Von den Nazis in den Suizid getrieben

Am 6. April 1944 nahm sich der „Vater und Sohn“-Zeichner Erich Ohser alias e.o.plauen in seiner Gefängniszelle das Leben. Wegen regimekritischer Aussagen drohte ihm am selben Tag das Todesurteil des Volksgerichtshofs.

Ihr letzter Auftritt war so überraschend wie unerwartet. Auf einem endlos scheinenden Weg liefen Vater und Sohn dem Horizont entgegen, und plötzlich hoben sie einfach ab von dieser Welt und entschwanden, schwerelos, am Himmel. Sie waren nur von hinten zu sehen, wortlos wie immer, und drehten sich nicht ein einziges Mal um. Aber im ersten Bild hatten sie eine Nachricht hinterlassen, „Auf Wiedersehen!“, und von dem Baum, an dem der Zettel hing, regneten traurig ein paar Blätter herab.

Tatsächlich war der Abschied, den Erich Ohser alias e.o. plauen hier im Dezember 1937 von seinen Figuren nahm, kein freiwilliger. Noch in der Woche zuvor hatte er in der „Berliner Illustrirten“ die „Kehrseite des Ruhms“ geschildert: Vater und Sohn sahen sich auf Aschenbechern, Luftballons und als Kartenquartett vermarktet (darüber hinaus warben sie längst für Kekse, Schokolade, Kaffee, Zigaretten und die Sächsische Landeslotterie) und wurden von einer Menschenmenge mit Vater-und-Sohn-Masken überrannt; am Schluss sitzen sie auf einer Bank am Rand des Weges, auf dem sie in ihrer letzten Folge verschwinden werden, und starren ins Leere.

Doch war es nicht allein die ungeheure Popularität seiner Serie „Vater und Sohn“, die Ohser erdrückt und von seinen Figuren entfremdet hatte. Vielmehr war es ihm immer schwerer gefallen, ihre Integrität zu wahren in einer Zeit, deren Söhne hart wie Kruppstahl sein und „Führer befiehl, wir folgen!“ brüllen sollten. Ohser war vertraglich verpflichtet, der „Berliner Illustrirten“ wöchentlich immer mehrere Geschichten zur Auswahl vorzulegen und hatte Vater und Sohn schließlich auf einer Insel stranden lassen, wo sie ihre Abenteuer fernab der braunen Realität erleben konnten. Doch die innere Immigration ließ sich dauerhaft nicht aufrechterhalten: Nach einem halben Jahr wurden Vater und Sohn, auf einem Floß auf dem Meer treibend, von einem deutschen U-Boot aufgespürt und nach Hause gebracht. Zwei Wochen später nahmen sie Abschied von ihren Lesern.

Ohser hatte den Aufstieg der Nationalsozialisten mit Karikaturen wie „Dienst am Volk“, auf der ein Betrunkener des Nachts ein Hakenkreuz in den Schnee pinkelt, vor allem aber mit seinen beißenden politischen Zeichnungen im „Vorwärts“ kommentiert und war Anfang 1934 mit Berufsverbot belegt worden. Zu dieser Zeit suchte Kurt Kusenberg für die „Berliner Illustrirte Zeitung“ eine Bilderserie mit „stehenden Figuren“. Er hatte 32 Zeichner um Entwürfe gebeten, und Ohsers Arbeiten erschienen ihm am vielversprechendsten. Bei einem Treffen fiel die Wahl unter mehreren Ideen schnell auf „Vater und Sohn“, denn Kusenberg erkannte, dass das Thema viele Gags hergab. Der politische Berater der Zeitschrift legte im Propagandaministerium Proben vor, und erst, nachdem die Anklang gefunden hatten, nannte er den Namen des Zeichners. So erhielt Ohser die Erlaubnis, „unpolitische Zeichnungen“ zu veröffentlichen, allerdings nur unter Pseudonym. Er entschied sich für e.o.plauen. Unter dieser Signatur erschien am 13. Dezember 1934 die erste „Vater und Sohn“-Folge, und drei Jahre lang folgte auf den Romanseiten der „Berliner Illustrirten“ jede Woche eine neue. Insgesamt sollten es 157 werden.

Erich Ohser, Dienst am Volk, Neue Revue, 1931.

Ohsers Helden haben nichts gemein mit dem heroischen Menschentypus, den Leni Riefenstahl oder Arno Breker propagierten: Als sie im Sommer 1936 an den Olympischen Spielen teilnahmen, hielten sie sich nicht an die Regeln, und in der Folge „Angst macht Beine“ wurde der Sohn nur deshalb zum Wettlauf-Sieger, weil er vor seinem wütenden Vater wegrennen musste. „Er war ein Zeichner von Eigenart und Genie“, würdigte Friedrich Luft Ohser 1977 in „Hundert Jahre Ullstein“. „In einer ekelhaften, lügnerisch ‚total‘ politisierten Epoche gelang es ihm, eine kleine Oase fast unbekümmerter Menschlichkeit zu schaffen.“ „Vater und Sohn“ wurde ein sofortiger Erfolg, schon Ende 1935 erschien ein erster Sammelband mit 50 Episoden (ein zweiter folgte 1936, ein dritter 1938) und verkaufte sich 90.000 Mal. Serienfiguren, wie es sie in den amerikanischen Tageszeitungen seit 40 Jahren gab, waren in Deutschland noch so gut wie unbekannt, und vielen Kollegen war Ohsers Erfolg suspekt. Schließlich tauchten sogar Spottzeichnungen auf, etwa im „Simplicissimus“, wo Anton Leidl den Vater 1937 mit schiefem Kopf und an Krücken im Jahre 1965 zeigte: „Tja, lieber Papa, so viel Fortsetzungen hält auf Dauer kein Mensch aus!“ Neid scheint es ebenfalls gewesen zu sein, der 1936 zu einem erneuten Berufsverbot führte, gegen das der Ullstein Verlag aber intervenieren konnte. Allerdings musste Ohser seine Figuren nun dem Winterhilfswerk als Werbung zur Verfügung stellen und wie andere Prominente auch an Straßensammlungen mitwirken; selbst sein fünfjähriger Sohn Christian wurde zur Teilnahme genötigt. Im Jahr darauf gab Ohser „Vater und Sohn“ auf.

Anfang 1944 wurden Ohser und sein Freund Erich Knauf von einem Nachbarn denunziert und wenig später von der Gestapo verhaftet. Goebbels hatte Ohsers scharfe Attacken gegen den Nationalsozialismus im „Vorwärts“ nicht vergessen und drängte auf schnelle Aburteilung. Ohser wusste, was von Freislers Volksgerichtshof zu erwarten war, und nahm sich am Morgen vor der Verhandlung in seiner Zelle das Leben. Knauf hatte er zuvor durch ein „Geständnis“ entlastet. In dem Abschiedsbrief an seine Frau schrieb er: „Mache aus ihm [Christian] einen Menschen; ich gehe mit glücklichem Lächeln.“

Im Schlussbild der letzten „Vater und Sohn“-Folge, in der die Figuren am Himmel entschwunden waren, hatte der Mond das Gesicht des Vaters angenommen. Er hat die Augen geschlossen und lächelt, und neben ihm leuchtet funkelnd ein junger Stern. Über der Welt unter ihnen jedoch lag tiefschwarze Nacht.

Erich Ohser wurde am 18. März 1903 in Untergettengrün in der Nähe des sächsischen Plauen geboren. Nach einer Schlosserlehre besuchte er ab 1920 die Akademie für graphische Künste und Buchgewerbe in Leipzig, wo er Freundschaft mit Erich Knauf, dem späteren Cheflektor der Büchergilde Gutenberg, und Erich Kästner, dessen Bücher Ohser bald darauf illustrieren sollte, schloss. 1927 siedelten Ohser und Kästner nach Berlin über (Knauf folgte zwei Jahre später), wo Ohser als Schnellzeichner in Werner Finks Kabarett „Die Katakombe“ auftrat und Karikaturen im „Querschnitt“, in der „Neuen Revue“ und im sozialdemokratischen „Vorwärts“ veröffentlichte, bis ihm am 27. Januar 1934 „aufgrund Ihrer früheren exponierten publizistischen Tätigkeit im marxistischen Sinne“ die Aufnahme in den Reichsverband der deutschen Presse verweigert und damit de facto Berufsverbot erteilt wurde. Doch gelang es dem Ullstein Verlag, dessen jüdische Inhaber das damals größte europäische Verlagshaus gerade an die NSDAP hatten zwangsveräußern müssen, die Zustimmung des Propagandaministeriums dafür zu erwirken, dass Ohser für die „Berliner Illustrirte“ die Serie „Vater und Sohn“ zeichnen konnte, allerdings nicht unter seinem Namen. Ohser entschied sich für das Pseudonym e.o.plauen – Erich Ohser aus Plauen. Auch ein weiteres Berufsverbot konnte Ullstein 1936 abwenden, allerdings musste Ohser seine Figuren nun dem Winterhilfswerk für Werbezwecke zur Verfügung stellen und ab 1940 auch Karikaturen für die von Goebbels gegründete Zeitschrift „Das Reich“ zeichnen. 1943 wurde zuerst Ohsers Wohnung, dann sein Atelier ausgebombt. Wenig später denunzierte ein Gestapo-Spitzel Ohser und Knauf wegen „staatsfeindlicher Äußerungen“, am 28. März 1944 wurden die Freunde verhaftet. Erich Ohser nahm sich am 6. April in seiner Zelle das Leben, Erich Knauf wurde am 2. Mai hingerichtet.

Dieser Beitrag erschien zuerst in dem Buch: Andreas C. Knigge: „50 Klassiker Comics. Von Lyonel Feininger bis Art Spiegelman“, Gerstenberg Verlag, Hildesheim, 2004.

Andreas C. Knigge, geboren 1957, war Mitbegründer des Fachmagazins „Comixene“, Herausgeber des „Comic Jahrbuchs“ und 16 Jahre Cheflektor des Carlsen Verlags. Neben einem Comic-Lexikon und zahlreichen Sachbüchern zum Thema hat er auch Comic-Szenarios geschrieben. Zuletzt erschien von ihm „Der Griff nach den Sternen. Nick der Weltraumfahrer von Hansrudi Wäscher“.