Es steht (nicht) in den Sternen

Woher kommt die Faszination an der Deutung von Sternbildern und wohin führt sie? Über Liv Strömquists Comic-Essay „Astrologie“.

Wenn man bei The Political Compass einen Test zur persönlichen politischen Einstellung absolvieren will, begegnet man auf Seite 5 von 6 der Aussage „Die Astrologie erklärt viele Dinge akkurat“. Zu dieser muss man sich dann zustimmend oder ablehnend verhalten. Das fand ich zunächst skurril. Soll der Glaube an Sternbilder wirklich etwas über unsere politische Haltung verraten? Die schwedische Politikwissenschaftlerin und Comicmacherin Liv Strömquist ist offensichtlich dieser Meinung, denn sie hat zuletzt einen Comic herausgebracht, der das Weltbild hinter den Sternendeutern und -deutungen kritisch untersucht.

Dass die Stellung der Sterne zueinander zum Zeitpunkt der Geburt eines Menschen dessen Persönlichkeit ein Leben lang prägt, wenn nicht gar vorbestimmt, ist eine Grundannahme der Astrologie. Bis ins 17. Jahrhundert galt diese Vorstellung als wissenschaftlich einigermaßen plausibel, mittlerweile rechnet man sie eher zum Aberglauben. Nichtsdestotrotz erfreuen sich Horoskope weiterhin großer Beliebtheit, jenseits der klassischen Zeitungshoroskopie findet man sie nunmehr auch zahlreich in Appstores, auf Social Media trenden entsprechende Beiträge. Woher kommt diese andauernde Lust an der Deutung von Tierkreiszeichen und Aszendenten? Und wohin führt sie? Der „Sachcomic“ „Liv Strömquists Astrologie“ sucht nach Antworten auf diese Fragen.

Strömquist wurde hierzulande 2017 mit dem Comic „Der Ursprung der Welt“ bekannt, in dem sie die Kulturgeschichte der Vulva nachzeichnet und humorvoll gegen die Tabuisierung des weiblichen Geschlechtsorgans anschreibt bzw. -zeichnet. Ihre mittlerweile zahlreichen Comics behandeln unterschiedlichste Themen aus (radikal-)feministischer Perspektive und fokussieren dabei auf das Verhältnis von Machtbeziehungen und Ungleichheit, nicht nur zwischen den Geschlechtern. Trotz dieses inhaltlichen Gewichts sind die Bücher absolute Verkaufsschlager. In Museen in Paris, Hamburg und Zürich wurden in den letzten Jahren Zeichnungen aus ihren Werken ausgestellt. Sie ist wahrlich der Liebling des Feuilleton, wenngleich sie für ihre expliziten Darstellungen und inhaltlichen Zuspitzungen auch immer wieder – vor allem von rechter Seite – angefeindet wird.

Bild aus „Liv Strömquists Astrologie“ (Avant-Verlag)

Der große Erfolg erscheint zunächst erklärungsbedürftig, denn der Zeichenstil Strömquists ist alles andere als gefällig. Im „Spiegel“ attestierte ihr Timur Vermes in einem furiosen Verriss des Buches „I’m every woman“ (2019) wenig künstlerische Raffinesse. Tatsächlich fallen ihre Comics vergleichsweise textlastig aus, die Zeichnungen sind sehr schematisch und skizzenhaft. Ihr großes Talent, das den Erfolg der Künstlerin dann doch erklärt, ist aber ihr abgründiger Humor, dem man sich nur entziehen kann, wenn man per se nicht willens oder fähig ist, mit ihr und den anderen Leser*innen über den Irrsinn des Patriarchats herzlich zu lachen. Liv Strömquist präsentiert die von ihr aufgearbeiteten gesellschaftspolitischen Sujets nicht in einer übergeordneten Vogelperspektive (oder in Auflösung jeglicher Perspektivität), sondern verbindet ihre politologische Fach- und Sachkenntnis mit der klaren Haltung einer politischen Aktivistin und eben ihrer Fähigkeit zur karikierenden Zuspitzung.

Der Comic „Astrologie“ kommt zweigeteilt daher: Im ersten Teil „erläutert“ sie die Charakteristika der verschiedenen Sternzeichen und stellt ihre bekanntesten Vertreter*innen in Form von A- und B-Prominenzen aus Gesellschaft, Politik und Kultur vor. Dass Widder sturköpfig, Stiere langatmig, Zwillinge „leicht und inhaltsleer wie Pringles“ (usw. usf.) sind, hat man vielleicht schon vorher gehört – oder eben auch nicht. So lustvoll Strömquist hier den Parcours der Tierkreiszeichen und ihrer Aszendenten beschreitet, macht die Lektüre sicher auch bei schon vorhandener Sachkenntnis Spaß.

Doch wie so häufig bei der Satire steckt hinter der vordergründigen Komik ein ernsthaftes Anliegen. Denn trotz aller Unterhaltsamkeit ist die Astrologie vom Wesen her narzisstisch und affirmativ und damit als gesellschaftlicher Trend problematisch. Das meint jedenfalls die Autorin, die sich im zweiten Teil mit der Astrologie als Ideologie auseinandersetzt und hierbei insbesondere auf den Sozialphilosophen Theodor W. Adorno rekurriert. Tatsächlich sind Adornos vor siebzig Jahren angestrengten Überlegungen zur Astrologie auch heute noch bemerkenswert: Diese stellt ihm zufolge eine obskure Mischung aus Rationalität und Irrationalität („Pseudo-Vernunft“) dar, und bietet mit ihren scheinbar rationalen Lebensratschlägen einen narzisstischen Abwehrschild, mit dem man sich von jeglicher persönlicher Verantwortung freisprechen und die Lage der Dinge verborgenen unveränderlichen Mechanismen (z. B. einem „rückläufigen Merkur“) zuschreiben kann. Weil der Glaube an solch „pseudo-rationale Wahnsysteme“ das Streben nach gesellschaftlicher Veränderung behindert und die Menschen noch weiter in die obsessive Beschäftigung mit ihrem Selbst treibt, ist Astrologie also alles andere als ein harmloser Spaß. Nach dem vergnügten Auftakt ein letztlich ziemlich humorbefreiter Abschluss? Gut, dass Liv Strömquist selbst zu dieser bitteren Pille am Schluss des Buches noch eine treffende Pointe eingefallen ist.

Dieser Beitrag erschien zuerst am 01.09.2023 auf: Taz-[ˈkɒmik_blɔg]

Liv Strömquist: Astrologie • Aus dem Schwedischen von Katharina Erben • Avant-Verlag, Berlin 2023 • 176 Seiten • Softcover • 22,00 Euro

Mario Zehe (*1978) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Lehrer für Geschichte, Politik & Wirtschaft an einer Freinet-Schule bei Quedlinburg (Harz). Seit vielen Jahren liest er Comics aller Art, redet und schreibt gern darüber, u. a. im [ˈkɒmik_blɔg] der Taz und für den Freitag.