Reise ins Ungewisse – „Liberty Bessie“

Oktober 1944: Farell Bates, ein Jagdflieger der Red Tails, einer Fliegerstaffel, die nur aus schwarzen Piloten besteht, wird bei einem Luftkampf über Italien abgeschossen. Seitdem gilt er als verschollen. Vier Jahre später macht seine Tochter Bessie in Tuskegee, Alabama, der damaligen Heimatbasis der Red Tails, ihre Pilotenlizenz. Sie will in die Fußstapfen ihres Vaters treten, bekommt aber als Neuling keinen Job, da das Angebot an aus dem Krieg zurückgekehrten Piloten zu groß ist. Nach einigen Monaten erhält sie überraschend Post aus Paris. Ein Päckchen mit der Erkennungsmarke ihres Vaters! Aber wie gelangt diese dorthin? Mit Hilfe ihres Mentors Roscoe, der sich die Schuld am Tod seines Freundes Farell gibt, fliegt Bessie nach Frankreich, um das Schicksal ihres Vaters endgültig zu klären. Dort ergattert sie einen Job in einer zwielichtigen Frachtfluggesellschaft und erfährt, dass die Erkennungsmarke aus einem italienischen Jagdaufklärer stammt, dessen Wrack in Libyen nahe Tripolis gefunden wurde. Nach einem missglückten und gefährlich verlaufenen Auftrag verschlägt es Bessie tatsächlich nach Nordafrika, wo sie in der Nähe von Algier landet…

Jean-Blaise Djian, Pierre-Roland Saint-Dizier (Autoren), Vincent (Zeichner): „Liberty Bessie Band 1.“
Aus dem Französischen von Harald Sachse. Splitter Verlag, Bielefeld 2019. 56 Seiten. 16 Euro

„Liberty Bessie“, als Zweiteiler angelegt, ist kein reiner Fliegercomic wie „Buck Danny“ & Co. Dreh- und Angelpunkt der Story ist die Suche Bessies nach ihrem Vater, der zwar als tot gilt, dessen Verbleib aber nach wie vor ungeklärt ist, was Bessies Familie noch immer schmerzt. Mit dem Fund der Erkennungsmarke fasst Bessie einen mutigen Entschluss und packt die Gelegenheit beim Schopf, endlich Gewissheit über das Schicksal ihres Vaters zu erlangen. Dieses zentrale Motiv wird immer wieder von Episoden und Personen, die Bessies Weg kreuzen, ergänzt. Sie bekommt endlich einen Job als (Co-)Pilotin, aber sowohl ihre Arbeitgeber als auch ihr Chefpilot sind offensichtlich nicht ganz astrein. Bis die seltsamen nächtlichen Aufträge in einem Desaster enden und Bessie auf der Flucht wieder einen Schritt wagt, das Rätsel um ihren Vater zu lösen. Das erweist sich als Schnitzeljagd, hangelt sich Bessie doch von einem Hinweis zum nächsten, indem sie die Spur der gefundenen Erkennungsmarke verfolgt und rekonstruiert.

Die Autoren Jean-Blaise Djian (u. a. „Die Vier von der Baker Street“, „Der große Tote“, „Die Kapuzinerschule“) und Pierre-Roland Saint-Dizier (abgekürzt PRSD) verzichten dankbarerweise darauf, Bessie als Pin-Up Girl darzustellen. Sie erweist sich vielmehr als eine starke, selbstbewusste und auch zielgerichtete junge Frau, die das ungeklärte Schicksal ihres Vaters umtreibt und eine mutige Reise ins Ungewisse – mit unklarem Ausgang – wagt. Sie wird flügge – im wahrsten Sinne. Die Red Tails (das Heck ihrer Flugzeuge war rot gestrichen), offiziell Tuskegee Airmen genannt, gab es wirklich. Sogar ein (mäßig erfolgreicher) Kinofilm wurde 2012 über die Fliegerstaffel gedreht („Red Tails“, Regie: Anthony Hemingway). Djian und PRSD greifen die Thematik der schwarzen Piloten auf, verzichten dabei weitgehend auf rassistische Episoden und stellen vielmehr die Familiengeschichte in Form der Suche nach dem Vater und die Erlebnisse der jungen Pilotin dabei in den Vordergrund.

Inszeniert ist die Story von Vincent (d. i. Vincent Beaufrère), von dem Splitter bereits diverse Reihen im Programm hat (u. a. „Albatros“, „Chimaira 1887“) und der vor seiner Comic-Karriere als 3D Modeller für Videospiele tätig war. So nimmt es nicht wunder, dass seine Flugzeuge und Gebäudeansichten samt Beschriftungen und Werbeschildern, auch dank den abgestuften, überraschend bunten und zugleich dezenten Farben, einen wunderbaren 3D-Touch aufzeigen. Dem gegenüber stehen kleine Abzüge in der B-Note in Form von Schwächen in der Darstellung der stilisierten Figuren, die nicht immer sauber ausgearbeitet sind und v. a. im Kleinen schwammig erscheinen. Band 2 ist noch in der Mache und auch im Original bei Glénat noch nicht erschienen. Freunde von Fliegercomics und originellen Abenteuergeschichten können hier einstweilen bedenkenlos zugreifen.

Dieser Text erschien zuerst auf: Comicleser.de

Bernd Weigand ist schon über vier Jahrzehnte in Sachen Comics unterwegs: lesen, sammeln, übersetzen. Schreibt auch seit 20 Jahren über Comics, seit 2010 auf comicleser.de.

Seite aus „Liberty Bessie“ (Splitter Verlag)