Menschmaschinen und Maschinenmenschen

Bild aus "Carbon und Silizium" (Splitter Verlag)

Während wir derzeit von körperlosen Formen künstlicher Intelligenzen wie ChatGPT fasziniert, eingeschüchtert oder gelangweilt werden, bleiben Comics über KI meistens an Körper gebunden – so auch Jean-Pierre Dionnets „Exterminator 17“ und Mathieu Bablets „Carbon und Silizium“.

Comics über Roboter, Androiden oder künstliche Intelligenz sind nun wirklich nichts Neues. Zwar sind in den letzten Jahren einige spannende Titel wie Jeff Lemires und Dustin Nguyens „Descender“ (engl. 2015-18, Splitter 2015-19) erschienen, aber Russ Mannings „Robot Figther, 4000 AD“ setzte sich schon 1963 damit auseinander und war natürlich längst nicht der Erste. Hier lässt sich eine kleine, sehr unvollständige Zusammenstellung von Comics über künstliche Intelligenz finden. Vor kurzem sind zwei Titel (erneut) erschienen, die bei allen Unterschieden auch Gemeinsamkeiten haben: „Exterminator 17“ und „Carbon und Silizium“.

Exterminator 17

In „Exterminator 17“ von Jean-Pierre Dionnet und Enki Bilal werden wir in medias res mit einer Welt konfrontiert, die uns außerordentlich fremd erscheint. Namen- und gesichtslose Soldaten untersuchen den Planetoiden Novack und stoßen dabei auf einen Androiden, der den Befehlshabern Rätsel aufgibt: Eine 17 prangt auf seinem Helm, und es stellt sich heraus, dass es sich um ein zufällig erhaltenes Exemplar einer sehr alten Androiden-Baureihe handelt: „Es gibt nach all diesen Jahren noch einen 17…“ Dies ist das letzte Modell, für das dessen Schöpfer seinerzeit auf sein eigenes Genmaterial zurückgegriffen hat, und als der „Meister“ stirbt, hält sein Geist Einzug in diese seltsame Menschmaschine, die nun das Ziel verfolgt, andere Androiden zu befreien.

Was sich in einer Zusammenfassung vielleicht noch ganz geradlinig anhört, erweist sich im Laufe der Lektüre als erzählerischer Flickenteppich, wohl auch der episodischen Veröffentlichung in „Metal Hurlant“ zwischen 1976 und 1979 geschuldet. Zeitliche und räumliche Sprünge erschweren den Zugang ebenso wie die abrupte Einführung neuer Figuren. Wer darüber hinwegsehen kann oder die Geduld für eine zweite Lektüre aufbringt, wird einen Fokus auf die philosophischen Fragestellungen legen können: Ist Nummer 17 nun Mensch oder Maschine? Damit stellt der Comic Fragen über Androiden bzw. künstliche Intelligenz, die in der Popkultur auch damals nicht ganz neu waren („2001 – A Space Odyssey“ 1968), aber ihren Höhepunkt noch vor sich hatten („Blade Runner“ 1982, „The Terminator“ 1984). In Hinblick auf die Raumfahrtschmuddelästhetik nimmt Bilal die düstere Gestaltung vorweg, die den auf H. R. Gigers Zeichnungen beruhenden Horrorfilm „Alien“ (1979) später berühmt machen sollte.

Androiden sind in „Exterminator 17“ das spiegelbildliche Symbol menschlicher Vergänglichkeit, denn sie machen die Zeitlichkeit des Menschen umso sichtbarer, indem sie ewige Jugend verkörpern oder zumindest der Unsterblichkeit ein Stück näher kommen als die menschlichen Maschinen aus Fleisch und Blut. In „Exterminator 17“ haben Bilal und Dionnet eine Welt geschaffen, in der alle Körper ihre Vergänglichkeit offen zur Schau stellen. Der technischen Schönheit der Androiden stehen die Fratzen der deformierten Menschen entgegen, ihr Übergewicht, ihre Fehlsichtigkeit, ihre Makel. Der Mensch ist halt ein erbärmliches „Mängelwesen“.

„Exterminator 17“ wurde zuerst in „Metal Hurlant“ veröffentlicht, zusammen mit Titeln von Moebius, dessen Verwandtschaft zu Bilals Zeichnungen man rasch erkennt. 1979 erschien der Comic als Album bei Les Humanoïdes Associés, und 1981 wurde die Story dann im Volksverlag auf Deutsch veröffentlicht, 1990 erneut bei Alpha. Zwischen 2003 und 2008 erschienen außerdem drei Fortsetzungsbände („Die Ellis-Trilogie“), deren Szenarien wiederum von Dionnet, die Zeichnungen aber von dem ukrainischen Künstler Igor Baranko stammen. 2004 erschienen die ersten beiden Bände der Ellis-Trilogie bei Ehapa, der dritte Teil wurde nie auf Deutsch veröffentlicht. Die nun bei Finix erschienene Gesamtausgabe umfasst neben der Story aus den 1970er Jahren auch sämtliche drei Teile der Fortsetzung.

Barankos Zeichnungen knüpfen stark an Bilals Ästhetik an, übersteigern seinen Stil sogar noch weiter ins Groteske. Dabei kann man gut und gern an Fred Beltrans Zeichnungen von „Nathanaelle“ (Splitter) denken, und so ist es passend, eine „Exterminator“-Zeichnung Beltrans im Anhang zu finden. Wen die etwas eintönige Blaugrau-Braun-Mausgrau-Kolorierung nicht stört, kann seinen Gefallen an der Optik finden. Im bislang in Deutschland unveröffentlichten Abschlussband knüpfen Dionnet und Baranko mit einem deus ex machina (ganz buchstäblich) unvermittelt an das Originalalbum an und schließen den Kreis nach rund 200 Seiten.

Die Finix-Ausgabe beruht auf der französischen Gesamtausgabe, die im Formatvergleich etwas kleiner ausfällt. Der Anhang besteht aus drei Interviews mit Dionnet, Bilal und Baranko, allerdings sind diese noch unzusammenhängender als die Geschichten und wenig erhellend.

Dionnets Dystopie ist eine Mischung aus den urban-sandigen SF-Welten, die wir von Moebius bestens kennen, und den schmutzigen Settings aus Serpieris „Druuna“. Auch dort finden wir glatte Oberflächen nur dort, wo Serpieri seine nackten Frauenkörper in Szene setzt, wohingegen die technisch avancierte Zukunftswelt sonst so dreckig ist wie die Phantasie ihrer Bewohner. Darin ist „Exterminator 17“ durchaus mit „Druuna“ verwandt.

Dionnets Science-Fiction-Comic repräsentiert die Sorgen der 1970er- und 1980er-Jahre vor einer technologisch geprägten Zukunft, deren Gefahren für größer gehalten wurden als die Hoffnungen, die man daraus schöpfen könnte.

Carbon und Silizium

Mathieu Bablet ist hierzulande vor allem seit der Übersetzung des prämierten „Shangri-La“ (frz. 2016, Splitter 2021, hier rezensiert für Comic.de) bekannt, und sein jüngster Titel „Carbon und Silizium“ hat es viel schneller nach Deutschland geschafft (frz. 2020, Splitter 2023). Wie in „Exterminator 17“ geht es um die Frage, wie sich Mensch und Maschine zueinander verhalten. Nicht zuletzt geht es darum, ob humanitäre Werte noch Bestand haben, wo Mensch und Maschine aufeinandertreffen.

Wir befinden uns in einer nahen Zukunft des 21. Jahrhunderts. Im Silicon Valley arbeitet die Tomorrow Foundation in der Tradition Victor Frankensteins an der Herstellung künstlicher Lebensformen. In der Anfangszeit dieser Schöpfungsgeschichte beobachten wir eine Reihe von Männern, deren Herz vor allem daran hängt, den Brustumfang der weiblichen Androiden und die Form von deren Schambehaarung zu diskutieren. Die Menschheit hat es nach einigen Jahrzehnten also noch nicht über die gesellschaftliche Pubertät hinausgeschafft. Dass es ausgerechnet das Modell Nummer 17 ist, an dem sich diese Debatte entzündet, mag eine Verbeugung vor Dionnets Klassiker sein. Hier wie dort spielt Körperlichkeit eine große Rolle.

Die Wissenschaftlerin Noriko speist das Wissen der gesamten Menschheit in zwei künstliche Wesen – Carbon und Silizium – ein, und dieser umfangreiche Lernprozess dauert gerade einmal einen Augenblick für die Androiden und drei Panels für die Leser*innen. Auf die erste Frage hin, was die KI als erstes dem Menschen mitteilen wolle, antwortet diese mit einer klaren Analyse, dass der Mensch das größte Problem sei und seine Auslöschung die Lösung. Nur ein Scherz, stellt sich schnell heraus, der bei den Leser*innen die Sorgen zahlreicher Dystopien abruft – „The Terminator“ lässt grüßen. Aber Bablet führt uns nur an der Nase herum, denn die beiden Androiden sind nicht die Manifestation von Skynet, keine Kopie von HAL und auch kein frankensteinsches Monster. Sie sind die beiden Figuren, an deren Seite wir diese Geschichte erleben werden. Und sie sind vielmehr Opfer menschlichen Versagens.

Die Lebenszeit (oder wie man das nennen soll) von androiden Daseinsformen wird von den Herstellern auf 15 Jahre begrenzt, zum einen aus wirtschaftlichen Gründen, zum anderen aus Pietät gegenüber den Menschen, deren Lebenszeit nun einmal auch begrenzt ist. Noriko ermöglicht den beiden Androiden, denen sie nähersteht als ihrer eigenen Familie, diesen Tod zu umgehen, sodass wir die zukünftige Entwicklung der Menschheit miterleben dürfen – eine evolutionäre Erfolgsgeschichte ist das leider nicht. Im Gegensatz zu den üblichen Räuberpistolen mit Robotern sind diese aber nicht schuld an dem Niedergang.

Es ließen sich zahllose Szenen herausgreifen, in denen Bablet Beobachtungen über unsere Gegenwart in Bilder fasst, darunter die Faszination für virtuelle Realitäten (verbunden mit dem Risiko, die Wirklichkeit zu verpassen) oder die Fortschritte der Medizin, das Leben immer weiter zu verlängern – und den Konflikt, der daraus entsteht, dass der Körper nun einmal doch ein endliches Produkt ist. Norikos grausamer Tod unter dem Einsatz lebenserhaltender Maßnahmen setzt den technologischen Fortschritt ebenso ins Bild wie das Grauen des körperlichen Verfalls, der sich nicht verhindern, sondern nur kaschieren lässt. Wie viel Körper braucht der Mensch eigentlich, um noch Mensch zu sein?

„Wie konnten unsere künstlichen Intelligenzen menschlich werden?“ Diese von Noriko formulierte Frage ist in der Tat nicht nur für diesen Comic zentral, und sie offenbart eine gewisse Ironie. Künstliche Intelligenzen erscheinen uns nämlich nicht dann besonders ausgeprägt, wenn sie besonders künstlich oder besonders intelligent sind, sondern wenn sie besonders menschlich erscheinen, also vor allem, wenn sie Emotionen zeigen. Das kann man an nahezu allen Science-Fiction-Klassikern nicht erst seit Stanley Kubricks „2001“ beobachten. In gewisser Weise erscheint diese Perspektive, die Maschine sei erst intelligent, wo sie menschlich sei, als Spiegelbild des Gedankens aus der französischen Aufklärung, dass der Mensch eine Maschine sei.

Carbon und Silizium zeigen ihre Gefühle, und das ermöglicht uns, Mitgefühl mit ihnen zu empfinden, während sie ihre sehr unterschiedlichen Lebenswege gehen. Silizium ist der Entdecker, dessen Ziel es ist, die ganze Erde zu besuchen. Carbon hingegen ist sehr an den anderen Maschinen und Menschen interessiert. Auf beiden Wegen lässt sich das Wesen der Welt nicht vollständig erfassen, ihr Scheitern ist so menschlich wie alles andere an ihnen auch.

Bablets Figuren haben eine sehr eingeschränkte Mimik und lassen sich manchmal schwer auseinanderhalten – wie schon in seinem visuell beeindruckenden “Shangri-La“. Seine Architekturen und Landschaften wiederum sind ebenso Blickfänger wie seine Darstellungen von Visionen und den Manifestationen von Gedanken, ganz abgesehen von den beeindruckenden Farben.

„Exterminator 17“ wie auch „Carbon und Silizium“ könnten kaum unterschiedlicher sein und haben doch einige Gemeinsamkeiten. Sie stellen die Entwicklung künstlicher Intelligenz nicht an den Anfang einer Kausalkette des menschlichen Niedergangs, der wiederum gleichermaßen unvermeidlich scheint. Darin sind die Autoren sich einig. Wer die Zeit bis zum Untergang der Welt sinnvoll verbringen möchte, ist mit beiden Titeln nicht schlecht beraten. Auf Bablets Comic sollte man aber auf keinen Fall verzichtet haben.

Mathieu Bablet: Carbon und Silizium • Aus dem Französischen von Sophie Beese • Splitter Verlag, Bielefeld 2023 • 272 Seiten • Hardcover • 45,00 Euro

Jean-Pierre Dionnet (Autor), Igor Baranko und Enki Bilal (Zeichner): Exterminator 17 • Finix, Wiesbaden 2022 • 240 Seiten • Hardcover • 39,80 Euro

Gerrit Lungershausen, geboren 1979 als Gerrit Lembke, hat in Kiel Literatur- und Medienwissenschaften studiert und wurde 2016 promoviert. Er hat Bücher über Walter Moers, Actionkino und den Deutschen Buchpreis herausgegeben. 2014 hat er zusammen mit anderen das e-Journal Closure gegründet und ist bis heute Mitherausgeber. Derzeit lebt er in Mainz und schreibt für Comicgate und die Comixene. An der TU Hamburg-Harburg unterrichtet er Comic-Forschung.