Keine Farbe aus dem All

Alberto Breccia übersetzt H.P. Lovecrafts kosmisches Grauen aus dem Textuellen ins Visuelle – ein klassisches Meisterwerk schwarz-weißer Comic-Kunst.

Visuelle Kunst, die ihre Bilder in schwarz-weiß präsentiert, hat Gründe dafür, wenn auch nicht immer und ausschließlich besonders gute. Manchmal sind diese Gründe nicht ihre eigenen bzw. keine, die unmittelbar der Gestaltungsabsicht geschuldet wären. Bis in die 1930er Jahre ist die Kolorierung von Filmen eine arbeits- und kostenaufwendige Sache, und Tageszeitungen fahren billiger damit, ihre Fotos und Comicstrips farblos abzudrucken. Im Wortsinn zwingende Gründe eben.

Überhaupt, Comics: Unter Aficionados herrscht nach wie vor Uneinigkeit, ob etwa Hugo Pratts „Corto Maltese“ in der farbakzentuierten („bunt“ ginge in diesem Fall zu weit) Version nicht doch größere Pracht entfaltet. Und die vielen amtlichen Edel- bis Luxuseditionen, in denen sich klassische Genre- und Schundcomics der 1940er bis 1980er Jahre in gediegen-seriösem Schwarz-Weiß reproduziert finden, kann man auch nicht gerade als historisch-kritische Ausgaben betrachten – schließlich waren die Originale in der Regel farbig.

Schwarz-weiß bedeutet in verbindlicherem, also künstlerisch absichtsvollem Zusammenhang hingegen nicht nur das Fehlen von Farbe, sondern auch die stärkere Präsenz von Form. Man sieht den Strich, den Bildaufbau und die Kontraste deutlicher, zumal der Schwarz-Weiß-Comic nicht selten auch sämtliche Töne und Abstufungen dazwischen kennt. Die bildliche Rede vom Schwarz-Weiß-Denken kennt diese ihrerseits – zwar schematisiert sie pauschal ins (zum Beispiel) entweder rein Gute oder rein Böse, kann aber in naheliegender vulgärdialektischer Wendung schwerlich vermeiden, dass die Möglichkeit einer gewissen Trennunschärfe bereits hinter der allernächsten Ecke droht.

Womit man beim Horror wäre. Das Horror-Genre hegt eine natürliche, wesenhafte Zuneigung zum Schwarz-Weißen, da Finsternis, Schatten und Schwärze sowie ein gewisses Weltentrücktsein – hier kommt die Farblosigkeit wieder als Distanz schaffende Hervorhebung der Form ins Spiel – in ihm wichtige Rollen einnehmen. Die Horror-Serien von EC Comics (wie „The Haunt of Fear“ oder „Shock SuspenStories“) und das Werk solch großer Erzähl-Grafiker des Monströsen wie Bernie Wrightson und Alex Toth (erhebliche bzw. kanonische Teile davon erstmals in Jim Warrens s/w-Horrorcomicmagazinen „Creepy“ und „Eerie“ aus den 1960ern erschienen) wirken in bunter Version weniger… richtig.

Während jedoch der raue Pulp-Charme der EC-Holzhammer-Phantasmen in Farbe deutlich anmutiger schillert (wer sich – nebenbei – umfassend über US-amerikanischen Comic-Horror der 1950er informieren mag, sollte unbedingt Tillmann Courths spektakuläre Seite fifties-horror.de aufsuchen) und Wrightsons in unverkennbarer Zeichner-Handschrift gehaltene Monsteranatomien durch Kolorierung mitunter an Plastizität gewinnen, ist die Exklusion von Farbe im Falle von Alberto Breccias „Lovecraft“ in wahrhaft zwingendes Element des ästhetischen Prozesses. Wie der in Uruguay geborene, aber dem Restlebenslauf nach argentinische Künstler Breccia (1919-1993) zwischen 1973 und 1974 neun Erzählungen von H. P. Lovecraft nach (überwiegend) Adaptionen von Norberto Buscaglia in das Comic-Medium übersetzt, das ist in kolorierter Version schlicht nicht denkbar.

Die Auswahl der Vorlagen berücksichtigt mit u. a. „Das Ding auf der Schwelle“, „Der Schatten über Innsmouth“, „Cthulhus Ruf“ oder „Die Farbe aus dem All“ jene Erzählungen, welche die motivischen Eigenheiten der literarischen Weltenschöpfung Lovecrafts besonders markant und gelungen fixieren. In Verbindung mit der durchaus hohen Schriftlastigkeit – Buscaglia liefert im Wesentlichen nur dezent bearbeitete, ausführliche Kästchentext-Zitate; dialogischer Text ist äußerst rar – stellt dieses Comicalbum also auch einen exquisiten Lovecraft-Reader dar (welcher lediglich den Wunsch übriglässt, Breccia hätte noch mindestens weitere neun Lovecraft-Adaptionen geschaffen). Gleichzeitig wählt Breccia augenscheinlich nach Kriterien, die gänzlich dem Selbstbewusstsein des bildenden Künstlers zuzuschreiben sind. Kurzgeschichten wie „Das Fest“ oder „Die Stadt ohne Namen“ halten in Lovecrafts Werk den Status kleinerer Stilübungen, befeuern die bildsprachlichen Stilexzesse ihres visuellen Übersetzers Breccia allerdings umso mehr.

Lovecrafts kosmischer Horror besteht bekanntlich in der mit höchster affektiver Heftigkeit erfahrenen Erkenntnis der Nichtigkeit der menschlichen Existenz gegenüber dem unendlich unüberschaubaren chaotischen Kosmos. Dementsprechend sind die Menschenfiguren, wie Breccia sie hier zeichnet, in vielen Panels verschwindend klein gehalten und als Individuen nicht mehr erkennbar. Zeigt Breccia den Menschen aus der Nähe, präsentiert er ihn im detailliert-naturalistisch-akademischen Strich, ebenso wie das ihm Vertraute (die eigene Bibliothek, ein Automobil, Schiffe, eine Wanduhr etc.). Tritt der Mensch aus dem Vertrauten hinaus in die Welt – die nicht die seine ist, sondern ein immer schon grundsätzlich fremder, von einem „Gestank wie aus tausend offenen Gräbern“ verpesteter, vom Bösen kontaminierter Außenposten der „gewaltigen, widerwärtigen Kreaturen, die von finsteren Sternen hergedrungen waren“ –, beginnt sich diese Welt unverzüglich aufzulösen. Die akkurat gezogene Linie verschwindet, abgesehen vom jeweiligen Panelrand. Kleckse, fette Schlieren, Schraffuren und nihilistisch leere Weißflächen konturieren Gebäude, Felsküsten und gigantische Höhlenkomplexe. Geht es gnädigerweise für einen Protagonisten zurück dorthin, wo der „Lärm der Straßenbahnen und der Autos“ ertönt, fällt der umgekehrte Schock so groß aus, dass der Feder des Zeichners nichts anderes übrigbleibt, als einer einmontierten Fotografie den Platz zu räumen.

Breccia zerlegt die Handlung in illustrative, die Auslassungen des Textes bildlich einfrierende Panels, in denen z. B. grobe Bleistift- und Kohlestriche genau das richtige Maß zwischen Zeigen, Andeuten und Weglassen halten. Als Comic im nachdrücklichen Sinn funktioniert das eher szenisch-illustrativ und kaum dynamisch, aber mitunter gelangt die Kunstform eben auch dann zu voller Blüte, wenn eindeutig die Grafik regiert. Breccia ist um bildliche Ergänzung des Textes bemüht, darum, das, was Lovecraft mit Worten evozierte, in Bildern zu evozieren, nicht darum, den Text zu verbildlichen. Reflektierte Comic-Künstler wie Breccia lösen die immanente Widersprüchlichkeit ihrer Kunstform nicht, sondern verstärken sie, weil im Widerspruch, im Widerstand und im Nicht-Anschaulichen Überwindung und neue Möglichkeiten angelegt sind – zur Anschauung wird gebracht, wie Form, Bildinhalt, Perspektive und Blicke desintegrieren. Wenn schließlich das schleimige Gezücht der Sterne, das formlos Monströse, im „grausigen Widerspruch zu aller Materie, Energie und kosmischer Ordnung“ seinen Auftritt hat, kann nur noch das beinahe (wirklich nur beinahe: hier und da kann das Auge eine beunruhigend vertraute organische Form, einen Tentakel, Reißzähne, Fischmäuler identifizieren) radikale Abgleiten in die Abstraktion den desintegrierten, monströs erschrockenen Blick repräsentieren. Zum Bleistift, zur Kohle, zur Tusche tritt die Monotypie, die Collage, Geklebtes, Gerissenes und abermals fotografische Fetzen. Farbe? Absolut unvorstellbar. Farbe kommt allerhöchstens aus dem All, und vor ihr muss der Grafiker kapitulieren. Zwei Storys fallen dabei auf bemerkenswerte Art ein Stück aus dem Rahmen. „Das Grauen von Dunwich“ ist – bei äußerst trübseliger Leere der Kulissen – komplett im realistischen Stil gehalten. Und „Der Flüsterer im Dunkeln“, geschmackvoll und wohlüberlegt ans Ende des Bandes gesetzt, vollendet gewissermaßen Lovecrafts misanthropisches Grauen, indem der Spieß umgedreht wird: Die Monsterleiber sind schärfer konturiert, die Menschenkörper verflüchtigen sich in Linien, Streifen und einer Karikatur-haften Flächigkeit zu Schatten ihrer selbst, und die Panels haben keine Ränder mehr. Die Schwarze Ziege der Wälder mit den tausend Jungen hat das Zepter längst an sich gerissen.

Reinhard Kleist nähert sich in seinen Comic-Adaptionen mit ähnlich sicherem Gespür der weird fiction Lovecrafts, und einen besonders produktiven Vergleich bieten die – ihrerseits schwarz-weißen – Umsetzungen von John Coulthart, die den manisch präzisen, hyperrealistischen Schraffur-Strich an die Stelle setzen, wo bei Breccia das so expressive wie souverän gebändigte kosmische Formen-Chaos herrscht. Doch bei allem Respekt: Alberto Breccias kompromisslose, von blasphemischem Leben pulsende Schwarz-Weiß-Hypertrophien sind im Medium Comic zweifelsfrei die Großen Alten unter den Lovecraft-Aneignungen. Ein Großer Dank dem avant-verlag, der diesen Klassiker in vorzüglicher Reproduktion und insgesamt bildschöner Aufmachung zugänglich macht.

Diese Kritik erschien zuerst am 17.07.2018 auf: DieZukunft.de

Hier und hier gibt es weitere Kritiken zu Alberto Breccias „Lovecraft“.

Alberto Breccia: Lovecraft • Aus dem Spanischen von André Höchemer • avant-verlag, Berlin 2018 • Hardcover • 128 Seiten • 29,00 Euro

Sven-Eric Wehmeyer ist Übersetzer, freier Redakteur, Autor und Comic-Experte. Für Random House hat er u. a. mehrere Romane Stephen Kings und Richard Laymons ins Deutsche übertragen.