Ein Boxer, der Damenhüte entwirft – „Knock Out!“

Reinhard Kleist gehört seit mehr als 20 Jahren zu den erfolgreichsten deutschen Comickünstlern. Mit „Knock Out!“ hat er sich zum ersten Mal ganz explizit einem schwulen Thema gewidmet.

Der schwarze Boxer Emile Griffith war mehrfacher Weltmeister im Welter-, Halbmittel- und Mittelgewicht. Einer, der Anfang der 60er Jahre bei der Titelverteidigung seinen Gegner totgeschlagen hat. Ein harter Kerl, sollte man meinen. Doch Reinhard Kleist zeichnet die Konturen des Boxerkörpers so liebevoll mit seinem Pinsel nach, dass der ganz weich wirkt.

Reinhard Kleist: „Der Boxer wurde jetzt ein bisschen mehr mit Samthandschuhen angefasst, weil es ja auch zu der Geschichte passt. Es ist eine ruppige Geschichte, schon, da wird ja auch ordentlich zugelangt, aber vom Stil her wollte ich da ein bisschen softer bleiben und mich da zurücknehmen mit dem expressiven Strich.“

Ein Boxer, der Damenhüte entwirft

Tatsächlich lässt sich Emile Griffith nicht in eine Schublade stecken. Er pflegt einen exaltierten Lebensstil und entwirft auch noch verspielte Damenhüte mit Blumen und Schleifen. Eine Facette seines Lebens, über die die Sportreporter genauso geflissentlich hinwegsehen wie darüber, dass er schwul ist.

Reinhard Kleist (Autor und Zeichner): „Knock Out!“.
Carlsen, Hamburg 2019. 160 Seiten. 18 Euro

„Er hat es halt nie an die große Glocke gehängt, er hat nie da drüber geredet. Er wollte einfach, dass die Leute ihn so akzeptieren, wie er ist. Er hat das auch nicht versteckt, es wussten auch alle und keiner hat groß was dazu gesagt aus seinem Umfeld. Allerdings haben Gegner das schon gegen ihn genutzt. Und das ist dann auch letztlich das, woran er gescheitert ist.“

Reinhard Kleist zeigt in seinem Comic, wie Emile Griffith das immer wieder mit Freundlichkeit pariert. Manchmal bringen ihn solche Beleidigungen aus dem Konzept und er verliert einen Kampf. Und irgendwann gibt es eine homophobe Beleidigung zu viel – in der zwölften Runde, als beide Boxer nach dem harten Kampf erschöpft sind, platzt Griffith der Kragen und er prügelt so sehr auf seinen Gegner ein, dass der stirbt.

„Das ist schon die dramaturgische Wucht der Geschichte.“

Bitte keine Opferrolle

Reinhard Kleist hat schon immer schwule Figuren in seine Geschichten eingebaut, den schwulen Revolutionär in seiner Fidel-Castro-Biografie zum Beispiel. Denn für ihn gehört Homosexualität ganz normal zum Leben dazu. Einen Comic über einen Schwulen wollte er trotzdem nicht machen – weil solche Geschichten so oft darauf hinauslaufen, dass der Schwule die Opferrolle übernimmt. Doch dann traf Kleist auf Emile Griffith.

„Es gibt ja auch Erfahrungen, die ich selber gemacht habe. Ich bin auch schon mal homophob angegangen worden auf der Straße. Im familiären Rahmen, wo ich auch mal von Verwandten Gegenwind bekommen habe, insofern gab es schon eine gewisse Identifikation mit der Figur. Ich habe jetzt selber mit Boxen nicht so viel zu tun. Ich glaube, über das Thema Boxen oder Sport kommt man an so ein Thema ganz anders ran und das war mit auch an dieser Geschichte wichtig.“

Reinhard Kleist zeigt, wie Emile Griffith Opfer und Täter zugleich ist und richtet seine ganze Comicdramaturgie danach aus. Auf den ersten Seiten des Buchs wird Griffith zusammengeschlagen, nachdem er aus einer Schwulenbar kommt. Dem Mann, der ihm danach hilft und in durch New York bis ins Krankenhaus begleitet, wird Griffith im Comic seine Lebensgeschichte erzählen. Es ist ein imaginierter Dialog, denn der Gesprächspartner ist der Boxer, den Griffith totgeschlagen hat.

Kann man einen Kampf ungeschehen machen?

„Ich hab beim Lesen von seiner Biografie festgestellt, dass eigentlich alles in seinem Leben auf diesen Kampf herausgelaufen ist, beziehungsweise danach sein Versuch damit klarzukommen, was passiert ist. Und insofern habe ich auch das Buch danach aufgebaut, dass alles auf diesen Kampf zuläuft und dass dieser Kampf in der Mitte des Buchs ist. Für mich war es wichtig, darzustellen, wie Emile Griffith damit umgegangen ist und wie er dagegen gekämpft hat, was dieser Kampf in seinem Leben angerichtet hat. Er wollte das ungeschehen machen, er wollte das vergessen, er wollte, dass das nie geschehen ist.“

Der Tod des Kollegen hat Griffith so mitgenommen, dass er als Boxer seine Schlagkraft verlor und K.O.-Chancen nicht mehr konsequent umsetzen konnte. Seine schwule Identität wurde zum wunden Punkt, der ihn scheitern ließ, weil es damals unmöglich war, offen homosexuell zu leben. Im Sport ist das bis heute schwierig.

„Beim Profifußball der Männer ist es halt tatsächlich so: Das traut sich keiner, während der Profikarriere zu sagen, er sei homosexuell. Das hat halt Hitzlsperger nach seiner Karriere gemacht, aber Profifußballer würden das vor dem Ende ihrer Karriere nicht machen.“

Dieser Text erschien zuerst am 06.09.2019 in: Deutschlandfunk

Andrea Heinze arbeitet als Kulturjournalistin u. a. für kulturradio rbb, BR, SWR, Deutschlandfunk und MDR.

Seite aus „Knock Out!“ (Carlsen Verlag)