„Wir haben Frankfurt nach vorne gebumst!“

© TITANIC Verlag

„Birne“, „Die roten Strolche“, „Zonen-Gaby“: „Titanic“, das traditionsreiche „endgültige Satiremagazin“ aus dem westdeutschen Frankfurt, wird dieser Tage 40 Jahre alt. Am 2.10. wird deshalb im Caricatura-Museum Frankfurt die Ausstellung „40 Jahre Titanic – Die endgültige Titelausstellung“ eröffnet, in der nicht nur eine Auswahl von Titelseiten zu sehen sein wird. Darüber hinaus präsentiert man „die Skandale, die verbotenen Seiten“ und gewährt „einen Blick in die Werkstatt der Redaktion. Es erwarten Sie zahlreiche Originalwerke von F. K. Waechter, Hans Traxler, Robert Gernhardt, Hilke Raddatz, Rudi Hurzlmeier, Franziska Becker, Wolfgang Herrndorf, Ernst Kahl, Michael Sowa, Greser & Lenz“ und vielen anderen, so teilt das Museum mit. Außerdem erschien soeben im Verlag Antje Kunstmann das Buch „Titanic – Das endgültige Titel-Buch. 40 Jahre nur verarscht!“, ein großformatiger Prachtband, der nicht nur sämtliche Titelbilder aller bisher erschienenen Ausgaben der Zeitschrift enthält, sondern auch zahlreiche Textbeiträge.
Chefredakteur des Satiremagazins ist seit Januar dieses Jahres Moritz Hürtgen. Mit ihm sprach Thomas Blum.

Thomas Blum: Gegründet wurde das Satiremagazin „Titanic“ 1979 als unabhängiges kleines Blatt für eine in Deutschland verschwindend kleine Minderheit, nämlich humorbegabte Menschen. Heute hat die Zeitschrift eine eigene Partei (Die PARTEI) und zwei Abgeordnete im Europaparlament. Da kann man wohl von einer Erfolgsgeschichte reden.

Moritz Hürtgen: Erfolgsgeschichte, ja, natürlich. „Titanic“ hat jetzt Zugriff aufs Herz von Europa, den direkten. Es ist aber auch ein bisschen gefährlich: Die Parlamentarier, die von Ihnen erwähnt wurden, die haben ihren eigenen Kopf. Einer ist jetzt neu im Parlament, der andere ist diesem Betrieb aber schon fünf Jahre ausgeliefert. Das merkt man. Denn der entwickelt ganz neue Verhaltensweisen. Er ist mittlerweile ein typischer Parlamentarier.

Von Martin Sonneborn (MdEP, Die PARTEI) ist die Rede, der zwischen 2000 und 2005 Chefredakteur von „Titanic“ war?

Genau, und der meint jetzt, uns aufs Dach steigen zu können, und schmeißt mit Geldern um sich und erwartet, dass wir ihm „Gefallen tun“.

Das heißt, angesichts ehemaliger Chefredakteure, die jetzt Parlamentarier sind und korrumpiert, muss man aufpassen, dass diese Art der Korruption nicht auf die „Titanic“-Redaktion übergreift?

Ja, genau. Die Redaktion muss zusammenhalten. Keiner darf sich kaufen lassen von diesem Brüsseler Geld. Wir sind natürlich ständigen Attacken von dort ausgeliefert. Sonneborn versucht immer, einzelne Redakteure umzudrehen, mit großen Beträgen. Bisher konnten wir uns dem aber entziehen. Normalerweise verlassen hier Chefredakteure nach fünf Jahren die Redaktion und stürzen ins Bodenlose: verbrannte Existenzen, keine Chancen überhaupt. Und das ist auch gut so, weil dann können sie der Redaktion nichts anhaben. Der Fall Sonneborn ist da viel schwieriger, weil er ja immer weiter nach oben strebt.

Hardy Burmeier, Leonard Riegel, Martina Werner, Tim Wolff (Hg.): „Titanic – Das endgültige Titelbuch. 40 Jahre nur verarscht!“
Verlag Antje Kunstmann, Berlin 2019. 416 Seiten. 40 Euro

Was die „verbrannten Existenzen“ angeht: Zwei ehemalige „Titanic“-Chefredakteure sind schon länger Kolumnisten dieser Tageszeitung, des „neuen deutschland“, und eine derzeitige „Titanic“-Redakteurin, Paula Irmschler, kolumniert ebenfalls für uns. Heißt das, dass wir nur „verbrannte Existenzen“ beschäftigen, die von „Titanic“ schon verbraucht worden sind?

Sehen Sie, wenn man mein Amt, das des „Titanic“-Chefredakteurs, bekommt, dann freuen sich ja viele Leute mit einem, Freunde und Familie. Und die denken dann: Na ja, jetzt fünf Jahre das und dann geht’s irgendwo hoch hinaus – „Spiegel“ oder Axel-Springer-Hochhaus und sehr viel Geld. Stattdessen jedoch muss man dann beim „neuen deutschland“ Kolumnen schreiben. Das möchte ich jetzt gar nicht despektierlich herunterreden. Aber die Erwartungen sind natürlich erst mal andere.

Wie hoch ist denn die Auflage von „Titanic“? Darf man das erfahren?

Wir haben eine Auflage von 99.706 Exemplaren, und die verkaufen wir auch jedes mal komplett. Unser Ziel ist es, das allerletzte Printprodukt zu sein, das man noch am Bahnhof und am Kiosk kriegt.

„Titanic“ gibt es jetzt seit 40 Jahren. Gab es Zeiten, in denen die Auflage drastisch gesunken ist oder gestiegen?

Seitdem ich im Amt bin, seit Januar, läuft es wieder sehr, sehr gut. Da verkaufen wir eigentlich immer fast alles. Jetzt, zum Jubiläum, gibt es natürlich auch noch mal eine erhöhte Auflage. Da müsste ich aber jetzt im Verlag nachfragen, ob wir die jetzt verdrei- oder vervierfacht haben.

Satire zeigt keinerlei Wirkung, zumindest kein langfristige, wie man weiß. Trotzdem die Frage: Wäre heute nicht die immer mehr erstarkende AfD ein geeignetes Ziel von Satire, die ja zumindest in bestimmten Regionen Deutschlands und in den Medien allgegenwärtig ist. Oder zögert man, sich die Neonazis vorzunehmen, um sie nicht noch präsenter in den Medien zu machen?

„Titanic“ hat sich immer mit rechten Parteien und Nazis auseinandergesetzt. Es gab auch schöne Titelbilder, etwa in den 1990ern den „Nazis kriegen keinen mehr hoch“-Titel, als es damals in Rostock zu rassistischen Ausschreitungen kam. Wir haben da überhaupt keine Ängste. Man sollte aber nicht über jedes Stöckchen springen. Interessant ist eher, sich mit dem Umgang der Medien mit der AfD auseinanderzusetzen, also den öffentlich-rechtlichen Sendern, die sich von dieser Partei fortwährend treiben und erpressen lassen. An dem unfähigen Personal der Fernsehanstalten oder an den Talkshows lässt sich gut zeigen, von wem die AfD da profitiert und warum sie so stark ist, wie sie es derzeit ist.

Warum muss da erst ein Satiremagazin kommen und das bemerken, dass der Umgang vieler deutscher Medien mit der AfD katastrophal ist?

Dafür sollte es tatsächlich kein Satiremagazin benötigen. Es gibt aber auch andere Publikationen, vornehmlich aus dem linken Spektrum, die das begriffen haben. Es fällt vielen Journalisten schwer, die Grenze zur AfD zu ziehen. Mit der NPD und den glatzköpfigen Nazis war das noch recht einfach, weil die böse aussahen, weil man damit nichts zu tun hatte. Aber es scheint der Glaube da zu sein, dass in Deutschland nicht über zehn Prozent der Bevölkerung rassistisch sein können. Und dieser Glaube ist unerschütterlich. Da sollte man zeigen, wie falsch dieser Glaube ist. Natürlich wird es sehr unbequem, wenn man sich mit der Wahrheit auseinandersetzt, dass potenziell 30 Prozent, vielleicht mehr, bereit sind, eine rechtsradikale Partei zu wählen. Wir von „Titanic“ haben keine Angst, mit diesem Szenario umzugehen. Wir reagieren auf das, was andere machen. Und wir reagieren lieber auf Medien, auf große Medien.

Die Anzahl der eher verträglichen, weltoffenen, toleranten Leute scheint zu sinken und die Anzahl der autoritär strukturierten, dogmatischen, verkniffenen Leute, die nach „starker Führung“ rufen, scheint zu steigen. Sind das eher gute oder schlechte Zeiten für Satire?

Es sind immer gute Zeiten für Satire. Zumindest wenn man weiß, wie man sie macht. Wir stellen hier nicht jeden Tag neu irgendwelche politischen Überlegungen an, bevor wir Witze machen. Wir bei „Titanic“ wissen, was unsere Position ist. Deswegen müssen wir darüber im einzelnen auch gar nicht mehr nachdenken. Das Nachdenken passiert eigentlich lang vor dem Satiremachen. Deswegen können wir auch auf alles reagieren. „Titanic“ hat funktioniert in den Zeiten der Spaßgesellschaft, in den späten 1990ern mit Schröder, Fischer usw. Und „Titanic“ funktioniert heute mit der AfD. Wenn die AfD Wahlen gewinnt oder hohe Prozentzahlen holt, finde ich das persönlich furchtbar. Aber es ist nicht gut oder schlecht für Satire. Es ist einfach so.

Jetzt, 40 Jahre nach der Gründung des „endgültigen Satiremagazins“, soll es eine große Ausstellung von legendären „Titanic“-Titelbildern im Caricatura-Museum und sogar eine hochoffizielle Feierstunde im Frankfurter Römer geben. Man bekommt den Eindruck, es geht pfeilgrad in Richtung Establishment und in Richtung…

Ja.

…sozusagen in Richtung des endgültigen Sich-Arrangierens mit der Macht. Können Sie das so bestätigen?

Ich kann das bestätigen und gleichzeitig das Gegenteil behaupten. So würde ich das jetzt auch am liebsten machen. Natürlich klingt das nach sehr viel, wenn uns der Oberbürgermeister Frankfurts empfängt im Kaisersaal und uns ehrt. Ich bin aber auch der Meinung, dass „Titanic“ sich das gerade in Frankfurt – wir sind ja ein Frankfurter Magazin – verdient hat. „Titanic“ kommt aus der sogenannten Neuen Frankfurter Schule, und die Herren, die „Titanic“ damals gegründet haben, die waren eigentlich Offenbacher und haben sich dann, um der Stadt Frankfurt zu helfen, ihren Redaktionssitz nach Frankfurt verlegt. Das haben wir jetzt beim Gang durch die Archive festgestellt, dass da getrickst wurde. Außerdem weiß man ja, dass Sonneborn seinerzeit die Fußball-WM nach Deutschland geholt hat. Jetzt baut der DFB hier in Frankfurt ein großes Leistungs- und Ausbildungszentrum. Das würden sie sicher nicht tun, wenn es diese Erfolgs-WM 2006 nicht gegeben hätte. Also: „Titanic“ hat Frankfurt wirklich – ich möchte das mal salopp sagen – nach vorne gebumst in den letzten Jahrzehnten. Und jetzt holen wir uns nur wieder, was uns zusteht.

Könnte es sich nicht auch um eine perfide Nummer der Frankfurter Mächtigen handeln, praktisch Stadtmarketing zu machen mit „Titanic“? „Bei uns sitzt diese bekannte Satirezeitschrift! Blabla! Wir können stolz auf Frankfurt sein!“ Na ja, eben so der übliche Mumpitz.

Ja, das passiert dabei natürlich. Das lässt sich leider nicht verhindern. Wir sind ja auch hier ein Betrieb, eine junge Redaktion, aber mit einem großen Berg an alten Leuten dahinter, die brauchen natürlich so eine Ausstellung. Die können auch so ein kleines Heft gar nicht mehr gut lesen. Deswegen ist es besser, sie können in die Ausstellung gehen und sich die jeden Tag aufs neue angucken. Klar feiert sich der Frankfurter Oberbürgermeister mit „Titanic“, aber der Festakt ist ja noch nicht gelaufen. Und ich darf direkt nach dem Herrn Feldmann sprechen. Wollen wir mal gucken, wer da wem am Ende nutzt.

40 Jahre „Titanic“, 30 Jahre „Wiedervereinigung“. Doch noch immer unterscheidet sich der Humor auf dem Gebiet der ehemaligen DDR von dem auf dem Gebiet der alten Bundesrepublik. Wie viele Abonnements hat die „Titanic“ auf dem Gebiet der ehemaligen DDR?

Sieht man von Ostberlin und Leipzig ab, könnte man mit der Redaktion unsere Leserinnen und Leser dort wahrscheinlich bequem an einem Nachmittag besuchen. Das ist auch in Ordnung so. „Titanic“ war ein Blatt der alten Bundesrepublik. Wir haben immer noch unseren Leitsatz im Impressum stehen: „Die endgültige Teilung Deutschlands, das ist unser Auftrag.“ Und dafür kämpfen wir natürlich weiter. Und alles, was bei Landtagswahlen geschieht, zeigt ja, dass „Titanic“ bei der Erledigung dieses Auftrags sehr erfolgreich ist. Die Mauer ist weg, aber gleichzeitig ist sie gewachsen. Wir hatten irgendwann einmal die Titelschlagzeile „Hurra, die Mauer wächst nach“. Und das bestätigt sich heute ja eigentlich wöchentlich in den Nachrichten.

Womit hat der unterschiedliche Humor in beiden Teilen Deutschlands zu tun? Im Osten gibt es den eher gemäßigten „Eulenspiegel“. Der West-Humor der „Titanic“ wird im Osten nicht selten als höhnisch oder geschmacklos wahrgenommen.

Ja, höhnisch und geschmacklos, das würde ich bestätigen, dass „Titanic“ so ist. Interessanterweise haben wir in unserer Redaktion auch Redakteurinnen und Redakteure, die aus den neuen Bundesländern kommen und zum Teil auch noch vor der sogenannten Wende geboren wurden. Und das zeigt ja: Man kann es schaffen, man kann es rüberschaffen in den Westen, nach wie vor. Es ist nicht leicht, aber man kann dann die richtige Westsatire, die „Titanic“-Satire lernen. Ich finde, das macht Mut.

Begeben sich Satiriker heute mit ihrem Beruf in Gefahr? Ich denke zum Beispiel an den Terroranschlag auf die Kollegen der französischen Satirezeitung „Charlie Hebdo“. Oder ist es eher so, dass Satire heute allen wurscht ist, weil sowieso die Analphabetenquote ständig zunimmt?

„Titanic“-Satiriker waren nie ein Ziel für Terroristen. Da musste man und muss man keine Angst haben als Satiriker. Das ganze Land fährt ja mittlerweile voll auf Satire ab, und ich glaube, es gibt mittlerweile auch die ersten Satire-Millionäre, und die müssen eher Angst haben, dass das Finanzamt sie kriegt. Ich glaube, die Gefahr, dass man über den Haufen geschossen wird, besteht zum Glück nicht und hat auch in den letzten Jahren nicht bestanden.

Satire-Millionäre?

Die erfolgreichen TV-Shows wie die „heute-Show“! Dieser Fußballmoderator, der das moderiert, ich glaube, die machen ordentlich Kasse, das sind wahrscheinlich Satire-Millionäre.

Ich würde diese Art von alberner Gag- oder Comedy-Show, die Sie jetzt hier anführen, nicht unter dem Rubrum „Satire“ zusammenfassen.

Überall, wo Satire draufsteht, ist auch Satire drin. Es gibt auch andere Satire als die von „Titanic“, und Satire boomt. Überall ist Satire. Die Leute gucken zum Teil keine Nachrichten mehr, sondern Satire. Unsere Aufgabe ist es festzulegen, was in solchen Boom-Zeiten der Satire noch endgültige Satire sein kann. Daran arbeiten wir.

Die Presse insgesamt wird ja als eine sterbende Branche wahrgenommen. Viele Leute lesen bloß noch Fake News im Internet und glauben alles, was sie da lesen. Ist auch „Titanic“ – als eine Art Special-Interest-Monatsmagazin – von der Zeitungskrise betroffen? Also dadurch, dass es Satire im Netz gibt oder sogenannte Satire im Netz?

Nein, ich kann dieses ganze Gejammer von vielen Journalisten nicht mehr hören. „Titanic“ profitiert massiv von dieser Entwicklung. Auch im Internet, auch von Fake News. Wir haben uns in den letzten anderthalb, zwei Jahren – den Begriff „Fake News“ mag ich gar nicht – auf diesem Falschmeldungs- und alternativen Wahrheitsmarkt auch ganz schön eingebracht und wir profitieren davon sehr, weil wir ganz vielen unterschiedlichen Leuten die Möglichkeit bieten, dass sie sich via „Titanic“, sei es nun online oder mit dem Heft, ihre eigene Welt zusammenbauen können mit ihren eigenen Wahrheiten. Deswegen ist das für „Titanic“ eigentlich alles prima, was da passiert. Ich möchte mich da überhaupt nicht beklagen.

Das heißt, Sie schauen in eine rosige Zukunft?

Ich gehe davon aus, dass jetzt, nach 40 Jahren, langsam hier alles gut und solide wird, ja.

Dieses Interview erschien zuerst am 28.09.2019 in: Neues Deutschland

Thomas Blum, Jahrgang 1968, arbeitet seit 1999 als freier Autor für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften (u. a. Konkret, Berliner Zeitung, Stadtrevue Köln). Von 1999 bis 2011 war er in der Redaktion der linken Wochenzeitung Jungle World tätig. Seit 2013 ist er Redakteur im Feuilleton der Tageszeitung Neues Deutschland.