Kindheit im Iran zu einem Bestseller wurde. „Ich kannte ihre Arbeit nicht, als ich nach Frankreich kam“, beteuert Abirached. Ausschlaggebend für die Parallelen dürfte eine gemeinsame Inspirationsquelle sein: Der französische Comiczeichner David B., der mit „Die heilige Krankheit“ ästhetische Maßstäbe setzte. „Als ich ihn mit 19 entdeckte, war ich schockiert von dieser Brutalität, der Übergangslosigkeit der Zeichnungen. Es war das erste Mal, dass ich einen autobiografischen Comic las.“

Mit „Das Spiel der Schwalben“ reiht sich Abirached in eine lange Tradition der Kriegs- und Vergangenheitsbewältigung in Bildsequenzen ein – von Keiji Nakazawas „Barfuß durch Hiroshima“ über Art Spiegelmans „Maus“ bis zu den Comicreportagen von Joe Sacco und Emmanuel Guibert, wobei sich Abirached leider nicht mit der Einbettung ihrer entdramatisierten Geschichte in einen historischen und politischen Zusammenhang aufhält. „Ich wollte eine universelle Geschichte erzählen, in der sich viele Leute wiederfinden können“, begründet sie.

Diese Kritik erschien zuerst am 29.03.2013 in: Der Standard.

Zeina Abirached: Das Spiel der Schwalben • Aus dem Französischen von Paula Bulling und Tashy Endres • Avant-Verlag, Berlin 2013 • 182 Seiten • Softcover • 19,95 Euro

Karin Krichmayr arbeitet als Wissenschaftsredakteurin für Der Standard. Außerdem betreibt sie für die österreichische Tageszeitung den Comicblog Pictotop.