Leben im Klima-Kollaps

Amerikas Dust Bowl: Die niederländische Comickünstlerin Aimee de Jongh zeigt in „Tage des Sandes“ ein frühes Beispiel des menschengemachten Klimawandels.

Mitte der 1930er Jahre gab es in den USA eine lang anhaltende, extreme Dürre. Nicht nur eine Dürre. Bedingt durch übermäßigen Ackerbau verschwand die Halt gebende Begrasung des Bodens. So bedeckten schnell Sand und Staub weite Flächen des Landes, das noch zusätzlich von gewaltigen Sandstürmen heimgesucht wurde. Betroffen waren Teile der US-Staaten Oklahoma, Kansas und Colorado, die man bald Dust Bowl (Staubschüssel) nannte. Die Folge der Dürre, die noch dazu in die Zeit der amerikanischen Depression fiel: Sofern sie es konnten und noch genug Geld da war, verließen Tausende Familien ihr Land, meist um in Kalifornien eine neue Heimat zu finden (John Steinbecks „Die Früchte des Zorns“ erzählt von so einer Familie). Jene, die blieben, mussten nicht nur mit den widrigen Bedingungen, der Armut und der kargen Erde kämpfen, sondern litten auch unter Atemwegserkrankungen, hervorgerufen durch den allgegenwärtigen Staub, der durch jede noch so kleine Ritze der Holzhäuser drang.

Die Farm Security Administration, kurz FSA, eine Regierungsbehörde, hatte die Aufgabe, die Farmer und die verarmte Bevölkerung zu unterstützen. Darum startete man eine umfassende fotografische Dokumentation des Elends im Dust Bowl, um so der Bevölkerung in einer Aufklärungskampagne die dortigen Zustände vor Augen führen zu können. Dazu entsandte man einige Fotografen in die Dürre-Region. Auch der Protagonist in Aimee de Jonghs Graphic Novel „Tage des Sandes“, der 22-jährige John Clark, wird engagiert und ins Zentrum des Dust Bowl geschickt, nach Oklahoma in das sogenannte No Man‘s Land. Dort soll er mithilfe einer Liste, Shooting Script genannt, den harten Alltag in Bildern festhalten.

© Splitter Verlag

So macht sich John mit seinem Ford auf in das Krisengebiet. Dort stößt er jedoch anfangs auf Ablehnung und Misstrauen. Bald erlebt er selbst die verheerenden, mitunter tagelangen Sandstürme, den allgegenwärtigen Staub, das ständige Freischaufeln von Autos und Häusern, die Sisyphusarbeit des vergeblichen Reinigens der Innenräume. Bald legt John seine Naivität ab und ändert seine Strategie, wodurch er endlich Zugang zu den Menschen bekommt und deren Ängste und Nöte verstehen lernt. Und dann trifft er auch noch auf die schwangere Betty. Obwohl deren erste Begegnung nur kurz ist, sind sich beide gleich sympathisch. Eine Liaison kündigt sich an, gleichzeitig ist die Situation längst lebensbedrohlich geworden.

Tatsächlich war es damals so, wie es Autorin und Zeichnerin Aimée de Jongh („Das unabwendbare Altern der Gefühle“) hier in vielen dokumentarischen Details beschreibt. Die Dürre jener Zeit war gigantisch, wodurch eine nicht minder gigantische Migration, meist gen Westen, einsetzte. Und tatsächlich schickte die FSA diverse Fotografen in den Dust Bowl, wodurch eine riesige Sammlung an Fotos und Zeitdokumente entstanden und erhalten geblieben ist. Exemplarisch für diese Fotografen lässt de Jongh den jungen John in die Region reisen. Der sieht darin inmitten der Großen Depression vornehmlich eine Chance und einen guten Job.

Trotz der katastrophalen Lebensbedingung der Menschen gelingt es Aimée de Jongh immer wieder, positive Elemente in ihrer Story unterzubringen, seien es Menschen, die trotz Not und Krankheit ihrem Schicksal trotzen, Feste feiern und hilfsbereit sind, oder ein unvermittelt auftauchender edler Rappen, was in dieser Szenerie ausgesprochen surreal wirkt. Eindringliche und intensive Bilder schafft de Jongh v. a. mit den Sandstürmen, die bedrohlich und zugleich faszinierend auf mehreren Doppelseiten gezeigt werden, wodurch die Intensität dieser Naturgewalt noch anschaulicher in Szene gesetzt wird. Echte Fotografien von damals, die zwischen den Kapiteln platziert sind, unterstreichen den dokumentarischen Appeal dieser Chronik eines regionalen Klimawandels. Ein Anhang vertieft die historische Kontextualisierung.

Dieser Text erschien zuerst auf: Comicleser.de

Aimee de Jongh: Tage des Sandes • Aus dem Französischen von Anne Bergen • Splitter Verlag, Bielefeld 2023 • 288 Seiten • Hardcover • 39,80 Euro

Bernd Weigand ist schon über vier Jahrzehnte in Sachen Comics unterwegs: lesen, sammeln, übersetzen. Schreibt auch seit 20 Jahren über Comics, seit 2010 auf comicleser.de.