„Die Klapperschlange“ revisited

© Cross Cult

Man wundert sich schon ein wenig: Ein Buch über John Carpenters „Escape from New York“, dessen Filmographie gerade mal bis – eben – 1981 geht – also „Dark Star“ umfasst, „Assault“, „Halloween“, „The Fog“ sowie die TV-Arbeiten „Das unsichtbare Auge“ und „Elvis“, nebst dem Drehbuch zu „Die Augen der Laura Mars“? Keine Kontextualisierung, kein Wort über die urbanen Dystopien der Zeit, nicht zu Cyberpunk, nicht zu Philip K. Dick, nicht zu „Blade Runner“. „Titan Books 1981“, sagt das Impressum. Die Homepage von Titan sagt allerdings 2021 – angeblich mit „brandneuen Interviews“, die jedoch nicht zu datieren sind, und ansonsten gespickt mit Material aus älteren Autobiographien und Bonusmaterial diverser DVD-Fassungen. Nachdenklich macht, dass man fast alles, was der Band für 40 Euro zu erzählen hat, auch für lau bei Wikipedia nachlesen kann. 

Aber so ist das halt mir „Fan-Büchern“ – man erfährt nix grundsätzlich Neues, das aber umfänglich. Dazu knappe Porträts der beeindruckenden Schauspieler-Riege – neben Kurt Russell Adrienne Barbeau, Donald Pleasance, Issac Hayes, Ernerst Borgnine, Harry Dean Stanton und Lee van Cleef (alle nicht unbedingt auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, aber alle großartig). Natürlich auch John Carpenter – großartig, weiß immer was er will, setzt sich immer durch, hat einen wunderbaren Regie-Stil, funkelt vor Ideen usw.

Das ist alles nicht falsch, liest sich aber dennoch wie PR-Material. Interessanter sind dann schon die Ausführungen zu den Produktionsbedingungen eines Low-Budget-Films, die die beteiligten Gewerke abarbeiten: Location, Modell, Bühne, Ausstattung, Kostüme, Animation, Vorspann, Musik, Licht, Kamera, Visual Effects – Schnitt eher nicht. Tenor dabei: Alles sollte möglichst authentisch und echt wirken, was es natürlich nicht tut. Und genau das macht ja den Charme dieses wunderbaren Juwels von B-Movie aus (den Ausdruck „exploitation movie“ mag ich an der Stelle nicht), bei dem man keine Sekunde das Gefühl hat, irgendetwas Authentischem beizuwohnen. Irgendjemand hat mal richtig gesagt, der Cyberpunk in Folge von William Gibson hätte vor allem die „Attitude“ von Dystopien verändert, das Styling, die Klamotten, die Sounds – all dem sei der tinge of noir zu verdanken, der in die pessimistische Science Fiction der späten 1970er und 1980er Einzug gehalten hat. Auch zu diesem Aspekt hat der Band nichts zu sagen.

Seite aus „Die Klapperschlange. Die Entstehungsgeschichte des Kultfilms“ (Cross Cult)

Filmarbeit ist Teamarbeit, klar, und vielleicht liegt darin wenigstens ein bisschen Sinnhaftigkeit solcher Fan-Bände: Sie kümmern sich um die vielen Leute, die nicht prominent an dem Entstehen des Kunstwerks beteiligt waren und deren Namen meistens unleserlich im Abspann runtergenudelt werden, aber ohne die es den Film nicht geben könnte. Hier werden sie erwähnt, wird ihre Arbeit gewürdigt, stellvertretend sei hier die Set-Fotografin Kim Gottlieb-Walker erwähnt, deren teilweise intimen Bilder die Crew at work zeigen, dazu Gruppenfotos mit und ohne Schauspieler, Arbeitsatmosphäre eben. 

Und damit sind wir beim eigentlichen Verdienst des Buchs gelandet: Es bietet wunderbare Fotos, Stills, Bilder von rausgeschnitten Szenen, Skizzen, Storyboards, Plakate und so weiter. Das hat einen erheblichen Schauwert. Man blättert gerne. Vor allem, wenn man den Film mag. In meinem inneren Bilderspeicher gehört er sicher zu den Top 100, als er herauskam empfand ich – wie auch „Assault“, „Halloween“, „Blade Runner“ und „Alien“ – „Escape from New York“ als Aufbruch in eine schön schmutzige Zukunft, cineastisch und gesellschaftlich, das blankgeputzte Grauen des aufziehenden Neoliberalismus schon vorausahnend. 

Und wenn man sich fragt, warum Cross Cult ausgerechnet jetzt mit John Carpenter kommt: Ein Remake wird gedreht, Casting noch unbekannt, aber immerhin konnte Kurt Russell Gerald Butler als Snake Plissken verhindern, wie man hört. Uffff…

Dieser Beitrag erschien zuerst am 01.12.2022 auf: CulturMag

Thomas Wörtche, geboren 1954. Kritiker, Publizist, Literaturwissenschaftler. Beschäftigt sich für Print, Online und Radio mit Büchern, Bildern und Musik, schwerpunktmäßig mit internationaler crime fiction in allen medialen Formen, und mit Literatur aus Lateinamerika, Asien, Afrika und Australien/Ozeanien. Mitglied der Jury des „Weltempfängers“ und anderer Jurys. Er gibt zurzeit das Online-Feuilleton CULTURMAG/CrimeMag und ein eigenes Krimi-Programm bei Suhrkamp heraus. Lebt und arbeitet in Berlin.

John Walsh: „Die Klapperschlange. Die Entstehungsgeschichte des Kultfilms“. Cross Cult, Ludwigsburg 2022. 160 Seiten. 40 Euro